Basel, 02.04.2009/ Kürzlich fand der fairunterwegs-Koffer im Tages-Anzeiger einen Ökobilanzvergleich von acht Ferienarten nach der Methode der Umweltbelastungspunkte, erstellt vom Umwetberatungsunternehmen Esu-Services in Uster. Dabei schnitt die einwöchige Kreuzfahrt in Griechenland schlechter ab als die eine Woche Badeferien in Yucatan/Mexiko, worüber nicht nur der fairunterwegs-Koffer staunte, sind doch lange Flugreisen meist der entscheidende Negativfaktor in der Ökobilanz. ETH Umweltphysikprofessor Nicolas Gruber schenkte den Zahlen der Vergleichsstudie keinen Glauben und meinte: „Die Unsicherheiten bei der Berechnung der Belastung der Kreuzfahrtschiffe sind zu hoch.“ Auch TUI-Sprecher Roland Schmid machte geltend, die Belastung bei Kreuzfahrten sei „im Wesentlichen abhängig von der Antriebstechnologie und der Entsorgung“. Tatsächlich wurden in einer WWF-Studie im Frühjahr halb so hohe CO2-Werte für Kreuzfahrten errechnet. Kein Wunder bemerkt Claude Siegenthaler vom Technologiezentrum der Empa St. Gallen, der Stelle, die schon in den 80er Jahren Grundlagen für Ökobilanzen erarbeitet hat, man sei sich noch nicht einmal in Fachkreisen der Ökobilanzierung einig, „ob die Suche nach diesem ‚Grünen Gral’ überhaupt Sinn macht“.

Verschiedene Bewertungsmethoden hemmen die Anwendung

Das wollte der fairunterwegs-Koffer etwas genauer wissen. Ökobilanzen von Reisen oder von Bestandteilen davon werden heute von myclimate, von atmosfair, von den Bahngesellschaften, dem WWF und anderen angeboten. Sie werden nach verschiedenen Standards und Methoden erstellt und berechnen Punkte oder CO2-Äquivalenzwerte. In der Schweiz oft verwendet wird die Methode der „ökologischen Knappheit“ welche die Umwelteinwirkungen in so genannte Umweltbelastungspunkte umrechnet. Sie wurde 1990 vom Bundesamt für Umwelt in Zusammenarbeit mit schweizerischen Unternehmen entwickelt und vergleicht die Verhältnisse von Zielwerten der Umweltpolitik mit dem aktuellen Niveau an Umwelteinwirkungen.
Daneben gibt es eine ganze Reihe international anerkannter Verfahren: Das Konzept der Wirkungsindikatoren (CML-Methode), der  kumulierter Energieaufwand, MIPS, kritische Volumina, Sustainable Process Index, Eco-Indikator 99-Gewchtungsmethode… Auch zwei ISO-Normen – ISO14040 und ISO 14044 – leisten eine Verdichtung vielfältiger Umwelteinwirkungen und –auswirkungen zu einem einzigen Umweltindikator. In einer Bewertung der Ökobilanzen bemerkt Claude Siegenthaler: „Die akutesten Hemmnisse bestehen heute eindeutig in der praktischen Anwendung … und in der Einigung auf die Anerkennung von Bewertungsmethoden.“

Wenn Äpfel mit Birnen verglichen werden

Zwei Rahmenbedingungen entscheiden über die Aussagekraft und Qualität von Ökobilanzen. Zum einen muss bei vergleichenden Ökobilanzen sichergestellt werden, dass Gleiches mit Gleichem verglichen wird. Genau das ist aber auf Reisen schwierig. Als Entscheidungsgrundlage reicht es dem fairunterwegs-Koffer nicht, wenn der durchschnittliche Wasserverbrauch und der durchschnittliche Abfallberg eines durchschnittlichen Dreisternhotels eines durchschnittlichen Landes mit einem durchschnittlichen Zeltplatz verglichen werden. Denn die Unterkünfte sind nicht einfach aufgrund ihrer Grösse ökologisch gut oder schlecht. Die Umweltwirkung hängt vom Wasser- und Abfallmanagement ab, von den Bemühungen um die Erhaltung der Artenvielfalt oder etwa davon, wie viel Steuern die Unterkunft dem Staat für die Abwasserreinigung zahlt.
Die Glaubwürdigkeit und Wissenschaftlichkeit jeder Ökobilanz steht und fällt mit der Wahl der Systemgrenzen, in unserem Beispiel mit dem Entscheid, welche Aspekte einer Reise in die Ökobilanz einfliessen sollen. Selbst wenn eine Ökobilanz alle oben genannten Kriterien in Betracht zu ziehen vermöchte, würde der fairunterwegs-Koffer immer noch wissen wollen, ob das Hotel auf dem Land von Indigenen gebaut wurde, die das Land zuvor viel nachhaltiger genutzt hatten – Daten, die in keiner Ökobilanz zu finden sind und dort wohl auch keinen Sinn machen.

Sinnvolle Ökobilanzen bewerten Unterkünfte oder Transportwege

Deshalb ärgert sich der fairunterwegs-Koffer mittlerweile über den Hype der Reise-Ökobilanzen. Wer umweltschonend reisen will, kommt nicht darum herum, sich genau darüber zu informieren, welche Umwelt- und Sozialverantwortung ein touristischer Betrieb unternimmt und wie die eigene Reise sich auf die Umwelt und die Situation der Lokalbevölkerung auswirkt. Da führt kein Weg an einer detaillierten Angebotsdeklaration vorbei, wie der fairunterwegs-Koffer sie schon lange fordert. Dabei wären Ökobilanzen hilfreich, aber nicht als Mischwert von Hunderten von Durchschnittswerten, sondern nur innerhalb enger Systemgrenzen, zum Beispiel als Transportenergiebilanz. Das Angebot ist auch auf diesem Gebiet gewachsen: Die aufgeschlossenen Reiseveranstalter bieten seit kurzem ihrer Kundschaft die Möglichkeit, bei der Buchung von Flugreisen für die Umweltbelastungen eine freiwillige Spende zugunsten von myclimate-Projekten zu entrichten. Der WWF Travel-Helper berechnet die Transportemissionen und die Reisezeit und sucht zumindest für Europa umweltschonende Alternativen. Auch hier kann der CO2-Ausstoss per Mausklick kompensiert werden für Gold-Standard Klimaprojekte von climatefriendly. Sehr detaillierte Angaben zur Umweltbelastung der verschiedenen Reisearten in Europa macht auch das SBB-Tool ecopassenger. Pro Reiseweg wird der Ausstoss von Kohlendioxid, Feinstaub, Stickoxiden, und Nicht-Methan-Kohlenwasserstoffen sowie der Energieressourcenverbrauch von Bahn, Auto und Flugzeug miteinander verglichen. Dazu gibt es kurze Erklärungen, welcher Ausstoss zu welcher Art von Verschmutzung führt. Begrüssen würde der fairunterwegs-Koffer auch Ökobilanzen einzelner Unterkünfte – nach Möglichkeit nach einem einheitlichen System bewertet.
Quellen: Coopzeitung 13.01.2009; Mylife 01/2009, www.mylife.de; Tages-Anzeiger 22.12.2009; WWF-Newsletter 18.12.2009; WWF 2008: The Tourist Climate Footprint. WWF Report on environmental impacts of holiday trips; Claude Siegenthaler: Ökologische Rationalität durch Ökobilanzierung, Metropolis 2006; www.oebu.ch; www.sbb.ch/ecopassenger.ch;