Basel, 10.04.2008, akte/Der fairunterwegs-Koffer braucht Ferien. Einen Ort in dieser Welt, wo er seine Kofferseele baumeln lassen kann. Wo er sich entspannt, weil er weiss, dass es im Hotel sozial und ökologisch zu und her geht. Im Hinblick auf das schonungsbedürftige Klima ist das Reiseziel klar: Der fairunterwegs-Koffer sucht ein Angebot in der Schweiz. Also ab ins Internet, auf myswitzerland.com, die Site von Schweiz Tourismus. Die nationale Marketing- und Verkaufsorganisation für das Reise-, Ferien- und Kongressland Schweiz steht schliesslich ganz im Dienste des Gastes, dem sie „ein unvergessliches Ferienerlebnis“ bieten will, schreibt sie in ihrem Impressum.
Auf die Suchwörter „ökologisch, sozial“ listet die Suchmaschine der Site 45 Angebote auf: Eine Stunde später hat sich der fairunterwegs-Koffer durch die Hälfte der Angebote durchgelesen. Die Hotels sind vielseitig engagiert: Das eine ist „konsequent biologisch geführt“, das andere ist nicht nur ökologisch bei der Abfallentsorgung, der Heizung und dem Biopool, sondern auch noch kinderfreundlich und vegetarisch und bietet Ayurvedamassagen an. Im Angebot stehen Hotels mit „hohen Strahlenwerten, die gut für die Meditation sind“ oder solche ohne Strom, wo mit Holz geheizt und gekocht wird.

Ansätze zum Fairen Handel

Der fairunterwegs-Koffer weiss nach dieser Recherchestunde immer noch nicht, welches Hotel gute Arbeitsbedingungen, faire Preise, einen gute Einbindung in die lokalen Wirtschaftskreisläufe und die regionale Entwicklung, einen schonenden Umgang mit den Ressourcen und einen gleichberechtigten, von Transparenz geprägten Umgang zwischen den Akteuren bietet. Alles Eckpunkte von fairen Tourismusangeboten, wie sie der arbeitskreis tourismus & entwicklung von den allgemeinen Grundsätzen des Fairen Handels ableitet. Klar ist, dass zumindest bei der Transparenz noch einiges im Argen liegt.
Immerhin sind einige der aufgeführten Hotels mit Gütesiegeln ausgezeichnet. Zwei haben „vier von fünf Steinböcken“, eines ein „Q“-Label. Nur werden diese Label auf der Site nicht erklärt. Also auf zur nächsten Rechercherunde. Mit Hilfe der Fair-Tipps auf fairunterwegs.org kann sich der „möchtegernverträglichreisen“-Koffer im Labelsalat der weit über hundert Labels orientieren. Dabei erfährt er, dass die deutsche Verbraucherinitiative nur etwa einen Drittel aller Labels empfiehlt. Solche bei denen die Vergabekriterien transparent sind, der Herausgeber des Zeichens unabhängig ist und externe Kontrollen stattfinden. Zu den empfehlenswerten Labels gehört der Steinbock, mit in der Schweiz 21 Hotels ausgezeichnet sind – ein Label übrigens, welches auch ein paar soziale Kriterien einbezieht: Nur: Auf myswitzerland.com sind sie unter dem Stichwort Steinbock nicht zu finden.

Aufwändige Suche nach sozial- und umweltverantwortlichen Angeboten

Schweiz Tourismus hilft nicht, sozial- und ökologisch ausgerichtete Gästen mit den sozial- und ökologisch ausgerichteten Angeboten in der Schweiz zusammen zu bringen. Es ist einfacher, Best-Practice Angebote in Südafrika oder Brasilien zu finden. So aber sieht sich der völlig frustrierte fairunterwegs-Koffer gezwungen, auf der Suche nach einem Angebot, das seinen Ansprüchen gerecht wird, seine Ferien mit einer aufwändigen Recherche zu verbringen, statt sich irgendwo in den Bergen zu erholen.

