Basel, 15. April 2010, akte/ Im März erreichte das weltgrösste Kreuzfahrtschiff "Oasis of the Sea" zum ersten Mal die 6’000er-Schwelle und setzte damit einen neuen Passagierzahlenrekord. Die Dimensionen dieses Schiffs lösen beim fairunterwegs-Koffer abwechselnd Ahs! und Ohs! aus: Der 1,4 Milliarden US-Dollar teure Kreuzer ist 360 Meter lang, 63 Meter breit und damit fünfmal so gross wie seinerzeit die Titanic. Neben den maximal 6’300 Passagieren reist auf dem Kreuzer noch eine 2’000 Personen starke Crew mit, insgesamt trägt er also 8’300 Personen! Die "Oasis" bietet mit dem "Central Park" eine Openair-Promenade mit 12’000 lebenden Pflanzen und Bäumen, gesäumt von Cafés und Bars. Die Zimmer haben Whirlpool und Balkon mit Blick zum Beispiel auf das Aqua-Theater (das von der Bühne direkt in den Pool übergeht), Pool- und Sportzone, Entertainment Place mit Show Lounges, Casino, Eisrevue, Lifestile Areale und weitere urbane Freizeitvergnügen sind über 16 Decks verteilt.
Die Kreuzfahrt, früher romantisches Luxusvergnügen reifer Pärchen, hat in der ersten Dekade dieses Jahrtausends um 80 Prozent zugelegt und boomt der Wirtschafts- und Finanzkrise zum Trotz. Letztes Jahr buchten 13,4 Millionen Menschen eine Kreuzfahrt – davon mehr als eine Million Deutsche. An der Internationalen Tourismusbörse Berlin ITB wurde ein weiteres steiles Wachstum prophezeit. Pier Luigi Foschi, Vorsitzender und CEO von Costa Crociere, Europas grösster Kreuzfahrtreederei, sieht im europäischen Markt viel Potenzial: "Unsere Marktdurchdringung liegt heute bei bloss einem Prozent, während in den Vereinigten Staaten drei von zehn Ferien als Kreuzfahrt gebucht werden."
Aber wie toll ist eigentlich so eine Kreuzfahrt auf einer schwimmenden Stadt? Dabei sorgt sich der fairunterwegs-Koffer nicht in erster Linie über die Risiken im untersten Promillebereich, so alarmierend sie jeweils auch klingen mögen: Schiffe, auf denen die Passagiere wegen einer Norovirenepidemie mit Durchfall in ihren Kabinen in Quarantäne bleiben müssen. Piraten, die auf Kreuzschiffe schiessen, wie vor zwei Jahren im Golf von Aden auf die M/S Nautica. Eisberg-Kollisionen wie vor drei Jahren die M/S Explorer. Seekrankheit, Monsterwellen, Über-Bord-Stürze. Relativ häufig ist das Verpassen des Schiffs wegen eines verspäteten Flugs oder eines Verkehrsstaus. Der fairunterwegs-Koffer gibt gerne den Tipp eines Experten weiter: Nehmen Sie immer die Tageszeitung des Schiffs mit. Dort stehen die Kontaktdaten des Hafenagenten. Dieser wird das Schiff benachrichtigen, dass Sie nicht an Bord sind und Ihnen helfen, die Reise zum nächsten Hafen zu organisieren.

Pauschalreisetourismus in Extremform

Der fairunterwegs-Koffer fragt sich eher, wie vergnüglich es ist, so durchorganisiert zu reisen: 6’000 Personen auf so kleinem schwimmendem Raum zu verpflegen, zu unterhalten und konfliktfrei durch die Ferien zu bringen ist eine logistische Herkulesaufgabe. Passagiere müssen sich an genaue Essenszeiten halten, wissen, wann sie für welches Programm auf welchem Deck sein müssen. Und wenn sie an Land gehen, bewegen sie sich in genau abgesprochenen Bahnen. Sie sehen das, was man ihnen zeigt, hören das, was man ihnen sagt, geben dort ihr Geld aus, wo der Reiseveranstalter es will. Es ist die Extremform von Pauschalreisetourismus, zu 80 Prozent in den Händen der drei grössten Reedereien konzentriert, eine Reiseform, an der Entwicklungsländer wie Haiti praktisch nichts verdienen. Es ist eine gigantomanische Reiseindustrie, die noch für die Investoren gute Gewinne abwirft, während von den Megaprojekten zu Land eins ums andere Konkurs geht.

