Basel, 15.09.2011, akte/ Als der fairunterwegs-Koffer letzten Dienstag die Nachrichten über die Debatte im Schweizer Nationalrat hörte, war er höchst verwirrt. Jahrelang hatten die Umweltverbände und die linken und grünen Parteien erklärt, es brauche die CO2-Lenkungsabgabe auf Treibstoffe, um die Kyoto-Klimaziele zu erreichen. Und plötzlich wird diese Abgabe aus dem CO2-Gesetz gekippt, als ginge es dabei um ein kleines technisches Detail.
Das sei wegen des Drucks des Wirtschaftsverbandes economiesuisse, des schweizerischen Gewerbeverbandes und des Touring Clubs der Schweiz notwendig gewesen, erklärte Franziska Teuscher von den Grünen. Diese Verbände, analysierte sie, hätten sonst die CO2-Abgabe zum Vorwand genommen, um das ganze Gesetz zu kippen. Also auch das wichtige Ziel, bis in neun Jahren 20 Prozent CO2 gegenüber dem Referenzjahr 1990 allein mit Massnahmen im Inland zu reduzieren. Dem fairunterwegs-Koffer ist das politische Gewicht des genannten Wirtschaftsverbands durchaus bewusst. Ausserdem stehen die Wahlen vor der Türe, die grünen und linken Parteien möchten so kurz vor den Wahlen keine Niederlage bei einem so wichtigen Gesetz einstecken.
Aber was hat es für Folgen, wenn man aus Angst vor einem von der Gegenseite massiv finanzierten Referendum gleich die ganze Position ändert? Der fairunterwegs-Koffer fürchtet, dass es damit unendlich viel schwieriger wird, gegenüber einer breiten Basis die eigene Position glaubwürdig zu kommunizieren.

Die Verhandlungspositionen bewegen sich kaum

Ende November beginnt die nächste Runde der internationalen Klimaverhandlungen. Doch die Verhandlungen stecken fest. Die wichtigen Wirtschaftsmächte bewegen sich nicht, bevor sich die andere Seite bewegt – und so bewegt sich keiner. Der Norden soll sich stärker für die CO2-Reduktion einsetzen, weil er stärker für die Klimaerwärmung verantwortlich ist. Aber das will er nur, wenn sich auch die Schwellenländer engagieren, die heute fast genausoviel CO2 ausstossen. Die Länder des globalen Südens machen Nachholbedarf geltend und wollen gewisse Emissionsrechte erhalten, um in ihrer wirtschaftlichen Entwicklung nicht behindert zu sein. Auch über die Frage, mit welchen Instrumenten dem Klimawandel begegenet werden soll, herrscht Uneinigkeit. Sollen es marktbasierte Instrumente sein? Dann sind die schlechter auf dem Markt positionierten Länder im Nachteil, und die globale Ungleichheit droht sich zu vergrössern. Oder braucht es einen Systemwandel? Aber der ist nicht mehrheitsfähig.

