Basel, 03.03.2011, akte/ Kürzlich hörte der fairunterwegs-Koffer in einem Espresso-Beitrag auf Schweizer Radio DRS 1 die Geschichte von Hansruedi Böss: Er buchte im März 2010 eine im Arcada-Prospekt ausgeschriebene All-inclusive-Carreise an die Adria für 199 Franken. Mit allerlei Zuschlägen zahlte er 623 Franken. Doch die Zahlungsbestätigung erhielt er für eine komplett andere Reise, die auch noch "aus logistischen Gründen" auf Mitte Oktober verschoben wurde. Dann ist allerdings die Badesaison vorbei. Herr Böss beschwerte sich schriftlich beim Reisebüro und versuchte immer wieder anzurufen, doch ohne Erfolg. Erst kurz vor Oktober erreichte er den Geschäftsführer. Der teilte ihm mit, die Reise sei abgesagt. Im Dezember meldete das Reisebüro Konkurs an. Das Geld von Hansruedi Böss ist in der Konkursmasse verschwunden. Der Geschäftsführer der konkursiten Firma Arcada Reisen AG, Peter Weisskopf, ist inzwischen Geschäftsführer von Regina Reisen und Vertrieb GmbH – einem kleinen Reiseveranstalter ohne die obligatorische Kundengeldabsicherung. Herr Böss ist kein Einzelfall: Jahr für Jahr kommen solche und ähnliche Geschichten in die Presse. Auch beim Ombudsman der Schweizer Reisebranche, Beat Dannenberger, melden sich jährlich "eine gute Handvoll" Leute, die auf ähnliche Weise um ihr Reisegeld geprellt wurden.

Parlament bleibt beim Verbraucherschutz auf halbem Weg stehen

Dass der Reisemarkt zugunsten eines verbesserten Verbraucherschutzes reguliert werden muss, erkannte die EU schon vor über zwanzig Jahren. 1990 erliess der Rat der EU eine Richtlinie zum Verbraucherschutz bei Pauschalreisen. Sie verlangt, dass die EU-Länder die Kundengeldabsicherung für Pauschalreisen einführen. Die Schweiz zog im Juni 1993 mit dem Pauschalreisegesetz nach, in dem vorgeschrieben ist, dass Reiseveranstalter und/oder Vermittler die für Pauschalreisen erhaltenen Kundengelder für den Fall eines Konkurses absichern müssen. Der Bundesrat schlug damals Strafen bei Zuwiderhandlung gegen das Gesetz vor. Doch davon wollte das Parlament nichts wissen. Es lehnte die Strafbestimmungen ab und baute darauf, dass die Branche den notwendigen Schutz der Kunden schon irgendwie auf die Reihe kriegen würde.

Der Kunde muss selber aufpassen

Dem ist aber nicht so: 17 Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes haben von den 2’500 Reisebüros in der Schweiz rund 600 keine Kundengeldabsicherung – also geschäftet fast jedes vierte Reisebüro illegal. Wer dort bucht, riskiert im Falle eines Konkurses wie Hansruedi Böss sein Geld zu verlieren. „Trau schau wem“, empfiehlt Ombudsman Dannenberger. Jeder Kunde solle genau hinschauen, bei wem er eine Reise buche. "Es geht schliesslich um die schönste Zeit im Jahr, um ein bis drei Wochen Ferien und ein oder eineinhalb Monatslöhne. Wem gebe ich das? Einem, der irgendwo einen Tisch aufgestellt hat und vielleicht gar einen guten Eindruck macht – oder einem seriösen, ausgewiesenen Reisebüro?"
In der Schweiz erfolgt die Kundengeldabsicherung über sogenannte Garantiefonds. Das sind die Stiftungen Garantiefonds der Schweizer Reisebranche, Swiss Travel Security und Reisegarantie-Stiftung der Universal Flugreisen AG in Vaduz sowie die Vereinigung Travel Professionals Association. Der Kunde muss also prüfen, ob beim Reisebüro seiner Wahl das Logo eines dieser Versicherer erscheint – und dann auch noch, ob der Kundengeldversicherer das Reisebüro auch auf seiner Liste führt. Er muss herausfinden, ob das Reisebüro überhaupt unter Schweizer Recht fällt – nicht jede Internetadresse mit der Endung .ch gehört einem Schweizer Reisebüro. Der Kunde sollte zudem noch abschätzen können, ob seine Buchungen im Internet oder beim Reisebüro nun eine Pauschalreise darstellen oder nicht – etwas, worüber sich heute in der Schweiz und europaweit Juristen streiten. Eine hohe Anforderung, findet der fairunterwegs-Koffer.

