«Das Wohnen im Zentrum liegt wieder im Trend»
Basel, 11.09.2012, akte/
Fünf Jahre lang wurde für die Landschaftsinitiative geworben. Sie sollte dafür sorgen, dass künftig Kantone und Bund gemeinsam für die haushälterische Nutzung des Bodens sorgen. Zusätzlich zu den bisherigen Bestimmungen kämen der Schutz des Kulturlandes und die Trennung des Baugebietes vom Nichtbaugebiet in die Zweckbestimmung. Der Bund sollte ein verdichtetes Bauen in Siedlungsgebieten fördern und die Bestimmungen für das Bauen im Nichtbaugebiet erlassen. Als Übergangsbestimmung forderte die Initiative ein Moratorium von 20 Jahren auf die Vergrösserung der Gesamtfläche der Bauzonen. Am 15. Juni wurde die Initiative zurückgezogen. Sind alle Forderungen erfüllt?
Am 15. Juni hat das Parlament die Revision des Raumplanungsgesetzes angenommen, den Gegenvorschlag zur Landschaftsinitiative. Dieser Gegenvorschlag nimmt wichtige Anliegen der Landschaftsinitiative auf. So werden die Kantone verpflichtet, überdimensionierte Bauzonen zu verkleinern. Neue Einzonungen werden erschwert, weil zuvor die bestehenden Bauzonen gut ausgenützt werden müssen. Das Horten von Bauzonen wird schwieriger. Und die Anforderungen an die kantonalen Richtpläne im Bereich Siedlung werden klarer definiert. Wir haben von Anfang an gesagt, dass wir auch das Gesetz beeinflussen wollten. Mit den nun im Raumplanungsgesetz geschärften Instrumenten werden die wesentlichen Ziele der Landschaftsinitiative erfüllt, weshalb die Initiative zurückgezogen werden konnte. Der Rückzug hat allerdings die Bedingung, dass der Gegenvorschlag tatsächlich in Kraft tritt. Um dies zu verhindern, werden momentan Unterschriften für ein Referendum gesammelt. Sollte der Gegenvorschlag nicht in Kraft treten, käme die Landschaftsinitiative zur Abstimmung.
Was ist neu an der Trennung von Baugebiet von Nichtbaugebiet? Gab es die nicht bereits im bestehenden Raumplanungsgesetz?
Dieser Grundsatz ist sehr wichtig. Er bedeutet, dass grundsätzlich nur in denjenigen Gebieten gebaut werden darf, die durch die Kantone dazu bestimmt worden sind. Es war bisher ein ungenannter Grundsatz, nun wird er im Raumplanungsgesetz im ersten Satz erwähnt. Trotz dieser Trennung wurden in der Vergangenheit zu viele Ausnahmen für Bauten ausserhalb der Bauzonen gewährt. Und was einmal gebaut ist, wird kaum je wieder entfernt. Wird der Bau für den ursprünglichen Zweck nicht mehr benötigt, so wird er umgenutzt statt abgerissen.
Weshalb sollte das neue Raumplanungsgesetz besser wirken als das alte, das der Bund vor gut dreissig Jahren beschloss? Er wollte damals "Bauwut, Zersiedelung und Bodenspekulation" eindämmen. Trotzdem ist die Zersiedelung ungebremst weiter fortgeschritten.
Das Raumplanungsgesetz ist im Grunde genommen ein sehr gutes Gesetz. Seine Grundsätze und Instrumente sind auch heute noch aktuell. Leider waren die Instrumente teilweise zu wenig klar definiert, und der Vollzug des Gesetzes war vielerorts mangelhaft. Diese Unzulänglichkeiten werden nun mit der Revision verbessert. Das Gesetz soll fortan überall umgesetzt werden.
Welches sind die Haupttreiber der Verbauung der Schweiz?
Unzeitgemässe Gebietsstrukturen, die zu einer viel zu kleinräumigen Optik in der Raumplanung führen; die fehlende Kostenwahrheit im Verkehr; die Infrastrukturplanung (Autobahnen, Eisenbahn), die oft ohne Rücksicht auf die Folgen im Bereich der Siedlung gemacht wurde; der Steuer- und Standortwettbewerb zwischen den Kantonen und Gemeinden; der Tourismus (Zweitwohnungsbau); die soziodemografische Entwicklung (mehr Kleinhaushalte), der Wunsch nach Wohnen im Grünen, mehr Flächenverbrauch pro Kopf und die wachsende Bevölkerung.
Welche Rolle spielt der Tourismus bei der Zersiedelung?
Beim Tourismus ist zum einen die Wahl der Beherbergungsform entscheidend. Hotels haben in den letzten Jahrzehnten an Stellenwert verloren zugunsten von Ferienhäusern und –wohnungen. Diese brauchen mehr Boden pro Wohneinheit. Zum anderen braucht der Tourismus immer mehr Infrastrukturen wie Bahnen, Lifte, Gaststätten, Golfplätze, welche alle die Natur- und Kulturlandschaft beeinträchtigen und durch Strassen erschlossen werden müssen.
Kürzlich forderte der Geschäftsführer der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz, Raimund Rodewald, eine Erweiterung des Verbandsbeschwerderechts: Umweltverbände sollten auch bei geplanten Einzonungen Rekursrecht erhalten. Weshalb?
Umweltverbände mit Kantonalsektionen verfügen in diversen Kantonen bereits über ein Beschwerderecht auf kantonaler Stufe. Angesichts der nachweislich vorsichtigen Anwendung dieses Rechts und der damit erreichten objektiven Verbesserungen von Planungen wäre eine Ausdehnung auf die Bundesebene zu begrüssen. Die Hauptverantwortung der Raumplanung muss aber bei den Kantonen bleiben. Die Umweltverbände hätten gar nicht die Mittel, um gesamtschweizerisch Einzonungen auf ihre Rechtmässigkeit zu prüfen.
Der Bund hat verschiedene Bauvorhaben zur Erweiterung des Strassennetzes angekündigt, die Bahn soll die Infrastrukturen ausbauen. Dank der niedrigen Zinsen wird in den Bau von Einfamilienhäusern investiert. Es sieht derzeit nicht danach aus, als ob die Gesellschaft in Richtung von mehr Landschaftsschutz steuert. Welche gesellschaftlichen Veränderungen braucht es für einen nachhaltigeren Umgang mit unserer Landschaft?
Infrastrukturen hatten in der Vergangenheit grossen Einfluss auf die Siedlungsentwicklung. Künftig sollten sie nicht mehr neue Siedlungen nach sich ziehen, sondern mit der erwünschten Siedlungsentwicklung koordiniert werden. In seinen Agglomerationsprogrammen knüpft der Bund die Unterstützung von Infrastrukturbauten an die Siedlungsentwicklung nach innen.
Es geht nicht darum, das Bauen in Zukunft zu verhindern. Wichtig ist, dass die Bau- und Umbautätigkeit vermehrt in die bestehenden Siedlungen gelenkt wird, wie es an vielen Orten bereits der Fall ist. In den Siedlungen schlummern erhebliche Kapazitäten, gerade auch in bestehenden, ins Sanierungsalter kommenden Einfamilienhausquartieren. Viele Leute überlegen es sich mittlerweile gut, ob sie immer weiter peripher neu bauen und lange Wege in Kauf nehmen möchten. Das Wohnen im Zentrum liegt wieder im Trend. Die Gemeinden und Kantone sollten dafür sorgen, dass dieses zu vernünftigen Preisen möglich ist. Dazu sollten sie vermehrt eine aktive Bodenpolitik einnehmen.