Die NGOs: gefangen im Labyrinth der technischen Details

Die Organisationen der Zivilgesellschaft haben sich in den letzten zwanzig Jahren mit unterschiedlicher Intensität an den Klimaverhandlungen beteiligt, beschreibt Barbara Unmüssig im dieses Jahr erschienenen Buch "Zivilisierung des Klimaregimes. NGOS und soziale Bewegungen in der nationalen, europäischen und internationalen Klimapolitik". Nach dem Erdgipfel in Rio 1992 engagierten sich viele Organisationen und Gruppen für das Thema. Fünf Jahre später, nach der Kyoto-Konferenz, zogen sich vor allem Entwicklungsorganisationen aus Nord und Süd aus dem Klimaprozess zurück und kümmerten sich wieder vermehrt ums Thema Armut und Welthandelssystem. So blieben etablierte Umweltorganisationen wie WWF und Greenpeace, Friends of the Earth oder das Climate Action Network CAN sowie weitere hochspezialisierte Nichtregierungsorganisationen (NGOs) unter sich. Sie befassten sich intensiv mit den technischen Details und den komplizierten Verhandlungsstrukturen. Und obwohl sie die marktbasierten Instrumente wie den Emissionshandel oder den mit etlichen Mängeln behafteten Mechanismus für umweltverträgliche Entwicklung (CDM) kritisierten, trugen sie sie doch mit. Zur Konferenz von Kopenhagen im Dezember 2009 klinkten sich plötzlich wieder mehr Akteure aus Nord und Süd ein und forderten Debatten über Klimagerechtigkeit. Trotzdem blieb die Teilnahme an den Konferenzen ein Privileg für wenige, die sich das überhaupt leisten konnten: Ein wunderbarer Ort, um Visitenkarten zu verteilen und sich zu vernetzen, auch ganz neue Projekte mit neuen Partnern anzuzetteln. "Zwischen die seidenen Laken der Unterdücker schlüpfen", nannte einst Winnie Mandela, die frühere Frau des Friedensnobelpreisträgers Nelson Mandela, das Verhalten jener, welche in der erhabenen Ambiance der Verhandlungen die Tuchfühlung mit denen verloren hatten, um die es geht. In der NGO-Gemeinde, schreibt Unmüssig, habe sich eine Kluft geöffnet, "die eher hierarchisch organisierte ‹global Players› von anderen, weniger ressourcenstarken NGOs oder spontan organisierten Graswurzel-Organisationen und soziale Bewegungen trennt."
Eine solche Bewegung zur Klimagerechtigkeit traf sich im März dieses Jahres in Montreal, um Wege zu beschliessen, wie die "Erklärung der Weltkonferenz über den Klimawandel und die Rechte der Mutter Erde", die vor einem Jahr in Cochabamba verabschiedet wurde, in Handlungen auf lokaler und internationaler Ebene umgesetzt werden kann. Elisabeth Peredo Beltran, eine Teilnehmerin dieser Konferenz, brachte ihr Unbehagen über die offiziellen Klimaverhandlungen zum Ausdruck: "Pakistan, Brasilien, Mittelamerika, die Andenländer, die Philippinen, Russland, Australien und nun die USA mit schrecklichen Wirbelstürmen: Es ist wirklich beängstigend, dass all die Tragödien, die durch die Erderwärmung verursacht werden, das Herz der Verhandlungen gar nicht berühren."

Die NGOs und Parteien müssen ihre Rolle überdenken

Es gibt nicht eine Zivilgesellschaft mit einer Position, sondern indigene, feministische, umwelt- und sozial engagierte Gruppen, Gewerkschaften, Kirchen und unzählige weitere Interessensverbände. Deshalb geht es nicht an, dass ein paar NGO-Lobbyisten ohne Austausch mit der Zivilgesellschaft, die sie zu vertreten vorgeben, an den Konferenzen mitmischen. Der fairunterwegs-Koffer findet es in Ordnung, wenn nur ein paar NGO-VertreterInnen an die Konferenzen gehen – vorausgesetzt, sie gehen mit einem Mandat der Zivilbevölkerung und vertreten eine möglichst breit mit Gruppen aus Nord und Süd abgesprochene Position.
Aber um Bewegung in die Klimadiskussion zu bringen, braucht es bei Weitem nicht nur die Elitelobbyisten der NGOs, sondern das Engagement auf jeder Ebene der Gesellschaft, auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene. Damit eine solche Klimabewegung Wirkung zeigt, müssen die Erkenntnisse der letzten Jahre endlich konsequent in Handlungen umgesetzt werden. Nicht zuletzt wünscht sich der Koffer, dass Parteien wie NGOs an ihrer Glaubwürdigkeit arbeiten. Weniger Taktieren und Positionieren, dafür mehr Kampfgeist und Klarheit.