Der fairunterwegs-Koffer freut sich:
Basel, 06.12.2012, akte/
Vom 26. November bis 7. Dezember findet die nächste Runde der internationalen Klimaverhandlungen statt. Mit welchen Erwartungen gehen Sie dorthin?
Ich erwarte nicht sehr viel von den politischen Verhandlungen. Es ist sehr schwierig, die Regierungsvertreter für eine globale Verpflichtung zu gewinnen. Denn die Aktivitäten in den einzelnen Ländern haben stark zugenommen. Ob Australien, Indien, China, Japan, die USA oder einzelne Staaten der USA – jedes Land hat sein eigenes nationales Klimaregime. Auch die Schweiz richtet ihre Bemühungen auf die Umsetzungen ihres eigenen nationalen Klimamodells. Damit steigt die Schwierigkeit, die Vielfalt der nationalstaatlichen Klimaschutzmodelle wieder unter einen Hut zu bringen. Aber die Länder werden sich in Doha über ihre Erfahrungen mit einzelnen Modellen austauschen. Was bringt das Emissionshandelssystem, was die kostendeckende Einspeisung oder wie können "Fossile Fuel Subsidies" abgeschafft werden? Das sind wichtige kleine Schritte.
Bringen uns diese kleinen Schritte im Klimaschutz weiter?
Ich glaube, wir dürfen nicht nur warten auf die von oben beschlossenen globalen Lösungen. Zupacken von "bottom-up" ist angesagt: Jeder und jede Einzelne, als Privatperson, als Stimmbürgerin, als Quartierbewohner, jede Firma und jede Amtsträgerin ist gefragt.
Doha wird ja auch einmal mehr die Jahresversammlung der weltweiten Klimaschützer von Nichtregierungsorganisationen und interessierten Firmen, also von allen, die unabhängig von den Regierungen den Klimaschutz voranbringen. myclimate wird an einer Nebenveranstaltung ihre Projekte vorstellen, Länderpartner treffen, Ideen austauschen und Projekte anstossen. Zudem wurden zwei unserer Projekte von der UN-Initiative "Momentum for Change" als Leuchtturm-Projekte ausgewählt und sollen vom Sekretariat der UN-Klimakonvention vor Ort prämiert werden.
Es ist geradezu symbolträchtig: Dieses Jahr läuft der globale Kyoto-Vertrag aus, und myclimate, die Organisation, die auf das Engagement der Einzelnen zählt, wird zehnjährig. Wie hat sich eure Arbeit in dieser Zeit verändert?
Vor zehn Jahren hielten ein paar ETH-Studenten und -professoren in Costa Rica einen Workshop über Nachhaltigkeit. Sie sprachen davon, dass den Worten Taten folgen müssten und rechneten aus, wie viel Treibhausgas mit ihrem Flug nach Costa Rica ausgestossen wurde. Daraufhin wurde an der Uni in Costa Rica ein Klimaschutzprojekt entwickelt. Als die Studenten und Professoren zurückkamen, wollten sie dieses Kompensationssystem auch anderen Reisenden anbieten. myclimate entstand als kleine Organisation. Ihre Gründer arbeiteten während der ersten Jahre als Freiwillige. Ich kam im Jahr 2006 dazu. Damals wurden 25’000 Tonnen CO2 kompensiert. Dann kam der Bericht des damaligen Weltbankchefs Nicholas Stern über Wirtschaft und Klimawandel heraus, es folgte der Film "An Inconvenient Truth" mit der Kampagne von Al Gore, und der alarmierende Bericht des Internationalen Klimarats IPCC wurde veröffentlicht. Bei uns stiegen die Kompensationszahlungen zwischen 2007 und 2008 von 800’000 Franken auf 3,2 Millionen Franken. Kuoni machte mit, später Hotelplan und TUI Fly. Ab dann ging es richtig los. Heute sind wir bei 11 Millionen Umsatz oder 500’000 Tonnen kompensiertem CO2.
Das ist beeindruckend. Wie viel wird denn bei den Flugreisen kompensiert?
In den letzten zwei Jahren verzeichneten wir bei den Reisebüros eine erfreuliche Zunahme, besonders natürlich bei den Reiseveranstaltern wie Baumeler, welche die Kompensation im Reisepreis integriert haben, mit der Möglichkeit, sich auszuklicken, wenn man das nicht will, also dem so genannten "Opt-out-System". Da werden zwischen fünfzig und hundert Prozent kompensiert. Aber auch bei denen, die das so genannte "Opt-in-System" gut verkaufen, wird inzwischen im niedrigen zweistelligen Bereich kompensiert, also so um die 15 Prozent. Kuoni und Hotelplan haben viel in interne Schulung der Mitarbeitenden und Wettbewerbe investiert und einen langen Atem gezeigt, und das zahlt sich jetzt offenbar aus. Wenn man Kompensation dem Kunden als Zusatzleistung verkaufen will, als so genanntes "Opt-in", ist es ein schwieriges Produkt. Aber offenbar schaffen es die Verkäufer in den Reisebüros immer besser, die richtige Botschaft zu vermitteln.
