Der fairunterwegs-Koffer freut sich weiter: Studiosus Reisen, ein mittelständisches deutsches Reiseunternehmen, macht schon erste Schritte zur Umsetzung seiner Menschenrechtspolicy
Basel, 28.06.2012, akte/
Durch verantwortlichen Tourismus die Menschenrechtslage verbessern?
Schon vor einem Jahr verankerte Studiosus das Menschenrechtsengagement noch prominenter im Leitbild mit den Worten: "Der Achtung der Menschenrechte in den von uns bereisten Ländern fühlen wir uns verpflichtet. Durch unsere Reisen schaffen wir Austausch, Begegnungen, Information und Öffentlichkeit. Wir glauben daher, dass verantwortungsvoller und nachhaltiger Tourismus langfristig zu einer positiven Veränderung der Menschenrechtssituation beiträgt." Eine Formulierung, die den fairunterwegs-Koffer zur skeptischen Nachfrage herausforderte, ob denn die Studienreisen nach Burma oder Ägypten dort die Menschenrechtssituation verbessert hätten. Ilić wehrt bescheiden ab: Der Austausch werde als kleiner Beitrag verstanden, aber man wolle sich da sicher nicht überschätzen. Während das Leitbild also den Glauben vermitteln könnte, die Menschenrechtslage verbessere sich durch die Begegnung mit den verantwortlich Reisenden quasi von selbst, trifft der Veranstalter für die Realisierung des Engagements dann doch griffige Massnahmen.
Die Studiosus-Firmenleitung holte sich Heinz Fuchs von der tourismuskritischen Fachstelle "Tourism Watch" des Evangelischen Entwicklungsdienstes (EED) ins Haus, der die Studie „Alles was Recht ist“ mit der Unternehmensleitung und den Führungskräften von Studiosus diskutierte. Diese Studie hatte der EED in Kooperation mit dem arbeitskreis tourismus & entwicklung letztes Jahr publiziert. Studiosus stützte sich besonders auf die "Anforderungen und Empfehlungen für eine menschenrechtlich orientierte Tourismusentwicklung", die am Schluss der Studie für jeden touristischen Akteur zusammengestellt sind. "Menschenrechte waren für uns nichts Neues, wir unterstützten zum Beispiel seit Jahren die Bemühungen von ECPAT gegen die sexuelle Ausbeutung von Kindern im Tourismus und sind seit fünf Jahren Mitglied beim UN Global Compact, wodurch wir uns verpflichtet haben, die von den Vereinten Nationen festgelegten Kriterien zu Menschenrechten, Arbeitsstandards, Umweltschutz und Antikorruption einzuhalten", sagt Ilić. "Aber die "Leitlinien für Unternehmen und Menschenrechte" des UN-Sonderbeauftragten John Ruggie mit ihren ausformulierten "Due Diligence"-Anforderungen an die Unternehmen brachten schon eine neue Qualität in die Diskussion."
Due Diligence: Die gebotene Sorgfaltspflicht in der touristischen Praxis
So arbeitete der Reiseveranstalter praktisch Punkt für Punkt die Liste der Anforderungen an die Reiseveranstalter der Studie "Alles was Recht ist" ab, wie Studiosus in seinem letzten Nachhaltigkeitsbericht darstellt: Für eine Bestandesaufnahme gingen die Studiosus-LänderexpertInnen und ReiseleiterInnen sämtliche im Angebot befindlichen Länder zur Identifizierung möglicher relevanter Menschenrechtsprobleme im Kontext der Studiosus-Reisen durch.