Sozio-ökologische Produktedeklaration

Hansruedi Müller von der Forschungsstelle für Freizeit und Tourismus der Universität Bern hat in einem Interview vom letzten Dezember im Travelmanager laut darüber nachgedacht, mit welchen Instrumenten der Schweizerische Reisebüroverband der Branche helfen könnte, das neue Credo „Tourismus mit Zukunft“ umzusetzen. Als Beispiel schlug er eine sozio-ökologische Produktedeklaration vor, und begründete: „Jeden Raucher weist man auf die Gefahren hin, und die Lebensmittel sind mit Angaben zur Zusammensetzung versehen. Weshalb existiert nichts Ähnliches in Bezug auf Reisen?“ Da spricht er dem fairunterwegs-Koffer aus dem Herzen. Mit einer sozio-ökologischen Produktedeklaration würde es dem fairunterwegs-Koffer schon um einiges leichter fallen, ein passendes Angebot zu finden. Da würde er vielleicht den Ökologischen Fussabdruck eines Hotels finden, neben der Sozialbilanz im Bereich Mitarbeitende oder der Bilanz der lokalen Wertschöpfung, Angaben, die sich mit denen anderer Hotels vergleichen liessen.
In der Schweiz seien die meisten Angebote eben schon auf einem hohen Stand der Sozial- und Umweltverantwortung, versucht Müller den fairunterwegs-Koffer zu trösten: Sie seien meist mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen, die Mitsprache an den Destinationen sei durch die Gemeindeautonomie gegeben, der Mindestlohn liege in der Schweiz viel höher als in unseren Nachbarländern. Schön und gut, meint dazu der fairunterwegs-Koffer. Aber noch immer erhalten die meisten Mitarbeitenden im Schweizer Gastgewerbe nicht den vollen 13. Monatslohn, manche klagen über unhaltbare Verpflegung, langjährige Mitarbeitende ohne Beruflehrabschluss erhalten nur den Minimallohn, prekäre Arbeit ist verbreitet – obwohl das Gastgewerbe in den letzten Jahren einen konstanten Aufschwung erlebt hat.

Informationen zur Schweiz über Deutschland

In Deutschland haben es die Veranstalter zumindest der ökologisch denkenden Kundschaft einfacher gemacht, das richtige Angebot zu finden. Seit 17 Jahren erscheint jährlich „verträglich Reisen – das Magazin für Reisen und Umwelt“. Es ist die einzige Zeitschrift im deutschsprachigen Raum, die sich mit dem umweltschonenden Reisen beschäftigt. Im umfassenden Serviceteil ist die aktualisierte Liste von Hotels und Pensionen zu finden, die mit dem Umweltgütesiegel der „Blauen Schwalbe“ zertifiziert sind. Auf der Website von vertraeglich-reisen.de sind auch die Steinbock- und ecocamping und Blaue Schwalbe-Unterkünfte der Schweiz zu finden, zusammen mit der Erklärung der Labels. Und all dies viel aktueller als in der Schweiz, wo „Der andere Hotelführer“ oekohotel.ch 45 Schweizer Hotels auflistet, die erklären, sich in definierten Bereichen ökologisch zu engagieren – letztmals vor drei Jahren aktualisiert.

Hartnäckig bleiben – und offen für Neues

Der fairunterwegs-Koffer will sich seine Ferien nicht vergällen lassen. Es braucht kritische KonsumentInnen, die sich von den Hindernissen auf dem Weg zum sozial- und umweltverträglichen Angebot nicht schrecken lassen. Vielleicht geht er einen Kofferfreund im Unterengadiner Bergdorf Vnà besuchen. Dort könnte er aus nächster Nähe das neuste gemeindeorientierte Tourismusprojekt der Schweiz begutachten. Das „dezentrale Hotel Vnà“ wird am 1. Mai eröffnet: Mit dem Gast- und Kulturhaus Piz Tschütta als Begegnungszentrum für Gäste und Einheimische und den Gastzimmern im ganzen Dorf. – Hat der fairunterwegs-Koffer bei einem Zwischenhalt auf seiner Surftour auf hotelvna.ch zufällig erfahren.
Tourismus Schweiz www.myswitzerland.com; Verträglich Reisen 2008 www.vertraeglich-reisen.de; www.hotelvna.ch Travelmanager Dezember 2007; eigene Recherchen