Dann gibt es wiederum Reiseveranstalter, die die Kompensation fix als Teil des Reisearrangements integriert haben, wie berg-welt. Dort kann man ausschliesslich klimaneutral fliegen. Das ist selbstverständlich die beste Lösung. Andere Anbieter wie Globotrek oder Teamreisen integrieren in jedes Arrangement einen pauschalen Klimaschutzbeitrag.
Offenbar sind in der Zwischenzeit die Reisenden auch für das Thema sensibilisiert?
Unsere jährlichen Marktanalysen belegen das. Vor drei Jahren kannten erst zehn Prozent der Reisenden der Schweiz myclimate, heute sind es bald fünfzig Prozent. Zu diesem Erfolg haben alle Partner beigetragen, die immer wieder darüber berichtetet haben, gerade auch das fairunterwegs-Reiseportal.
Wo muss die Reisebranche noch mehr tun für die Klimakompensation?
Bei den Airlines würden wir uns wünschen, dass mehr gemacht wird. Die Swiss stösst jährlich zwei bis vier Millionen Tonnen CO2 aus, die Lufthansa sogar 20 bis 40 Millionen Tonnen. Im Verhältnis dazu sind unsere 500’000 Tonnen, die wir heute kompensieren, wenig. Wir sind im Gespräch und haben durchaus auch unsere Fürsprecher in den verschiedenen Airlines, aber es gibt halt überall auch andere, die befürchten, damit Kundschaft abzuschrecken. Die portugiesische Fluglinie TAP hat vor zwei Jahren zusammen mit dem Internationalen Lufttransportverband IATA eine Kampagne gemacht, die bei den Flugreisenden sehr gut ankam: dreissig bis vierzig Prozent der Kunden haben ihren Flug kompensiert. Auch die Hotels könnten noch mehr machen. Sunstar und die Jugendherbergen sind mutig und sehr erfolgreich vorangegangen, aber bisher sind ihnen nur wenige Hotels gefolgt. In Deutschland sind die TUI-Hotels Vorreiter. Sie sind energieeffizient gebaut, der Rest wird kompensiert. Das System soll sukzessive ausgeweitet werden. Und schliesslich werden wir ab 2013 auch eine Kompensationslösung für Kreuzfahrten anbieten.
Generell möchten wir allen die volle Integration oder die Opt-out-Lösung beliebt machen, bei der die Reisenden sich Gründe überlegen müssen, warum sie nicht kompensieren wollen, statt wie beim Opt-in zu überlegen, ob sie zusätzlich zum Ticketpreis etwas für den Klimaschutz bezahlen sollen. Zumindest aber die Opt-in-Möglichkeit der Kompensation sollten alle anbieten. Ein einfacher Link, der irgendwo unauffällig platziert wird, reicht nicht, um die Reisenden für den Klimaschutz zu gewinnen. Der Veranstalter muss den Klimaschutz zu einem integralen Teil seines Produktes machen.
Es ist auch vorstellbar, den Klimaschutz gesetzlich vorzuschreiben. In der Schweiz kennen wir schon ein Kompensationsobligatorium für Kraftwerke, die mit Gas Strom produzieren. Ihnen wird sogar vorgeschrieben, dass sie die Hälfte in der Schweiz kompensieren müssen. Auch die Autofahrer zahlen mit dem Klimarappen eine obligatorische Kompensation im Umfang von rund fünf bis zehn Prozent der Treibhausgasemissionen. Weshalb sollten das nicht auch die Flugreisenden tun?
Flugreisen werden sich in den nächsten Jahren voraussichtlich ohnehin verteuern. Wird das nicht zuviel, wenn auch noch Kompensation gezahlt werden muss?
Wer es sich leisten kann zu reisen, kann sich auch leisten, die Flüge zu kompensieren. Das ist keine Frage des Könnens, sondern nur des Wollens. Es sollte so selbstverständlich sein wie Zähne putzen, dass man für den Abfall, den man im Klima deponiert, auch aufkommt. Mein Grossvater hat in seiner frühen Kindheit vor dem Zubettgehen auch noch nicht die Zähne geputzt. Heute ist es zu einer Selbstverständlichkeit geworden – die vermutlich mehr kostet als die Klimakompensation.