Das Traumschiff hat ausgeträumt
Bei der Havarie der Costa Concordia verloren 32 Menschen das Leben. Ungeklärt ist bisher die Frage, ob die Tragödie die Schuld einer einzelnen fahrlässig handelnden Person oder letztlich Ergebnis einer profiteigenen Industrie ist. Hat ein System, das sich das Motto "je oller, desto doller" auf die Fahnen geschrieben hat und sich gleichzeitig unter enormen Preisdruck begibt, Passagieren wie Bordpersonal letztendlich das Leben gekostet? Die Branche mit der weissen Weste muss um ihren Ruf kämpfen und dabei steht im Vordergrund: Touristen einen sicheren Urlaub zu versprechen. Welche Auswirkungen der Kreuzfahrttourismus auf Land, Leute, Mitarbeiter und Umwelt hat, wird bisher nicht thematisiert.
Es hätte aber nicht erst dieses Unglücks von Giglio bedurft, um sich einer Selbstprüfung in Bezug auf nachhaltiges Agieren zu unterziehen. Dazu gehören neben der Sicherheit der Passagiere insbesondere auch die ökologischen, ökonomischen und sozialen Auswirkungen des Traumschiffreisens.
Längst ist der Kreuzfahrttourismus in der globalen Tourismuswirtschaft keine Nische mehr. Die Branche boomt – vor allem in den USA, aber auch zunehmend in Europa. Bei einem jährlichen Wachstum von sieben Prozent werden rund 50 Milliarden US-Dollar erwirtschaftet. Der Verband der Kreuzfahrtreedereien (CLIA) verzeichnet im Jahr 2011 über 16 Millionen Kreuzfahrttouristen, 2012 sollen es über 17 Millionen werden. Mit immer grösseren "schwimmenden Hotels" streben die Branchenriesen nach grösstmöglicher Rendite. Treibstoff und Hafenliegegebühren sind teuer und die Ansprüche der Urlauber wachsen. Bullaugen sind out, möglichst viele Kabinen werden nun mit Balkonen ausgestattet. Die schwimmenden Kreuzfahrtriesen haben mit dem "Traumschiff" nur noch wenig gemeinsam. Sie beherbergen mit mehr als 6’000 Passagieren sechs- bis zehnmal so viele Urlauber wie die Schiffe aus der Fernsehserie. Es sind schwimmende Kleinstädte, die immer mehr Luxus und Abwechslung bieten: Golfsimulatoren, Kletterwände, Aqua-Theater, aufwändige Fitnessstudios und Prachtboulevards mit vielen Geschäften. Und es wird weiterhin in die "Zukunft" investiert, wie CLIA berichtet. 14 neue Riesenschiffe werden 2012 zu Wasser gelassen und weitere zehn sollen zwischen 2013 und 2015 fertig gestellt werden, um die modernen Kreuzfahrer zu bespassen. Zwischen 2011 und 2015 werden 22 Milliarden US-Dollar in die schwimmenden Hochburgen investiert.
Was spricht gegen eine Seefahrt? Kreuzfahrttourismus haftet – abgesehen von Sicherheitsdebatten, die so alt sind wie der Untergang der Titanic – ein ausgesprochen positives Image an. Doch so sauber, wie Sascha Hehn uns mit strahlendem Lächeln diese Reiseform durch die Fernsehserie "Das Traumschiff" seit den 80er Jahren suggeriert hat, ist sie leider nicht. Selbstkritik aber ist von der Glitzerbranche nicht zu erwarten, auch wenn ihr glänzender Schein die Schattenseiten immer weniger zu verbergen vermag. Kreuzfahrten galten bis vor kurzem noch als individuelle und besonders kultivierte Form des Reisens, als Ausdruck von Wohlstand und gesundem Leben. Doch mittlerweile haben Billig-Kreuzfahrten auch die Schnäppchenjagd im Discounter erreicht und beim Blick hinter die Kulissen kann auch von kultiviert keine Rede sein; zu gravierend sind die Nebenwirkungen dieser Reiseform auf Natur, Umwelt und Menschen.
Die Fachstelle Tourism-Watch des Evangelischen Entwicklungsdienstes in Bonn informiert über die ökologischen und sozialen Auswirkungen der Kreuzfahrt in ihrem neuen Faltblatt <media 3014 – – "SONSTIGES, eed-tw 2012 kreuzfahrtflyer-print, eed-tw_2012_kreuzfahrtflyer-print.pdf, 1.6 MB">"Das Traumschiff hat ausgeträumt" (pdf, 1.6 MB)</media>