Schlechte Sozial- und Umweltbilanz

In den letzten Tagen hat der Koffer ganz Übles über die Sozial- und Umweltauswirkungen der Kreuzfahrt erfahren. Einige Beispiele: Ein Kreuzschiff wie die Queen Mary 2, knapp halb so gross wie die Oasis, produziert so viel Feinstaub wie 50’000 Autos, die mit Tempo 130 fahren. Bei einer achttägigen Karibikkreuzfahrt ab Miami betragen die CO2-Emissionen für zwei Personen in einer Balkonkabine rund drei Tonnen. Fliegen die beiden Passagiere zusätzlich von Frankfurt nach Miami, so kommen nochmals 10,5 Tonnen dazu – das klimaverträgliche Jahresbudget eines Menschen liegt bei drei Tonnen. Die gesamte Seeschifffahrt produziert in etwa so viel CO2 wie der Luftverkehr – und ist wie dieser vom Emissionshandel ausgenommen. Der Treibstoff der meisten Kreuzer ist Schweröl mit einem Schwefelgrenzwert, der 100-fach höher liegt als im Strassenverkehr. Unmengen an Schadstoffen werden zum grossen Teil im Ozean entsorgt oder in die Luft geblasen. Es gibt praktisch keine Verbote für die Entsorgung von Abfall im Meer – nicht einmal für gefährliche Abfälle wie Chemikalien, Waschmaschinenlaugen, Druckertoner oder Batterien, ausgenommen in Ufernähe. Wegen der extrem ausbeuterischen Arbeitsbedingungen nennt man die Kreuzer in Anlehnung an die Kleiderfabriken auch „Sweatships“.

Wo ein Wille wär, wär auch ein Weg

"Es wird enorm viel in die Erforschung des Klimawandels investiert, aber nur sehr wenig in die Lösung der Probleme", kritisierte Costa Crociere-CEO Foschi an der ITB-Diskussion zur Kreuzschifffahrt. Die anwesenden Umweltfachleute belehrten ihn eines Besseren. Es gibt durchaus Ansätze zu mehr Nachhaltigkeit: Der Umstieg auf Dieselöl würde den Schiffsverkehr klimafreundlicher gestalten. Man könnte Schiffe, die im Hafen liegen, mit Landstrom versorgen. Schiffsabwässer müssten durch gute Klärtechnik entsorgt oder an Kläranlagen in den Häfen angebunden werden. Aber die Vorschläge müssten von den Reedereien auch umgesetzt werden. Dafür scheint das Interesse bislang nicht eben gewaltig zu sein: Es könne nicht sein, meint zum Beispiel Foschi, dass die Entwicklung von Antworten inklusive der finanziellen Last, die damit verbunden ist, ganz von einzelnen Unternehmen oder Destinationen geschultert werden müsse.
Einige an der ITB vorgestellte Ansätze, haben den fairunterwegs-Koffer nicht restlos überzeugt. So etwa die CO2-Kompensation für Kreuzfahrer, bei der die Emission pro Gast aus aus den Schiffsstammdaten und den Maschinendaten der gängigsten Kreuzfahrtschiffe ermittelt wird. Das Schiff kann Emissionen vermindern, indem es langsamer fährt. Und je grösser und je besser ausgelastet das Schiff, desto geringer die Emissionen pro Gast – was für Gigakreuzer wie die "Oasis" sprechen würde. Nur scheint sich der Klimakompensations-Anbieter atmosfair dabei nicht zu überlegen, was es bedeutet, wenn alle 8’000 Personen in fragilen Küstenregionen gleichzeitig auf Landausflug gehen.

Mehr Nachhaltigkeit einfordern!

Wer sich in die Kunstwelt der Kreuzschiffe und in die Obhut deren beeindruckender Logistiker begibt, hat wenig Spielraum, sein Reisen nachhaltig zu gestalten. Deshalb, findet der fairunterwegs-Koffer, sollten KundInnen vor der Buchung bei Veranstaltern und Reedereien Druck für mehr Nachhaltigkeit machen. Durch Fragen nach der Sozial- und Umweltstrategie der Reederei: Wie alt ist das Schiff? Wie schnell fährt es? Mit welchem Treibstoff? Verfügt es über eine moderne Kläranlage? Wie werden die Abwässer und der Abfall entsorgt? Wie sind die Arbeitsbedingungen auf dem Schiff?
Auch der politische Druck für eine bessere Regulierung der Kreuzschifffahrt ist wichtig. Es braucht Kontrollen der Arbeitsbedingungen auf den Schiffen durch die Internationale Arbeitsorganisation ILO und eine griffige Regulierung des Kreuzfahrttourismus durch die International Maritime Organisation IMO. Der fairunterwegs-Koffer ist gespannt auf den Vorschlag, den zurzeit die IMO-Expertengruppe im Hinblick auf die nächsten internationalen Klimaverhandlungen im Herbst 2010 ausarbeitet, mit CO2-Verminderungszielen, Schiffsbaunormen und Grenzwerten.
Quellen: Cruise fears and why you shouldn’t worry about them, eTurbo News 11.04.2010; www.eturbonews.com; travelmanager April 2010; CO2-Kompensation für Kreuzfahrer, Pressetext 13.03.2010 und ITB-Berlin: Boom bei Schiffsreisen ungebremst, 10.03.2010, www.pressetext.ch; Heiko Reuter: Kreuzfahrtenanbieter surfen auf der Erfolgswelle, ITB-Tagungsbericht ITB Berlin 12.03.2010; Isabel Bommer: Kreuzfahrten und Klimawandel: Mehr in Problemlösung statt Grundlagenforschung investieren, Tagesbericht ITB Berlin 12.03.2010; Günter Ermlich: Marine conservation and Cruise tourism, ITB Special-Press Release, 09/2010; Going on cruise? Stay away from public bathroom, eTurbo News 19.11.2009, www.eturbonews.com; Alle wollen an Bord, SonntagsZeitung 27.09.2009; Titanic times five: Oasis of the Seas aims to leave cruise rivals in huge wake, Guardian 25.09.2009, www.guardian.co.uk;