Basel, 30.06.2011, akte/
Die Nachhaltigkeits-Charta wurde im Mai 2009 von allen wichtigen Vertretern der Schweizer Tourismusbranche unterzeichnet. Ein Jahr später haben zwei Drittel der Unterzeichner ein Bekenntnis zur Nachhaltigkeit in ihr Unternehmensleitbild aufgenommen. Ist der Schweizer Tourismus aber auch tatsächlich nachhaltiger geworden?
Es kommt darauf an, was man unter Nachhaltigkeit versteht. Es gibt verschiedene gute Initiativen, und es sind viele, wenn auch sicher nicht alle in der Branche überzeugt, dass man sich in Richtung Nachhaltigkeit bewegen muss. Die Verbände überlegen sich, wie sie ihre Mitglieder motivieren und sensibilisieren können. In diesem Sinne ist der Schweizer Tourismus sicher nachhaltiger geworden, es wurde eine Entwicklung in Gang gesetzt, auch wenn sie vielleicht mehr Zeit benötigt als erhofft.
Wie ernst nehmen die Unterzeichneten die Nachhaltigkeits-Charta?
Das ist schwierig zu beurteilen. Ich sehe, dass es auf der Stufe einzelner Unternehmen einzelne Personen gibt, welche die Fahne der Nachhaltigkeit hochhalten, und einige haben viel erreicht. So etwa das Hotel Greulich in Zürich, das bereits mit vier Steinböcken ausgezeichnet ist, oder die Bergbahnen Engadin St. Moritz, die konsequent auf erneuerbare Energien umstellen. Die Jugendherbergen sind mit Abstand am glaubwürdigsten und haben bereits seit zehn Jahren eine Nachhaltigkeitsstrategie. Aber auch die Best Western und Sunstar Hotels in der Schweiz gehören zu den Engagierten der Branche, die unter anderem auf erneuerbare Energien setzen. Die derzeitige Energiedebatte hat der Branche sicher einen Schub gegeben. Es wird immer klarer, dass sich die ganze Wirtschaft auf Energieeffizienz und erneuerbare Energien ausrichten muss, schon nur aus Kostengründen. Hotelleriesuisse bietet eine Energieeffizienzplattform mit Erfahrungsgruppen, die sich anhand von Benchmarks vergleichen. Es wurde auch ein Beratungsvertrag mit den Berner Kraftwerken (BKW) abgeschlossen. Die Berater gehen in die Betriebe und evaluieren die Energieeffizienz. Dann wird der Klimaausstoss einer Hotelübernachtung berechnet und aufgezeigt, wie man diesen kompensieren könnte. Auch GastroSuisse und der Verband der Seilbahnen bieten ihren Betrieben Instrumente zur Energieeffizienz an. In Arosa und Zürich können Urlaubende den CO2-Ausstoss ihrer Anreise und von Veranstaltungen kompensieren.
Ich versuche den Überblick über alle Projekte zu erhalten, aber ich bin natürlich nicht über jede Initiative informiert. Es ist für den Schweizer Tourismus klar: Ohne dass die soziale Komponente der Nachhaltigkeit gering geschätzt würde, steht doch klar die Umwelt im Zentrum. Das steht auch so in der Nachhaltigkeits-Charta. Der Schweizer Tourismus ist auf unversehrte Landschaften angewiesen.
Aber bei der Raumplanung gehört der Schweizerische Tourismus-Verband doch eher zu den Bremsern?
Bei der Raumplanung setzt der STV auf kantonale Lösungen des Problems mit den kalten Betten, beim Verkehr setzt sich der STV für einen gut ausgebauten öffentlichen Verkehr und gegen die Schliessung der Regionallinien ein. Der Bund wollte die für die Erhaltung von Regionallinien notwendigen Passagierzahlen erhöhen. Dagegen wehren wir uns. Der Bundesrat hat sich für eine schwache Nachhaltigkeit ausgesprochen. Das heisst, er will die Umweltnachhaltigkeit nicht stärker gewichten als die soziale oder wirtschaftliche. In dieser Hinsicht gehen wir weiter als der Bundesrat.
Die Mehrheit der Unterzeichnenden wünscht sich gemäss der aktuellen Evaluation ein übergreifendes Umsetzungsprogramm. Was muss man sich darunter vorstellen?