Die Bundesverwaltung sitzt das Problem aus

"Ein Reisebüro wird immer einmal zum Veranstalter", sagt Walter Kunz, Geschäftsleiter des Schweizerischen Reisebüro-Verbandes SRV. "Aus dem Grund braucht beim SRV jedes Reisebüro eine Kundengeldabsicherung." Die Mehrheit der Reisebüros hält das Pauschalreisegesetz ein. Für die anderen, findet Kunz: "Es braucht eine Vollzugsbestimmung zum Gesetz, mit Sanktionen für Säumige." Mit diesem Anliegen sprach er vor ungefähr zehn Jahren zusammen mit einem Vertreter des Garantiefonds beim Bundesamt für Justiz (BJ) vor – ohne Erfolg. Da hilft auch nichts, dass die EU in ihrem Bericht zur Richtlinie schreibt: "Die staatlichen Behörden sollten sicherstellen, dass Veranstalter /Vermittler Pauschalreisen nur dann auf dem Markt anbieten, wenn sie nachgewiesen haben, dass die geforderten Sicherheiten gewährleistet sind. Das bedeutet, dass laufende Anstrengungen zur Marktüberwachung unternommen werden und Gewerbetreibende, die den Sicherungserfordernissen nicht nachkommen, als Anbieter ausscheiden müssen." – Die Schweiz tickt anders: Der heute beim BJ zuständige Beamte Felix Schöbi räumt zwar ein, dass nach der "reinen Lehre" zu einem Gesetz eine Strafbestimmung und ein Kontrollmechanismus gehören, etwa eine Bewilligungspflicht für Reiseanbieter, die für die Bewilligung den Nachweis einer Kundengeldabsicherung erbringen müssten. Doch grundsätzlich findet er, das Pauschalreisegesetz greife und die Selbstverantwortung der Branche funktioniere zufriedenstellend. Alle paar Jahre komme das Thema wieder gross in den Medien. "Das sitzen wir einfach aus. Es war schliesslich ein politischer Entscheid des Gesetzgebers, keine Sanktionen zu beschliessen. Solange kein Vorstoss eines Parlamentariers erfolgt, werden wir nichts unternehmen, um das Defizit zu beseitigen."

Es braucht Druck

Der fairunterwegs-Koffer wandte sich an die Schweizerische Stiftung für Konsumentenschutz (SKS). "Dass pro Jahr eine gute Handvoll Leute betroffen seien, erstaunt mich. Wir haben das Thema nicht aufgenommen, weil sich zu wenig Kunden bei uns gemeldet haben", erklärte Geschäftsführerin Sara Stalder. "Vielleicht liegt das an der Vermittlung des Branchen-Ombudsmans. Aber der Handlungsbedarf ist offensichtlich!" Der fairunterwegs-Koffer fordert die säumigen Reisebüros auf, die Kundengeldabsicherung ernst zu nehmen, auch wenn sie etwas kostet: Wer sich die Sicherstellung nicht leisten kann, soll auf den Verkauf solcher Reisen verzichten. Und er fordert die Gesetzgeber auf, endlich den Verbraucherschutz ernst zu nehmen und für eine griffige Vollzugsbestimmung mit Sanktionen zu sorgen.