Debakel beim künstlichen Riff vor der Kovalam Beach in Kerala:
Basel, 12.10.2010, akte/ Das Skandalprojekt eines mit Tsunamigeldern finanzierten künstlichen Riffs vor dem Strand von Kovalam im südindischen Bundesstaat erlebt einen neuen Höhepunkt. Gemäss dem unabhängigen Verband der Fischer von Kerala KMTF zerstören Kunststofffetzen, die sich vom 500 Meter langen künstlichen Riff lösen, die Fischernetze. Und zwar sind es so viele, dass die Fischer daraus schliessen, das Sandsackriff, das am 19. Mai 2010 formell eingeweiht wurde, beginne sich schon wieder aufzulösen.
Dessen ungeachtet spricht die neuseeländische Firma ASR von einem vollen Erfolg und nutzt das Riff vor Kovalam, um sich als Konstrukteurin weiterer Riffe anzupreisen. Das Riff diene dem Küstenschutz: Es sei ein Mittel gegen die rasch voranschreitende Erosion an Indiens Küsten und fördere die lokale Fischerei, den Tourismus und inbesondere auch das Surfen.
Die Idee, Kunststoffsäcke vor der Küste zu verankern und sie per Pipeline mit Sand zu füllen, um die Küste vor zu rauhem Wellengang und Erosion zu schützen, ist durchaus bestechend. Einer der Vorteile des Einsatzes geotextiler Sandcontainer liegt darin, dass lokaler Sand als Füllmaterial verwendet werden kann. Dadurch werden Transportkosten und die mit dem Transport verbundenen Umweltbelastungen reduziert. Methoden zur Besänftigung eines rauhen Wellengangs mit Hilfe von Unterwasser-Wellenbrechern und -Riffen aus Sandcontainern sind eine viel versprechende Alternative zu den wenig wirksamen Uferdämmen, Kunstriffen, Wellenbrechern und Molen aus Beton und Steinblöcken, wie sie die Küste in Kerala über Hunderte von Kilometern säumen. Doch die Eigenschaften der geotextilen Sandcontainerkonstruktionen sind noch viel zu wenig untersucht, wie das Leichtweiss-Institut für Wasserbau der technischen Universität in Braunschweig in mehreren Studien festgestellt hat. Zum Beispiel sei die Konstruktion von Wellenbrechern mit Sandsäcken zwanzig Mal weniger stabil als mit Betonkern.
Geschäft unter Freunden?
Doch das Tourismusministerium der Bundesregierung in Kerala stützte sich lieber auf Studien des Centre for Earth Science Studies – dem Institut, dessen ehemaliger Direktor direkt mit dem Gründer und Direktor von ASR, Kerry Black, befreundet ist. Kerry Black, der am Victorian Institute of Marine Science in Australien promovierte, ist ein passionierter Surfer auf der Suche nach der perfekten Welle, die er mithilfe künstlicher Riffe schaffen will. Es gibt Hinweise darauf, dass die für die Vergabe verantwortlichen Regierungsleute in Kerala um die Fragwürdigkeit des ASR-Projektes wussten und sich aus Eigeninteresse trotzdem dazu entschieden. Ursprünglich sagte der Tourismusminister noch, es werde ein Riff gebaut, um den Tourismus in Kovalam zu fördern. Später, als herauskam, dass dafür Gelder des Tsunami Rehabilitation Funds genutzt wurden, änderte sich die Formulierung: Das Riff diene dem Küstenschutz, hiess es nun – was den falschen Eindruck vermittelt, das Riff würde auch gegen eine Tsunami-Welle schützen. Das Projekt wurde vor drei Jahren an die ASR vergeben, ohne dass eine andere Firma die Chance erhielt, eine Offerte einzugeben. Die Offerte der ASR wurde vom Direktor des Centre for Earth Science Studies, dem CESS, beurteilt – eben dem Freund von Kerry Black. Eine Umweltverträglichkeitsstudie oder Studien zu den Auswirkungen auf die Lokalbevölkerung und insbesondere der Fischer wurden nicht für nötig befunden.
