Basel, 12.05.2011, akte/
Seit ein paar Jahren gehört das Bekenntnis zur Nachhaltigkeit auch in der Tourismusbranche zum guten Ton. Einzelne Hotels und Reiseveranstalter haben auch schon wichtige Verbesserungen in ihrer Nachhaltigkeitsperformance erreicht. Doch der Stellenwert dieser Bemühungen bei den Reisenden lag bisher weitgehend im Dunkeln. Insbesondere zum Reiseverhalten der Schweizer Bevölkerung fehlten solche Studien. Jetzt stellt der fairunterwegs-Koffer fest, dass das Thema plötzlich Hochsaison hat. Im März letzten Jahres veröffentlichte TUI Travel die Ergebnisse einer Umfrage unter knapp 4’000 Ferienreisenden in acht Quellländern (England, Deutschland, Frankreich, Belgien, Holland, Russland und USA). Im April dieses Jahr publizierte die Hochschule Luzern eine zweiteilige Studie, mit einer Internet-Umfrage bei knapp 6’000 Reisenden in acht Ländern (Brasilien, Deutschland, Indien, Russland, Schweden, Schweiz, England und USA) und einer Befragung von gut 4’800 Reisenden der Schweiz. Erste Forschungsergebnisse zum Konsumverhalten gibt es auch aus dem EU-Forschungsprojekt ClimAlpTour. Und schliesslich werden in nächster Zeit die Resultate einer Studie des Konsumverhaltens "nachhaltiger Touristen" von der Churer Hochschule erwartet.

Nachhaltigkeit ist für die Kundschaft ein wichtiges Thema

Alle Umfragen ergeben, dass Reisenden die Nachhaltigkeit wichtig ist, sowohl im Alltag wie auch in den Ferien. Reisende sind sich gemäss TUI-Umfrage vor allem der Umweltprobleme sehr bewusst, aber auch das Thema Fairer Handel steht weit oben auf der Liste dessen, was sie unter Nachhaltigkeit im Tourismus verstehen. Die Leute versuchen im Alltag den einen oder anderen Nachhaltigkeitsaspekt zu integrieren: Abfall trennen, mit dem Velo statt mit dem Auto zur Arbeit fahren usw. Die Luzerner Forscher teilten die Befragten anhand ihrer Antworten in verschiedene Typen ein: Bei fast einem Drittel spielen ökologische, soziale und wirtschaftliche Nachhaltigkeitsaspekte gleichermassen eine Rolle – sie werden dem "ausgewogenen Nachhaltigkeitstypen" zugeordnet. Ein Viertel der Befragten gehört zu den "Skeptikern", die den Nachhaltigkeitsaspekten kritisch gegenüberstehen. Etwa ein Achtel der Befragten wird als "sozialer, altruistischer Typ" bezeichnet, für den die sozialen Aspekte der Nachhaltigkeit im Vordergrund stehen, und je etwa 15 Prozent gehören zu den "Umwelttypen" und den "Erlebniskonsumenten". Letztere suchen vor allem lokale Produkte, authentische Erfahrungen, Kontakt mit der lokalen Bevölkerung.

Die Mehrheit der Reisenden möchte die Nachhaltigkeisbemühungen inklusive

Trotz dem grossen Stellenwert, den die Reisenden der Nachhaltigkeit grundsätzlich einräumen, zeigen sie mehrheitlich noch keine grosse Bereitschaft, in ihren Ferien viel dafür zu tun. Das bestätigen auch die ersten Ergebnisse aus dem EU-Forschungsprojekt ClimAlpTour. An der Frage, wie sich sich Tourismusregionen dem Klimawandel stellen können, arbeiten im Rahmen von ClimAlpTour 17 Partner, davon elf Forschungsinstitute, mit 22 Modellregionen. In München tauschten sie sich Mitte April über die Ergebnisse der angewandten wissenschaftlichen Forschung aus und diskutierten die Erfahrungen aus verschiedensten alpinen Tourismusregionen. Dabei befragte die Hochschule für Technik Rapperswil in einer alpenweiten Studie Fachleute zu veränderter Nachfrage, Anpassungsstrategien und Hauptakteuren im alpinen Sommer- und Wintertourismus. Deren Meinung: Ein Grossteil der Gäste anerkenne zwar das Problem Klimawandel, doch nur eine Minderheit sei bereit, das Urlaubsverhalten zu ändern. Derzeit blenden Urlauber die Folgen des Klimawandels und nötige Anpassung weigehend aus, setzen kaum auf Verzicht und selten auf nachhaltigen Tourismus, sondern eher auf "wie bisher" oder sogar auf "erleben, solange es noch geht."
Auch die TUI-Umfrage und die Luzerner Studie bestätigen, dass beim Buchungsverhalten Kriterien wie das Wetter/Klima oder der Preis eine viel wichtigere Rolle spielen als Nachhaltigkeitsaspekte, die an zweitletzter Stelle der acht zur Auswahl stehenden Kriterien genannt wurden. Im zweiten Teil der Luzerner Studie antworteten gut 4’800 Schweizer Kunden von Kuoni und Helvetic Tours auf die Frage, wie viel mehr sie bereit wären für "nachhaltige Ferien" zu zahlen, konkret zum Beispiel für mehr Nachhaltigkeit bei einer Safari-Reise nach Südafrika und bei Badeferien auf den Malediven. Das Ergebnis: Die Befragten möchten zwar gerne nachhaltige Angebote buchen, sind aber nur in einem sehr beschränkten Masse bereit, dafür auch mehr zu bezahlen, und auch nur dann, wenn sie ihren Urlaub in allen Belangen als nachhaltig wahrnehmen.
Immerhin scheint für Alpentouristen nicht dasselbe zu gelten wie für Strand- und Safarireisende. Die Hochschule München stellte bei einer Befragung in Zusammenarbeit mit dem Institut de la Montagne fest, dass sich die Gäste weniger preissensibel gaben als befürchtet. Fast die Hälfte der befragten Gäste in Sommerorten würde trotz einer Verteuerung aufgrund von Klimaschutzmassnahmen dem Urlaubsort treu bleiben – die Gastgeber erwarteten diese Bereitschaft nur zu 10 Prozent.

