Das letzte Mal in Macao – eine China-Reise
Wer reist, will Fremdes erleben und verstehen. Was aber, wenn die fremde Stadt voller Erinnerungen an ein früheres Hiersein ist und sich gerade deshalb dem Verstehen versperrt? Dieses Ineinander von Vertrautheit und Mysterium, faszinierender und bedrohlicher Nähe und Fremdheit haben die beiden Portugiesen Rodrigues und da Mata in ihrem Film über Macao in einzigartiger Weise eingefangen. Nicht nur, dass die ehemals portugiesische Grossstadt wie kaum eine andere das Ineinander von Kolonialarchitektur und asiatischer Neon-Moderne verkörpert. Das Früher und das Heute vermischen sich noch dadurch, dass Guerra da Mata selber hier seine Kindheit verbracht hat und durch die Stadt mit dem Saudade-Blick des Rückkehrers schweift. Die sichtbare und gezeigte Realität ist von da her nicht die einzige, im Gegenteil: auf Schritt und Tritt spielt der Film mit der unheimlichen Schattenwelt, der die Hauptfigur ausgesetzt ist. Sie wird dabei selber nicht sichtbar, sondern tritt nur als Ich-Erzähler aus dem Off auf. Und auch die Jugendliebe Candy, die ihn nach Macau gerufen hat, bleibt im Verborgenen.
Von seiner Ankunft in Macao an sucht der Erzähler nach der Freundin. Doch Candy, offenbar ein Transvestit, entzieht sich jeder Begegnung, sendet aber beunruhigende Botschaften aus. Sie hat sich mit üblen Typen eingelassen, die ihr nach dem Leben trachten. Somit irrt der hergerufene Retter durch die Stadt, verirrt sich, verliert und findet ihre Spur wieder und kommt doch immer zu spät. Das Sich-nicht-Zurechtfinden ist das eigentliche Leitmotiv dieses Films: vierhundert Jahre portugiesische Kolonie, portugiesische Schriftzeichen überall – und doch ist da keiner, mit dem sich der portugiesische Besucher verständigen könnte. Die Zeichensprache dieser Stadt ist ihm nur schwer entzifferbar. Das wird noch dadurch verstärkt, dass statt Menschen Tiere den durch die nächtliche Stadt Irrenden begleiten: Hunde, die als Abgesandte der Unterwelt von Macao ihn bedrohen, Katzen, in denen Candy sich zu verbergen scheint, ein Vogelkäfig, der ständig die Hand wechselt und sich am Ende als leer entpuppt – ein Sinnbild für die abwesende Gesuchte, für ihren Tod?
Der Film spielt auf verschiedenen Bühnen gleichzeitig. Er handelt von der Sehnsucht nach dem unerreichbaren Anderen, vom Vorbei der Kindheit, die doch immer präsent bleibt, von der Rätselhaftigkeit des Lebens, dem unbegreiflichen Tod. Eine Kaspar-Hauser-Erzählung, die im nächtlichen Macao sich abspielt und den Zauber dieser Stadt einfängt. Und sie tut dies mit einfachsten Mitteln und dem Budget eines Dokumentarstreifens. Die Hauptjury von Locarno hat das mit einer Special Mention gewürdigt für die "aussergewöhnliche Figur Candy", deren starke Präsenz durch Abwesenheit umso eindringlicher sei. Das zeige den enormen Mut des portugiesischen Kinos in einer Zeit, wo der Zusammenbruch von Regierungen und sozialen Systemen die Filmkunst weltweit bedrohe.
*Brot für Alle ist ein Träger des arbeitskreises tourismus & entwicklung