Basel, 25.10.2012, akte/ Voluntourismus boomt. Immer mehr Reisende möchten in ihren Ferien auch etwas Sinnvolles leisten. Grösster Beliebtheit erfreuen sich dabei Einsätze in Waisenhäusern, Kinderheimen und Schulen. Die Nachfrage ist so gross, dass die bestehenden Institutionen in vielen Reiseländern nicht ausreichen, um allen Einsatzwilligen einen Platz anbieten zu können. Das, so hört der fairunterwegs-Koffer, hat findige Unternehmer in verschiedenen Destinationen auf den Plan gerufen, die damit Fundraising und Profit machen wollen. Sie haben Waisenhäuser und Schulen extra für TouristInnen geschaffen. Diese sind einerseits beliebte Attraktionen für TouristInnen, die einfach den Ort besichtigen wollen. Andererseits bieten sie neue Betätigungsfelder für VoluntouristInnen.

Kinder und Jugendliche als Touristenattraktion

Der fairunterwegs-Koffer ist entsetzt über diese verhängnisvolle Entwicklung, deren Opfer klar die Kinder und Jugendlichen sind. Oft sind sie weder verwaist noch verwahrlost, sondern stammen lediglich aus armutsbetroffenen Familien. Sie werden aus ihrem Lebenszusammenhang gerissen und ins "Waisenhaus" verpflanzt. Dort wird ihr Alltag von Besuchen staunender TouristInnen oder von neuen Bezugspersonen geprägt, die sie "knuddeln" – meist von Herzen und in bester Absicht. Doch schon das allein, bezeugen Studien, schadet den Kindern, denn sie entwickeln dabei ein gestörtes Bindungsverhalten. Aber noch schlimmer: In verschiedenen Einrichtungen werden Kinder zur Adoption angeboten, in anderen haben Voluntouristen Schützlinge sexuell missbraucht, wie in den letzten Jahren mehrfach in der Presse berichtet wurde.
Und in der Schule lernen die Kinder und Jugendlichen von Gästen aus Übersee oft Stoff, der sie kaum für ihr künftiges Leben qualifiziert. Dafür hören sie alle paar Wochen wieder dieselben Englischphrasen oder lernen zum x-ten Mal das Einmaleins. Reguläre Lehrkräfte können angesichts des nicht abreissenden Zustroms an freiwilligen und oft selbsternannten Lehrerinnen und Lehrern gleich eingespart werden. Und andernorts kommen alle paar Wochen ganze Voluntouristengruppen und streichen die Schule neu, wie dies im ihrem Einsatz vorgesehen ist.

Für die Arbeit mit Kindern braucht es Fachleute mit interkultureller Kompetenz

"Kinder und Jugendliche sind keine Touristenattraktion!" findet der fairunterwegs-Koffer. Die Arbeit mit ihnen ist keine Freizeitbeschäftigung für Ferienreisende, die etwas Gutes tun wollen. Sie verlangt höchste fachliche – und in fernen Ländern auch interkulturelle – Kompetenz. Der fairunterwegs-Koffer stellt sich daher entschieden gegen jegliche Freiwilligeneinsätze von Ferienreisenden in Projekten mit Kindern und Jugendlichen. Für VoluntouristInnen gibt es genügend andere sinnvolle Einsatzmöglichkeiten im Umweltschutz oder in zivilgesellschaftlichen Organisationen.
Deshalb fordert der fairunterwegs-Koffer Reiseveranstalter auf, Waisenhäuser, Schulen und andere Institutionen mit Kindern und Jugendlichen aus ihrem Voluntourismus-Angebot zu streichen. Im Gegensatz zu den unsinnigen Ferieneinsätzen dauern sinnvolle Freiwilligeneinsätze in solchen Institutionen in der Regel mindestens ein halbes Jahr. Die Freiwilligen – und ebenso die Projekte, in die sie vermittelt werden – müssen nach den Standards der Entwicklungszusammenarbeit für den Einsatz von Fachleuten ausgewählt werden.

Reiseveranstalter tragen Verantwortung

Aber auch touristische Besuche sind fragwürdig. Oft werden Besucher beim Kontakt mit den Kindern nicht einmal von einer Vertrauensperson der Kinder begleitet. In vielen Ländern funktioniert die staatliche Aufsicht über Institutionen für Kinder und Jugendliche nicht. Es liegt in der Verantwortung der Tour Operators, genau zu prüfen, wie die Partnerinstitutionen die Interessen der Minderjährigen schützen. Und es lohnt sich auch, als Reisende kritisch nachzufragen, wie beim Besuch einer Einrichtung mit Kindern und Jugendlichen deren Schutz gewährleistet wird. Es gibt Institutionen, die sich umsichtig auf Besuche von TouristInnen vorbereiten. Die Gäste werden in einem extra dafür eingerichteten Raum über die Arbeit der Institution informiert. Dabei werden die Kinder und Jugendlichen in ihrem Alltag nicht gestört.
Klar ist: Wenn Ihnen Kinder und Jugendliche am Herzen liegen, verzichten Sie ebenso auf voyeuristisches Sightseeing wie auf Ferieneinsätze in Einrichtungen für Minderjährige und unterstützen stattdessen lieber ein seriöses Hilfswerk, das vor Ort Projekte professionell umsetzt, die den Bedürfnissen der Kinder und Jugendlichen gerecht werden.