Die besonders an Nachhaltigkeit interessierten Reisenden sind ein interessantes Marktpotenzial

Fast die Hälfte der TUI Befragten ist gegenüber "grünen" Aussagen der Reiseunternehmen skeptisch; im Gegensatz zum weithin vertrauten Fairtrade-Label sind die reisespezifischen Gütesiegel noch wenig bekannt. Je nachhaltiger die Faktoren der angebotenen Reise aber wirklich sind (lokale Produkte, Arbeitsbedingungen oder Umgang mit der Umwelt), desto grösser ist die Wahrscheinlichkeit, dass dieses Angebot berücksichtigt wird, sagen die Luzerner Forscher. Allerdings geht auch in diesem Fall die Bereitschaft nicht so weit, den Aufschlag für die effektiven Mehrkosten zu bezahlen.

Sowohl die TUI- wie auch die Luzerner Studie konnten aber eine starke Minderheit an besonders an Nachhaltigkeit interessierten Reisenden ausmachen, die bereit wäre, ihr Reiseverhalten in Richtung mehr Nachhaltigkeit zu verändern und glaubhaft "nachhaltige Ferien" auch zu buchen. Diese Gruppe wird auf rund 20 Prozent (Luzerner Studie) bis 25 Prozent (TUI-Umfrage) geschätzt. Bisher sind diese besonders an Nachhaltigkeit Interessierten nicht auf ihre Kosten gekommen: Etwa ein Viertel der Befragten der TUI-Erhebung gibt an, Erfahrungen mit "nachhaltigen Ferien" zu haben, doch mehrheitlich finden es die Reisenden schwierig, nachhaltigere Angebote überhaupt zu finden. Sie erwarten von den Reiseveranstaltern, dass sie klarer ausweisen, wie sie sich für mehr Nachhaltigkeit engagieren.

Nachhaltigkeit nicht als kurzfristiges Verkaufsargument, sondern als Langzeitstrategie

Es liegt jetzt an den Reiseveranstaltern und den Anbietern touristischer Dienstleistungen, die richtigen Schlüsse aus diesen Forschungsergebnissen zu ziehen. Das World Tourism Forum Lucerne folgerte vor allem mit Blick auf die Kosten: "Kosten für die Nachhaltigkeit müssen entweder bereits im Kaufpreis eingerechnet sein, oder die Kunden müssen noch mehr auf die Wichtigkeit der Nachhaltigkeit aufmerksam gemacht werden." Ein etwas nüchternes Fazit, findet der fairunterwegs-Koffer. Immerhin haben Reisende zu so sperrigen, unattraktiven Themen wie "Nachhaltigkeit" oder "Klimawandel" Stellung nehmen müssen, wo es ihnen doch einfach um schöne Ferien geht – und trotzdem viel Verständnis und Interesse für die Themen gezeigt. Das sollte die Reiseveranstalter auf jeden Fall dafür motivieren, ihre Nachhaltigkeitsperformance laufend zu verbessern und zum Standard bei allen Reiseangeboten zu machen. So lautete auch das Fazit der Teilnehmenden der Münchener ClimAlpTour-Tagung: "Der Gast will keinen ‹Klimaurlaub› machen, also die Klimaverträglichkeit als Leitmotiv seines Urlaubs haben, sondern in für ihn attraktiven Themen angesprochen werden, wie etwa Ernährung, Sport, Wellness. Daher sollten die Anbieter versuchen, die Klimawirkung innerhalb dieser Angebote zu optimieren anstatt Klimaschutz als Hauptaspekt zu vermarkten." Besonders Freude hat der fairunterwegs-Koffer über den Ausweis des doch beachtlichen Marktpotenzials an besonders motivierten Kunden. Das ruft geradezu danach, mit best-practice-Angeboten – etwa die in jüngster Zeit lancierten Fair Trade Reisen – erschlossen zu werden. Allerdings müssen die Reiseveranstalter noch an ihrer Glaubwürdigkeit arbeiten und klar aufzeigen, dass sie Nachhaltigkeit nicht nur als eine Frage des Images und der Marktpositionierung verstehen, sondern als eine dringende Notwendigkeit für die Zukunftsfähigkeit der Branche. So beschrieb in München Johann Reissland, Geschäftsführer des forums anders reisen, den Ansatz des "nachhaltigen Tourismus" gemäss einer asiatischen Weisheit: "Mit Feuer kann man Suppe kochen oder das ganze Haus abbrennen. Wir wollen Suppe kochen."