Der fairunterwegs-Koffer ärgert sich über die intransparente Preispolitik der Airlines
Basel, 01.07.2010, akte/ Im letzten halben Jahrhundert sind die Preise fürs Fliegen stetig gesunken. So waren Flüge über den Atlantik 1990 – also noch vor dem grossen von den Billigfliegern lancierten Preiskampf – im Verhältnis zu den Löhnen neuneinhalbmal billiger als 1950. Der heftige Preis- und Verdrängungskampf hat die Margen der Fluggesellschaften schrumpfen lassen. Billigflieger senkten die Löhne, sparten bei den Flughafentaxen durch die Wahl kleinerer abgelegener Flughäfen und bei den Kosten für Dienstleistungen mit den sogenannten No-Frills-Angeboten – also Angeboten ohne Schnick-Schnack und wenig Service. Regierungen subventionierten grosszügig "ihre" Airlines und glichen Verluste aus, um den "eminent wichtigen" Wirtschaftszweig am Leben zu erhalten. Das hat massgeblich die rasante Zunahme der Flugreisen gefördert. Doch jetzt steigt der Druck auf die Flugpreise massiv.
Eine zerbrechliche Industrie
Angesichts der sich abzeichnenden Klimakatastrophe und der nach der Finanzkrise gebeutelten Staatskassen planen verschiedene EU-Länder Steuern auf Flügen. Aufsehen erregte Deutschland mit der Ankündigung einer "ökologischen Luftverkehrsabgabe", die eine Milliarde Euro Staatseinnahmen generieren soll. Das ist gut, findet der fairunterwegs-Koffer: Schon lange fordern Umweltverbände, die Bevorzugung der besonders klimaschädlichen Fliegerei gegenüber wesentlich umweltfreundlicheren Verkehrsmitteln wie Bus oder Bahn müsse aufhören. Und auch die Reiseveranstalter vom forum anders Reisen vertreten diese Meinung. Aber eine Milliarde Euro sind mehr als der Gewinn, den die deutschen Fluggesellschaften erwirtschaften.
Auch die steigenden Ölpreise machen den Airlines schwer zu schaffen. Bisher konnten sie die Zusatzkosten voll auf die Kunden abwälzen. Doch sollte die Nachfrage aufgrund einer ungünstigen Konjunktur wie letztes Jahr sinken, geht diese Rechnung nicht mehr auf. "Trotz unserer harten Arbeit deckt die Marge von 0,5 Prozent noch nicht einmal die Kosten des eingesetzten Kapitals", klagt Giovanni Bisignani, Generaldirektor und CEO der Internationalen Air Transport Association IATA: "Die Industrie ist zerbrechlich. Die Herausforderung, die Branche zu stärken erfordert eine engere Zusammenarbeit zwischen Regierungen, den Belegschaften und den Partnern in der Industrie. Sie alle müssen begreifen, dass die Branche die Kosten weiter senken und ihre Effizienz verbessern muss. Die Industrie muss weiterhin in die Lage versetzt werden sich selbst zu restrukturieren, um nachhaltig profitabel zu werden. Wir müssen uns auf grössere Veränderungen gefasst machen." Da fragt sich der fairunterwegs-Koffer, wie denn aus einer ausgequetschten Zitrone noch mehr Saft zu holen ist. Was ist das für ein Business, das seit über zwei Jahrzehnten nicht einmal seine Kapitalkosten zu decken vermag?
Airlines entwickeln kreative Preissysteme
Die Airlines haben in letzter Zeit viel Kreativität darauf verwendet, Preissysteme zu entwickeln, bei denen die Kunden unter dem Strich mehr zahlen, ohne dies auf Anhieb zu merken. Zauberworte sind "unbundling", "rebundling", "upselling", Kundensegmentierung oder "Customer Relationship Management". Unbundling ist das neudeutsche Wort für die Tatsache, dass bisher im Ticketpreis eingeschlossene Leistungen nun extra verrechnet werden: das Check-In am Flughafen, die Gepäckaufgabe, die Mahlzeit während des Flugs. Rebundling bezeichnet Leistungspakete für Zielgruppen wie Familien, die zusammensitzen wollen, oder Geschäftsleute, die schnell aussteigen und abgefertigt werden möchten. Upselling bezeichnet Sonderleistungen wie breitere Sitze oder Internetzugang. Unter Kundensegmentierung oder Englisch "Customer Relationship Management" fallen etwa die Vielfliegerprogramme, aber auch Programme zur genauen Erfassung, über welche Kanäle wie viele Buchungen eingehen, wodurch die Auslastung der Flüge optimal gesteuert werden kann. In den USA verdoppelten sich letztes Jahr in einem einzigen Quartal die Extraerlöse und machten sieben Prozent der Gesamterlöse aus. In gewissen Grenzen, findet der fairunterwegs-Koffer, mögen innovative und zielgruppenspezifische Angebote sinnvoll sein. Doch wenn der Kunde plötzlich Leistungen zusätzlich bezahlen muss, auf die jeder Flugreisende angewiesen ist und die bisher selbstverständlich zum Standard gehörten, ist das unwürdig. Auch Hans-Jörg Leuzinger, Präsident des Schweizerischen Reisebüro-Verbands, warnt: "Bisherige, auch für den Passagier nützliche Standards in der Airline-Industrie dürfen nicht weiter zerfallen."
