Basel, 01.11.2011, akte/ Spielen Sie vielleicht gerade mit dem Gedanken, eine Kreuzfahrt zu buchen? Oder gehören Sie zu den Reisenden, die sich schon längst wundern, weshalb ausgerechnet Kreuzfahrten als die Traumferien schlechthin boomen? Wie auch immer – gehen Sie jetzt an Bord mit David Foster Wallace (DFW). Seine 1996 im Auftrag des glamourösen Harper’s Magazine verfasste Reportage der "7NC" – der klassischen US-amerikanischen 7-Nächte-Kreuzfahrt-in-die-Karibik – liegt nun auf Deutsch vor, herausgegeben vom mare-Buchverlag. Das elegant schmale, passend hellblau gebundene Bändchen "Schrecklich amüsant – aber in Zukunft ohne mich" ist die handfeste Entscheidungshilfe für all Ihre Fragen zu Kreuzfahrten und darüber hinaus ein Lesevergnügen, das Sie sich keinesfalls entgehen lassen sollten.
"… Ich habe sacharinweisse Strände gesehen, Wasser von hellstem Azur. Ich habe einen knallroten Jogginganzug gesehen, mit extrabreitem Revers. Ich habe erfahren, wie Sonnenmilch riecht, wenn sie auf 21’000 Pfund heisses Menschenfleisch verteilt wird. Ich bin in drei Ländern mit "Mään" angeredet worden. Ich habe 500 amerikanischen Leistungsträgern beim Ententanz zugeschaut… Ich habe erwachsene US-Bürger aus dem gehobenen Mittelstand gehört, erfolgreiche Geschäftsleute, die am Info-Counter wissen wollten, ob man beim Schnorcheln nass wird, ob Tontaubenschiessen im Freien stattfindet, ob die Crew ebenfalls an Bord schläft und um welche Uhrzeit das Midnight-Buffet eröffnet wird…" DFW sitzt in Fort Lauderdale, dem ultimativen Anleger für alle "7NC"-Kreuzfahrer, und überbrückt die Zeit zwischen dem Auschecken vom Kreuzfahrtschiff und seinem Rückflug nach Chicago, indem er seine Eindrücke der "7NC" Revue passieren lässt. Und in seinem unnachahmlichen Stil einleitend zu seiner Reportage in Worte fasst.
Es wird eine lange Reportage, die das Kreuzfahrten-Universum mit all seinen skurrilen Dimensionen und Auswüchsen beschreibt, aber auch die Sehnsüchte und Versprechen zu Tage bringt, welche Menschen dazu antreiben, auf Kreuzfahrt zu gehen. Was DFW schreibt, ist scharfsinnig, zuweilen ätzend scharf, aber stets umwerfend komisch. Dabei nimmt er sich nie überheblich aus der Schusslinie. Denn TouristInnen beobachten und sich über sie lustig machen ist ja an sich keine Kunst, sondern eher ein geläufiges Genre, an dem sich zahlreiche Schriftsteller üben. Im Gegensatz dazu ist DFW redlich bemüht, trotz seiner "grenzwertigen Agoraphobie", die ihn nicht gerade zum tauglichsten aller Kreuzfahrten-Passagiere macht, an der "7NC" aktiv teilzunehmen – bis und mit etwa dem Tontaubenschiessen, wo er als blutiger Anfänger die Waffe so verzieht, dass die Schiesskameraden und Instruktoren schleunigst in Deckung hechten. Da setzt sich DFW einmal mehr mit der notwendigen Dosis an Selbstironie mitten ins Geschehen und bringt uns mit Erfolg zum Lachen. Das macht seine profunde Kritik am Kreuzfahrtentourismus so glaubwürdig und nachvollziehbar.
"Ich habe erfahren, dass jenseits von Ultra-ultra-ultra-marinblau noch eine Steigerung möglich ist." Das sagt DFW zu seiner Kreuzfahrt – und wir sagen es zu seiner Sprache und Ausdruckskraft (die auch in der guten deutschen Übersetzung zum Tragen kommt). Was immer man versucht, über DFW’s Reportage zu sagen – es bleibt mit Sicherheit kläglich hinter seinem Text zurück. Deshalb: Nehmen Sie lieber gleich das Buch von David Foster Wallace zur Hand, lehnen Sie sich zurück und gönnen Sie sich eine einmalige Kreuzfahrt.
David Foster Wallace: Schrecklich amüsant – aber in Zukunft ohne mich. mareverlag Hamburg 2011, 207 Seiten, CHF 30.90, Euro 20.-, ISBN 978-3-86648-147-3