Kein Platz für Fischer
In einem Surfer-Blog erklärt ein lokaler Surfbegeisterter, weshalb viele vor Ort nicht begeistert sind: "Die lokalen Kids haben Mühe, auf den Wellen zu surfen und würden sich wünschen, dass der Monsun die Sandcontainer wegspült. Die Lebensretter der Küstenwache müssen wegen neuer Strömungen, die zwischen den geotextilen Säcken entstehen, viel mehr Leute retten, und beklagen, ihre Zehntausend Rupien Monatsgehalt (216,5 US$) seien zu wenig." Auch die älteren StrandtouristInnen seien unglücklich, dass jetzt junge Surfer den Strand beherrschen und verlangen, dass die Schwimmer ihnen Platz machen. Die Fischer dürften in der ganzen Bucht nicht mehr fischen, doch die Polizei lasse sie ihr Netz am anderen Ende der Bucht auswerfen, weil sie verstünden, dass die Leute ihre Familien ja irgendwie ernähren müssten. Doch die Fischer würden jetzt weniger fangen, weil sich die Fische im Schutz des neuen Riffs bewegen. Es würde ihn nicht wundern, wenn ein lokaler Dynamitfischer in der Nähe des Riffs fischen würde. Dann werde sich zeigen, ob die Säcke wirklich so unzerstörbar seien wie von ASR behauptet. Auch der Fischerverband KSMTF beklagt, dass 500 Fischerfamilien wegen des Riffs ihrer Lebensgrundlagen beraubt seien. Dem widerspricht die ASR mit Bildern von Fischern, die am 22. September aufgenommen worden seien und einen guten Fang zeigen.
Ein teurer Flop
Um 80 Millionen Rupien oder umgerechnet 1,7 Millionen Dollar wurde der Fonds für den Wiederaufbau nach dem Tsunami erleichtert, um das Riff zu bauen. Dieser Fonds, in den die Regierung ebenso wie nationale und internationale Entwicklungsorganisationen einbezahlt haben, hatte mittelfristig auch das Ziel, Massnahmen für eine bessere Prävention vor Schäden durch Riesenwellen zu finanzieren. Insgesamt waren dafür 137 Millionen Dollar vorgesehen, knapp ein Viertel davon für Kerala. Das Riff vor Kovalam hätte ursprünglich um die Hälfte billiger sein sollen. Doch die Regierung ging auf den Vorschlag der ASR ein, es um einen Viertel grösser zu bauen und dafür doppelt so viel zu bezahlen. So ist es kaum verwunderlich, dass der unabhängige Verband der Fischer von Kerala KSMTF hinter dem Geschäft einen grösseren Korruptionsskandal vermutet. Weltweit wurden schon verschiedene Riffs aus geotextilen Sandsäcken gebaut. Die Probleme mit diesen Konstruktionen in Neuseeland, Australien und England sind unter Fachleuten und Surfern bekannt: Die Konstruktionen sind instabil, der Einfluss auf die Wellenbrechung ist ungewiss, sie halten grösseren Wellen nicht stand und werden von den Surfern mehrheitlich nicht geschätzt. Doch die Probleme mit den Riffs werden gerne heruntergespielt, denn, wie Adam Daigian, ein Mitarbeiter von ASR in einer Mail an einen Kritiker des Riffs schreibt: "Küstenschutz ist ein Billionengeschäft weltweit und ein Milliardengeschäft in Indien."
Der Verband der Fischer von Kerala KSMTF verlangt nun eine rechtliche Untersuchung und eine unabhängige wissenschaftliche Abklärung des Riff-Projekts. Dies ist umso wichtiger, als die indische Regierung mit Hilfe von Geldern der Asian Development Bank und der Weltbank weitere künstliche Riffs in Goa, Maharashtra, Karnataka und anderen Touristendestinationen bauen will.