Beispiele gefällig? Der irische Billigflieger Ryanair schlägt eine WC-Gebühr von $ 1.55 vor, Spirit-Airlines aus Florida verlangt ab August $ 45 für ein Handgepäck und zwischen $15 bis $50 für das eingecheckte Gepäckstück, wer sein Gepäck nicht online checkt, muss eine Sondergebühr zahlen; übergewichtige Passagiere müssen in gewissen Airlines zwei Sitze zahlen, auch auf Langstreckenflügen kostet in gewissen Airlines das Essen extra, Plätze, die genügend Raum für die Beine lassen, werden nicht länger den Personen mit Venenproblemen überlassen, sondern am Gate versteigert, Kopfhörer, Decken und Kissen werden als Flugkits verkauft. Die Liste der Sondertarife und -regelungen ist lang. Gemäss einer kürzlichen Verbraucherumfrage in den Vereinigten Staaten gehören die undurchsichtigen Gepäck- und Sondertarife zu den grössten Ärgernissen beim Reisen. Und auch beim Schweizer Ombudsmann der Reisebranche führen sie zu einer Zunahme der Beschwerden.
Kampf um Orientierung im Gebührendschungel
Von den 1’863 Fällen, die der Ombudsmann letztes Jahr bearbeitet hat, sind rund ein Drittel auf Unstimmigkeiten oder Fehler in der Kommunikation zwischen Reisenden und der Buchungsstelle zurückzuführen. Denn nicht nur, wer online bucht, hat Schwierigkeiten, festzustellen, welche Leistung er oder sie mit dem angegebenen Preis bezahlt. Auch in den Reisebüros ist die neue Marketingstrategie der Airlines mit viel unbezahlter Arbeit verbunden – was bisweilen zu Überlastungen führt und auch auf Kosten der Nachhaltigkeitsbemühungen geht. Jetzt hofft man dort auf neue Zusatzservices bei den Reservierungssystemen. Die IATA drängt alle Betreiber von Reservierungssystemen, bis Ende 2010 für den Verkauf gesonderter Leistungen bereit zu sein.
Wer im Internet seine Reise bucht, muss sich viel Zeit nehmen: auch das Kleingedruckte und die Geschäftsbedingungen genau lesen, nachfragen, wieviel Gepäck erlaubt ist und was für zusätzliche Taxen und Gebühren anfallen. Bei der Planung von Reisen mit Anschlussflügen empfiehlt der fairunterwegs-Koffer den Gang ins Reisebüro. Leuzinger sagt dazu: "Wir sind eine Dienstleistungsbranche, und unser wichtigstes Gut ist der direkte Kontakt zum Kunden. Wir können ihm im Airline-Chaos einen Mehrwert liefern, den er auch honoriert". Tatsächlich haben die Experten besseren Zugang zu den Informationen über die verschiedenen Gebühren und werden zum Beispiel gewarnt, wenn die Umsteigezeit zu kurz berechnet wurde. Die Experten von eTurboNews empfehlen zudem, für teurere Reisen immer eine Reise- und Annulationsversicherung abzuschliessen.
Quellen: "Die Standards in der Airline-Industrei dürfen nicht weiter zerfallen", Travel Inside, 17.06.2010; IATA lashes out about new German tax on air transport, eTurbonews 08.06.2010, www.eturbonews.com; Trotz Krise: Iata prognostiziert Milliardengewinn für Airlines im Jahr 2010, www.reisenews-online.de 07.06.2010; Endlich unvergleichlich, fvw 28.05.2010; Report: Fees, extra charges and rude staff annoy airline passengers the most, eTurboNews 11.05.2010, www.eturbonews.com; Getting sick and tired of being sick and tired of ludicrous airline fees, eTurboNews 19.04.2010, www.eturbonews.com; Jahresbericht 2009 des Ombudsmans der Schweizer Reisebranche, 19.03.2010 www.ombudsman-touristik.ch; Strafe oder Anreiz. Eine empirische Untersuchung zur Kundensteuerung in der Airline-Branche, Dissertation der Uni St. Gallen von János Hée, Publiziert beim Cuvillier Verlag, Göttingen 2008; Wolfram Siemann (Hrsg.), Umweltgeschichte. Themen und Perspektiven, beck’sche Reihe, C.H. Beck, München 2003, S. 77