Der Aufbau eines Familienimperiums

Hyatt Hotels wurde von Hyatt R. von Dehn and Jack D. Crouch vor 55 Jahren gegründet und kurz darauf von Jay Pritzker übernommen, einem Spross der mächtigen Bankiers- und Investorenfamilie Pritzker, die bis heute den mächtigen Konzern mit seinen inzwischen acht Marken führt. In den Neunzigerjahren begann Hyatt Hotels Corporation mit der ersten grösseren Sparrunde: Über Tausend Angestellte wurden entlassen, Hausverwaltung und Parkdienste wurden an Billigfirmen ausgelagert. Mit seinen Maximierungsstrategien steigerte Hyatt den Gewinn innert vier Jahren um 45 Prozent. Ab 1994 vergrösserte sich das Hyatt-Imperium, indem es seinen guten Namen und sein Geschäftsmodell in Lizenz vergab. Bei diesem so genannten Franchisesystem zahlen Hoteliers dafür, dass sie ihr Hotel als Hyatt Hotel betreiben können, einen Teil ihres Umsatzes an den Konzern. Anfangs handelte es sich um zwei, drei Pilotprojekte, doch ab 2000 kaufte die Pritzker-Familie drei Franchising Firmen auf, die zunächst unabhängig blieben, später aber unter das Dach der Global Hyatt Corporation fusioniert wurden. Bevor Global Hyatt Corporation an die Börse ging, expandierte der Riese nochmals mit einer Reihe riesiger Hotelbauten, wie das Grand Hyatt Las Vegas Casino Resort mit 2’700 Zimmern. Mit ihren insgesamt rund 134’000 Zimmern ist Hyatt heute die zehntgrösste Hotelkette weltweit. In Sachen Markenpflege erreichte der Konzern diesen Sommer in einem Benchmarkvergleich den dritten Platz. Ausserdem wurde Hyatt Hotel Corporation mit dem "Gallup Great Workplace Award 2012" für seine "grossartige Arbeitsstätte" ausgezeichnet. Der fairunterwegs-Koffer hat sich auf der Website des Gallup-Awards umgesehen: Der Preis wird nicht für das Unternehmen vergeben, das die Angestellten am fairsten behandelt, sondern für dasjenige, das seine Mitarbeitenden in Bezug auf Effizienz und Einsatz am besten auf Kurs bringt, das mit den "engagiertesten" Angestellten.

Gnadenlose Arbeitslasten

Die Gewerkschaften würden vermutlich den Gallup-Juroren nicht einmal widersprechen. Über gnadenlose Quotensysteme wird den Mitarbeitenden alles an Effizienz und Einsatz abverlangt: Hyatt Zimmerfrauen aus Hotels ohne Vereinbarungen mit den Gewerkschaften müssen pro Tag bis zu 30 Zimmer reinigen, rund doppelt so viel wie in den anderen Hotels. Luxusbetten mit 50 Kilogramm schweren Matratzen, dreilagig bezogen, mit Bettdecken und Extrakissen, gehören ebenso zur Standardausrüstung wie Kaffekännchen, grosse Spiegel, die von Hand gereinigt werden müssen, Toiletten, Duschen, Balkone. Für ein Zimmer dürften sie, wollen sie die Quote in der normalen Arbeitszeit erledigen, nicht mehr als 16 Minuten aufwenden. Oft verrichten sie die Arbeit allein, ungeschützt vor Übergriffen von Gästen. Für Löhne von acht bis zehn Dollar die Stunde stossen sie schwere Putzwagen durch lange, teppichbedeckte Gänge. In vielen Hotels müssen sie die Bäder auf den Knien reinigen – weil das Management nicht in Wischer und Besen mit Stielen investiert. Oder auch in Fixbettlaken, welche das Bettenmachen erleichtern würden. Letztes Jahr wehrte sich die Hotelkette gegen ein Gesetz, das die unwürdige Putzarbeit auf den Knien und Bedingungen beim Bettenmachen, die den Rücken gefährden, verboten hätte. Im Hyatt Regency St. Clara, Kalifornien, wurde mit dem Bild zweier Zimmerfrauen mittleren Alters eine Bikini-Collage digital erstellt und auf dem Hotelinternen Anschlagbrett ausgehängt. Die beiden entfernten das Bild. Wenig später wurden sie entlassen. Offenbar wurde ihnen nicht das Recht zugestanden, sich gegen die sexuelle Belästigung zu wehren. Hyatt ist bekannt dafür, langjährige Angestellte durch Zeitarbeiterinnen zu ersetzen, die zu noch schlechteren Löhnen und Bedingungen arbeiten und jederzeit mit der Kündigung rechnen müssen.

