Jon Andrea Florin: Es war zu erwarten, dass unsere drei Fragezeichen zu eurer Studie dich nicht erfreuen. Gerne besprechen wir die drei Kritikpunkte mit dir.

Erster Punkt: Ihr vergleicht Äpfel mit Birnen, schlimmer noch: Wanderschuhe mit Kreuzfahrtschiffen. Konkret: Ihr stellt den engagierten Nahreiseanbieter in eine Reihe mit dem Discounter, der günstige (Flug-)Ferien für alle anbietet, bis zur Boutique mit ausgewählten Reisen nach nah und fern. Dass bei dieser Auswahl der engagierte Nahreiseanbieter gewinnt ist so unabwendbar wie, dass YB ein Berner Grümpelturnier gewinnt.

Markus Nauser: Das Ergebnis unseres Rankings mag wenig überraschen. Aber geht es nicht auch darum zu sehen, was klimaverträgliche(re) Anbieter auszeichnet? Können die «Grossen» von diesen sogar etwas lernen oder abschauen? Einfach «Weiter wie bisher» ist keine Option (siehe die Studie ‹Envisioning Tourism in 2030 and Beyond›, auf die wir uns u.a. stützen). Klimastabilität geht nicht ohne Veränderungen am gängigen Geschäftsmodell der Branche, Transformation ist angesagt. Unter diesen Voraussetzungen kann es spannend sein, sich Inspiration bei Unternehmen zu holen, zu deren Geschäftsphilosophie schon heute geringe Klima-Emissionen gehören. Aktuell bietet uns die Branche primär Beruhigungspillen à la CO2-Kompensation (neudeutsch: Klimabeiträge) oder Technofantasien von nachhaltigen Flugtreibstoffen (SAF), die «dereinst»  klimaneutrales Fliegen ermöglichen sollen. Wir können aber nicht 20 Jahre warten, bis der Flugverkehr weniger statt mehr Emissionen verursacht. Alternativen zu Flugreisen – gerade im europäischen Raum, wo der Grossteil der Reisen stattfindet – sind vorhanden. Es braucht aber auch den Willen, diese zumindest als Option der Kundschaft schmackhaft zu machen.

Klimastabilität geht nicht ohne Veränderungen am gängigen Geschäftsmodell der Branche, Transformation ist angesagt.
Markus Nauser. Geograf und Leiter der Tourismusgruppe der Klima-Grosseltern
Envision2030, Infografik ©thetravelfoundation.org.ukEnvision2030, Infografik ©thetravelfoundation.org.uk

JAF:  Unser zweiter Einwand: Indem ihr den Fokus eng aufs Klima setzt, blendet ihr das soziale Engagement von Reiseveranstalterinnen, etwa für Frauenrechte, aus. Dafür engagieren sich gerade einige Fernreiseanbieter.

MN: Zunächst: Wir sind die Klima-Grosseltern und setzen uns für das Recht unserer Enkelkinder auf einen intakten, vielfältigen Lebensraum ein. Und ja, das Klima ist unser Fokus. Der Klimawandel ist eine Bedrohung, die nicht zuletzt massive soziale Auswirkungen hat.
Wir wissen, dass sich heute etwas ändern muss, wenn die globale Erwärmung bis 2050 wenigstens auf unter 2 Grad begrenzt werden soll. Dass beim Tourismus die Flugkilometer der grösste Hebel zur Reduktion der Klima-Emissionen sind, bestreitet auch in der Reisebranche niemand. Wenn Reiseanbieter sich auch für andere Ziele engagieren, haben wir damit kein Problem. Aber dem Schutz vor den irreversiblen Folgen der Klimaüberhitzung ist damit nicht gedient. Abgesehen davon: Wäre euer Verdikt milder ausgefallen, wenn wir uns anstelle eines Klima-Ratings ein Nachhaltigkeits-Rating der Reiseveranstalter vorgenommen hätten? Denn, Hand aufs Herz, wären wir dann nicht wieder bei einem Vergleich von Äpfeln mit Birnen, schlimmer noch: Emissionsvermeidung mit Frauenrechten und Tierschutz?

JAF: In dem Punkt stimme ich dir völlig zu. Diese Komplexität ist auch ein entscheidender Grund, weshalb wir kein Reiseveranstalter-Rating machen. Doch noch zum dritten Kritikpunkt, der sich aus dem zweiten ergibt: Wer allen Klimabedenken zum Trotz eine Fernreise machen will, dem oder der nützt euer Rating nichts. Ärger noch, es kann sie in die Irre führen, weil ihr keinen Unterschied macht zwischen sozial engagierten und anderen Anbietern.

MN: Nichts gegen eine Fernreise als «Projekt», auf das man sich gründlich vorbereitet und bei dem man sich die nötige Zeit nimmt, um am Ziel richtig anzukommen und sich auf eine fremde Welt, inkl. deren soziale und kulturelle Aspekte, einzulassen. Diese Mühe nimmt mir kein Rating ab.
Ehrlich gesagt: Ich wage zu bezweifeln, dass unsere heutige Reisekultur, die mehrere kurze Flugreisen pro Jahr mit Unterkunft in auf europäische Standards getrimmten Hotels als normal ansieht, der richtige Weg ist, um zu «nachhaltigem Reisen» und einer gerechteren Welt beizutragen. Und wenn ich etwas für soziale Gerechtigkeit im «globalen Süden» tun will, ist Public Eye für mich persönlich die vertrauenswürdigere Adresse als ein Reisekonzern.

Markus Nauser der Fachgruppe Tourismus der Klima-Grosseltern

Markus Nauser

Markus Nauser ist Geograf und befasst sich als Leiter der Tourismusgruppe der Klima-Grosseltern mit den Folgen des Tourismus fürs Klima.