Das Schweigen der Männer
Eine Zimmerfrau eines Schweizer Luxushotels berichtet: "Der Mann hat mich von hinten angegriffen, als ich daran war, sein Zimmer zu machen." Sie habe sich befreien und das Zimmer verlassen können. Und der Hoteldirektor habe den gewalttätigen Gast sofort des Hauses verwiesen. Andere "Femmes de Chambre" erzählten am 5. Juni im Westschweizer Fernsehen TSR von schwerreichen Gästen in Fünfstern-Luxussuiten, die ihnen 200 Franken für Sexspiele inklusive Alkohol und Drogen angeboten hätten. Oder ihnen zwanzig Franken offerierten, damit sie in ihrem Beisein nochmals "auf allen Vieren" das Bad sauber machten. Es sollen in Luxushotels inzwischen schwarze Listen mit Namen solcher Problemkunden zirkulieren. Bestätigen will das niemand.
Nicht ernst genommen
Anabela Simao hat 19 Jahre lang als "Zimmermädchen", wie sie immer noch genannt werden, und später als Chef-Gouvernante in Schweizer Luxushotels gearbeitet. Die Dunkelziffer bei solchen Übergriffen sei gross, schätzt sie: "Viele haben ungute Erfahrungen gemacht. Aber oft wagen sie nicht, es zu melden." Und wenn die Opfer von verbaler oder gar handfester Belästigungen in den Luxusetagen ihre Chefs informierten, würden sie oft nicht ernst genommen. Simao: "Das wird tabuisiert – man sagt halt, es ist nun geschehen, wir werden uns darum kümmern, aber reden wir nicht mehr darüber."
Wie zur Bestätigung antwortet die Luxus-Hotelgruppe Victoria-Jungfrau Collection auf eine Anfrage von work: "Wir können bei der Recherche zu diesem Thema nicht weiterhelfen und geben keine Auskunft."
Auskunft geben vorab Luxushotels, in denen Frauen Führungspositionen innehaben: Im "Lausanne Palace" oder in der Tschuggen-Group, die in der Schweiz mehrere Vier- und Fünfsternhäuser betreibt. Aber auch im Hotel Montbrillant in Genf ist das Problembewusstsein vorhanden. Direktorin Florence Florenza: "Man muss das mit dem Personal besprechen und den Frauen die Angst nehmen, solche Vorfälle zu melden."
Machtgefälle
Doch das sind Ausnahmen. Erst der Aufsehen erregende Fall Strauss-Kahn hat die Problematik zu einem breit diskutierten Thema gemacht. Der inzwischen abgetretene Direktor des Internationalen Währungsfonds (IWF), Dominique Strauss-Kahn, wurde in New York unter dem Verdacht festgenommen und angeklagt, er habe in einem Luxushotel eine Zimmerfrau vergewaltigt. Er war zuvor schon in Frankreich als Frauenbelästiger berüchtigt.
Der Fall zeigt das Machtgefälle exemplarisch auf, das in den Luxussuiten zwischen den superreichen Gästen und dem Personal herrscht. Die Luxuslogis kosten pro Nacht oft mehr als jene 3500 Franken, die das Zimmermädchen für seine Vollzeitstelle pro Monat verdient. "Mit solch mächtigen und reichen Leuten sind wir manchmal allein", gibt eine erfahrene Zimmerfrau zu bedenken. "Wenn etwas passiert, steht unsere Aussage gegen ihre – und wir zählen nichts, wir sind ja nur Zimmerfrauen." Der Fall Strauss-Kahn bestätigt als Ausnahme auch diese Regel.
Allein gelassen
Dass das Personal immer zu zweit auftreten sollte, könne längst nicht immer eingehalten werden, betonen erfahrene Gouvernanten (Chefin der Zimmermädchen). In einzelnen Häusern müssten die Frauen zudem Uniformen tragen. Die seien mehr sexy als zweckmässig. Es gibt keine Aus- oder Weiterbildung für die Abwehr zudringlicher Sexgrüsel in Luxuslogis. Weder der Hotellierverband noch die Organisation Swiss Deluxe-Hotels mit 37 Fünfsternhäusern verfügt über Merkblätter oder Instruktionsmaterial. Die Gewerkschaften wollen das Problem nun rasch angehen.
Jetzt Regeln machen
Rund 253’000 Leute arbeiten in der Schweiz im Sektor Gastgewerbe – davon 85’000 im Bereich "Beherbergung". Also in Hotels, Motels etc. Mit fast 56 Prozent ist dort der Frauenanteil hoch. Unia-Sicherheitsexperte Dario Mordasini: "Die gewerkschaftliche Organisation dieser Leute nimmt zu." Doch seien erst etwa 15 Prozent Mitglied einer Gewerkschaft. Das Problem der Zimmermädchen in Luxussuiten sieht Mordasini unter dem Titel "allein arbeitende Personen", für die "besondere Sicherheitsregeln" gelten sollten. Mordasini: "Wir müssen uns mit diesem Problem befassen und die entsprechenden Branchen-Regeln erweitern."
Was tut die Branche gegen sexuelle Übergriffe auf ihr Personal?
Basel, 24.08.2011, akte/ Nach dem Vorfall im Hotel Sofitel New York hat das internationale Gewerkschaftssekretariates IUF, das auch die nationalen Gewerkschaftsverbände aus Hotellerie und Gastgewerbe unter seinem Dach vereint, grosse, international tätige Hotelunternehmen aufgerufen, der prekären Sicherheitssituation ihrer Zimmermädchen Beachtung zu schenken. Gleichzeitig stellte IUF den Hotels einen Fragebogen zu ihren Richtlinien und Massnahmen für den Schutz des Personals vor sexuellen Übergriffen zu.
Die Hotels wurden gebeten, folgende Fragen zu beantworten:
- Haben Sie Richtlinien zu sexueller Belästigung?
- Sind Ihre Gäste darüber informiert, dass solche Richtlinien bestehen und keinerlei Übergriffe auf die Angestellten geduldet werden?
- Führen Sie entsprechende interne Aus- und Weiterbildungen durch?
- Wie werden Angestellte unterstützt, die sich wegen sexueller Belästigung beschweren?
IUF hat angekündigt, die Ergebnisse dieser Umfrage zu veröffentlichen. Wir bleiben dran.