Zimmerfrau – der gefährlichste Job im Hotel

Die Gewerkschaft Unite Here hat vor zwei Jahren die Unfallstatistiken der Hauswirtschaftsangestellten der grössten Hotelketten analysieren lassen. Diese im American Journal of Industrial Medicine publizierte Studie zeigte: Hotelangestellte haben ein höheres Risiko, am Arbeitsplatz zu verunfallen, und erleiden mehr Verletzungen als Angestellte der meisten anderen Dienstleistungsbranchen. Und tatsächlich ist der Job der Zimmerfrau der risikoreichste im Hotel. Der übergrosse Druck, die Quote zu erfüllen, führt mit der Zeit zu chronischen Schmerzen und Unfällen. Die Hyatt Hotels Corporation war unter den untersuchten Hotelketten die schlechteste Arbeitgeberin: Die Zimmerfrauen der Hyatt-Hotels wiesen ein um über zehn Prozent höheres Risiko auf, sich bei der Arbeit zu verletzen, als die Angestellten der am zweitschlechtesten platzierten Hotelkette. Hyatt gab umgehend eine eigene Studie in Auftrag. Die Studienleiterin, Dr. Jane Derebery, kam zum Schluss, dass ein Zusammenhang zwischen Arbeitsunfällen und der Arbeit als Zimmerfrau nicht nachweisbar sei: "Sie [Die Verfasser der ersten Studie] konnten dem normalen Menschenverstand nichts entgegensetzen, der uns sagt, dass Haushaltarbeiten grundsätzlich ungefährlich sind." Der fairunterwegs-Koffer wundert sich gar nicht, dass Dereberys Studie ausser bei Hyatt nirgendwo publiziert wurde.
Aber nicht nur bei Hyatt machen die Zimmerfrauen einen viel zu harten Job: Neun von zehn Zimmerfrauen der Vereinigten Staaten leiden, so eine weitere Studie, an arbeitsbedingten Schmerzen, zwei Drittel können nur mit Schmerzmitteln ihre Tagesquote erreichen. Gewerkschaftsfeindliche Gesetze haben in den letzten Jahren die Errungenschaften früherer Arbeitskämpfe zunichte gemacht. "Die Art, wie Hyatt Zimmerfrauen behandelt, gleicht einem namenlosen Angriff auf Frauen, Eingewanderte und Minderheiten", kommentiert die 61-jährige Zimmerfrau Cathy Youngblood. "Ich habe die Bürgerrechtsbewegung erlebt. Dort habe ich gelernt, meine Stimme zu erheben, besonders wenn ich denke, eine Arbeitskraft wird missbraucht. Das Wort gefällt Hyatt nicht, aber das ist es, was sie mit Frauen, MigrantInnen und Angehörigen von Minderheiten tun."

Verantwortungsvolle Unternehmen und Arbeitsrechte

Mit heftigen Preiskämpfen haben in den letzten Jahren Hotelketten und Reiseveranstalter die Konkurrenz auszustechen versucht. Hotelketten haben ihren Marktanteil über das Franchisesystem vergrössert. Damit Betreiber von Hotels ihrem Franchisegeber die verlangte Umsatzbeteiligung zahlen können, müssen sie noch härter ihre Profite maximieren. Für diese Entwicklungen, die die Marge unter Druck setzen, können die Angestellten nichts – aber sie zahlen dafür die Rechnung. Die "Hyatt hurts"-Kampagne verweist nur auf die Spitze des Eisberges. Meist haben die grossen Unternehmen einer Branche Vorbildfunktion. Sind dort die Arbeitsbedingungen schlecht, so muss man davon ausgehen, dass das Gros der Branche mit schlechten Arbeitsbedingungen funktioniert. Vor zwei Jahren führte der Europäische Gewerkschaftliche Verbindungsausschuss für Tourism (European Trade Union Liaison Committee on Tourism – ETLC) eine Erhebung über die Arbeitsbedingungen derjenigen durch, die für die Reiseveranstalter in den touristischen Zielgebieten arbeiten – ReiseleiterInnen, ReiseführerInnen und AnimateurInnen – und stellten ausufernde Arbeitszeiten, geringe Bezahlung, zunehmenden Arbeitsdruck und Abhängigkeit vom Arbeitgeber bei mangelnder gewerkschaftlicher Organisation fest. Auch die sich häufenden Streiks bei den Angestellten anderer Hotels oder bei Airlines zeigen, dass das Sparpotenzial bei den Tourismus-Angestellten längst überstrapaziert wurde. Es braucht mehr verantwortliche Unternehmen, die die Rechte ihrer Angestellten und ihre Verpflichtungen ihnen gegenüber anerkennen, meint der fairunterwegs-Koffer. Sie müssen die Verantwortung für alle an der Wertschöpfung beteiligten Menschen übernehmen. Das heisst, sie sorgen nicht nur selber für anständige Arbeitszeiten, Pausen und Ruhezeiten, für Existenz sichernde Löhne, die soziale Absicherung, die Unfallprävention und die Förderung der Mitarbeitenden. Sondern sie verzichten auch auf Verträge mit Subunternehmen, deren Arbeitspraktiken unfair, ausbeuterisch oder missbräuchlich sind. Es braucht Unternehmerinnen und Unternehmer, die den Dialog mit den Angestellten und den Gewerkschaften nicht scheuen, weil sie sich für die Berufslaufbahn jedes und jeder einzelnen im Team engagieren, mit Weiterbildungen, Beförderungen und Umplatzierungen an die Stelle, wo sie ihre Fähigkeiten am besten zum Einsatz bringen. Dann werden sie auch nicht mehr auf ZeitarbeiterInnen zu Dumpingpreisen setzen, sondern auf ein eingespieltes Team und ein gutes Arbeitsklima.