Zur Sensibilisierung der Reisenden wurden politische, soziale, ökologische und ökonomische "Schattenseiten" in die Katalogtexte und später auch die Ausschreibungen aufgenommen – immer unter Rücksichtnahme auf die Leistungspartner und die Bevölkerung. Es folgte eine Reihe von Schulungen: Menschenrechte wurden Teil der Länderschulungen, an vier spezifischen Workshops zu Menschenrechten wurden Mitarbeitende des Hauses sowie Reiseleiterinnen geschult, drei Arbeitsgruppen zu "Bus", "Hotel" und "Reiseleiter" erarbeiten Verbesserungsmassnahmen im Zusammenhang mit den Studiosus-Reisen. Zur Sensibilisierung von Öffentlichkeit und Branche organisierte der Reiseveranstalter anlässlich der Internationalen Tourismusbörse ITB Berlin diesen März die Podiumsdiskussion "Menschenrechte im Tourismus: Was wird gefordert, was ist machbar?", die auf grosses Interesse stiess.
Nachjustieren bei den Arbeitsrechten
Wo denn Studiosus gemäss seiner Bestandesaufnahme noch hinter der von den Ruggie-Leitlinien verlangten Menschenrechtspraxis für Unternehmen zurückliege, wollte der fairunterwegs-Koffer wissen. "Wir stellten fest, dass wir in vieler Hinsicht schon recht gut unterwegs sind, dass es aber zum Beispiel im Bereich der Arbeitsrechte und der Freizeitregelung Nachjustierungen braucht", gibt Ilić Auskunft. Gesagt, getan: Im April 2012 ergänzte Studiosus alle Verträge mit Leistungspartnern – immerhin 3’000 Hotels, 100 Incoming Agenturen und 300 Busfirmen in 120 Ländern – mit menschenrechtsbezogenen Klauseln. Diese verpflichten sie beispielsweise dazu, sich an die lokalen Arbeitsgesetze und das Tarifsystem des jeweiligen Landes zu halten. Sie halten auch fest, dass Trinkgelder nicht als Lohn für die reguläre Arbeitszeit und auch nicht für die Überstunden gerechnet werden dürfen, sondern zusätzlich auszuzahlen sind, und dass Anstellungen in schriftlichen Verträgen vereinbart werden müssen. Wer die Zeche für die Mehrkosten einer solchen Besserstellung der Angestellten berappt, liess Ilić offen, er räumte aber die Möglichkeit ein, dass dadurch einer Reise auch einmal teurer werden kann. Auch das begrüsst der fairunterwegs-Koffer, hat er doch aus den Berichten über Kampagnen für bessere Arbeitsbedingungen in der Bekleidungsindustrie gelernt, dass viele Zulieferer, auch wenn sie die Bedingungen gerne verbessern möchten, aufgrund des Preisdrucks gar nicht dazu in der Lage sind.
Nicht zum Komplizen von Menschenrechtsverletzungen werden
Vor zwei Jahren berichtete der fairunterwegs-Koffer über Wilderness Safari, einem mehrfach für seine soziale und ökologische Nachhaltigkeitsbemühungen ausgezeichneten Reiseveranstalter, der zum Komplizen der botsuanischen Regierung wurde, die die Menschenrechte der Buschleute missachtet. Der so menschenrechtssensibilisierte Koffer wandte sich daher mit der Frage an Ilić: "Wie garantiert Studiosus, dass das Unternehmen nicht von Menschenrechtsverletzungen der Regierungen gegen Indigene oder die Lokalbevölkerung profitiert?" Und nahm erfreut zur Kenntnis, dass ihm der Studiosus-Sprecher auch hier keine überzeugende Antwort schuldig blieb: Ilić schloss nicht aus, dass auch bei einem für Menschenrechte engagierten Unternehmen ein solcher Fall auftreten könne, aber: "Dafür haben wir seit März 2012 eine Meldestelle für Menschenrechtsfragen eingerichtet. Hier können unsere Kunden und andere Stakeholder vermeintliche Menschenrechtsverletzungen im Kontext unserer Reisen melden. Der Studiosus-Ausschuss für sozial verantwortlicheres Reisen nimmt sich dann der Sache an, recherchiert und wird – falls erforderlich und möglich – versuchen, Abhilfe zu schaffen. Wir stehen am Anfang eines Prozesses, bei dem wir laufend unsere Optik schärfen, unsere Fortschritte kontrollieren und über neue Massnahmen entscheiden."