Die Unterzeichner der Nachhaltigkeits-Charta für den Schweizer Tourismus sind sehr unterschiedlich. Die Branchenverbände entwickeln gerne ihre eigene Strategie, die Destinationen sind eher an einer koordinierenden Plattform interessiert. Der Wunsch nach übergreifenden Umsetzungsprogrammen kommt klar von den Destinationen. Dazu fehlen beim STV aber die Ressourcen. Hingegen gibt es jetzt eine Initiative der Hochschule Luzern für eine Pilotstudie zur Umsetzung der Nachhaltigkeit in den Regionen. Daran sind Scuol, Samnaun, Arosa und Zürich Tourismus mit ihren je unterschiedlichen Konzepten beteiligt. Das ist eben das Gute an der Nachhaltigkeits-Charta: Die Branche ist sensibilisiert und sucht nach Umsetzungsmöglichkeiten. Es fehlt noch an praktischen Dingen wie Know-how und Ressourcen. Die Hochschule Luzern wird ein Indikatorensystem für die Nachhaltigkeit von Destinationen entwickeln. Da wird sich zeigen, wie die Destinationen Nachhaltigkeit definieren. Es ist ein Entwicklungsprozess, bei dem die Tourismusunternehmen mit den politischen Entscheidungsträgern und den Leuten der Region zusammenarbeiten müssen. Wenn Scuol sein Veranstaltungsprogramm auf die Fahrzeiten der öffentlichen Verkehrsmittel ausrichtet, kann das noch auf Unternehmensebene entschieden werden, wenn es aber um die Förderung der regionalen Identität geht, braucht es alle.
Läuft der Austausch zwischen denen, die schon etwas in Sachen Nachhaltigkeit umgesetzt haben, und denen, die noch auf der Suche nach der richtigen Strategie sind?
Schweiz Tourismus plant eine Sammlung von "Best Practice"-Beispielen zu veröffentlichen. Der STV macht zusammen mit dem Verkehrsclub der Schweiz VCS eine Erhebung über die Erreichbarkeit der Destinationen mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Diese werden wir im Herbst pubizieren. Das Bundesamt für Raumentwicklung (are) wird zusammen mit 12 Destinationen Fallstudien für Nachhaltigkeit im Tourismus erstellen und im Oktober publizieren. Ausserdem organisieren wir regelmässig Veranstaltungen, auf denen wir Instrumente der Nachhaltigkeit wie den Klimarappen oder myclimate vorstellen. 2009 luden wir zum Beispiel den Kongressverantwortlichen des Klimagipfels von Kopenhagen als Referenten ein. Er berichtete von der Vorgabe, dass nur Hotels mit einem Nachhaltigkeitslabel für die Konferenzteilnehmenden berücksichtigt wurden. Die Quote der Hotels mit Nachhaltigkeitslabels ist dabei rasant gestiegen. Da zeigt sich, wie wichtig der politische Wille auch ist.
Gibt es eine Online-Plattform des STV zum Austausch?
Wir haben uns gegen eine Online-Plattform entschieden. Zum einen fehlt es uns an technischen und personellen Ressourcen für den Aufbau und die Pflege einer solchen Plattform. Zum anderen setzen wir auf den persönlichen Austausch. In den Jahren, die ich hier arbeite, habe ich erkannt, dass es auf einzelne Leute ankommt. Wir brauchen Persönlichkeiten, die überzeugt sind von Nachhaltigkeit und sie leben und umsetzen. Ich sehe meinen Job darin, diese Leute zu finden und sie und ihre Projekte anderen vorzustellen. Sie können andere begeistern. Solche Leuchtturmprojekte und Leuchtturmmenschen oder -wächter können Skeptiker besser überzeugen als trockene Fakten.
In seinem Grundlagenpapier vom 25.02.2010 nimmt sich der STV für die Umsetzung der Nachhaltigkeits-Charta viel vor: Eine Toolbox zur Erleichterung des Einstiegs der Mitglieder in eine nachhaltige Verhaltensweise, die Entwicklung von Weiterbildungsangeboten, ein Evaluations- und Monitoringtool, eine Studie zu den CO2-Emissionen des Tourismus, die Erarbeitung von griffigen Kriterien für die nachhaltige Angebotsgestaltung usw. Die Planung sah einen Zeithorizont bis 2012 vor. Wie gut liegt der STV im Zeitplan?
Wir haben am Anfang viele Ideen entwickelt, die aber wegen der Unterschiedlichkeit der Unterzeichnenden der Charta keine Mehrheit gefunden haben. Aus der Unzufriedenheit dieses Misserfolges ist aber das Hochschulprojekt Luzern entstanden. Das ist in Ordnung. Man muss die Wege gehen, die möglich sind. So kommen wir voran.
Was sind die nächsten Schritte?
Ende Jahr machen wir eine Umfrage bei unseren Mitgliedern und evaluieren, wo sie in der Umsetzung der Charta stehen. Das ist ein Spiegel, den wir der Branche vorhalten. Anfang 2012 werden wir diese Evaluation veröffentlichen. Das Monitoring der Nachhaltigkeits-Charta ist eine wichtige Aufgabe des STV.
Der fairunterwegs-Koffer dankt Mila Trombitas für das informative Gespräch und hofft, dass dieser engagierte Aufbruch auch auf die outgoing-Branche ausstrahlt.