Basel, 30.01.2014, akte/

Im Januar verkündete der internationale Branchenverband der Kreuzschifffahrtgesellschaften, CLIA: "Die globale Kreuzschifffahrtbranche erlebt eine spannende Verbindung von gesteigertem Interesse der Reisekundschaft an Kreuzfahrten und  Investitionen in eine Vielzahl aufregender neuer Schiffe, die die exotischsten Plätzen der Welt anfahren und ein einzigartiges Ferienerlebnis bieten." Die Vorstellung, dass Kreuzfahrtschiffe fragile Ökosysteme anlaufen, ist beunruhigend.

In der Regel ist mit dem, was die Kreuzfahrtbranche unter "exotisch" versteht, eine reine Kunstwelt gemeint. Die Kundschaft will zwar Exotik, aber nicht zum Preis von Unannehmlichkeiten. Also werden vor den Küsten schon mal ganze Korallenriffe abgetragen, die Dünen mit dem Seegras ausgehoben, und dann wird der Pier geteert, damit die Leute unbehindert spazieren können. Auf der Hafenanlage sagt man den Passagieren, wo sie hingehen sollen und wo nicht. Meist werden sie an Orte geführt, wo sie kaufen und konsumieren können. Die so begünstigten Unternehmen zahlen der Kreuzschifffahrtgesellschaft happige Provisionen. In Belize, den Turks und Caicos-Inseln, Cozumel/Mexiko, in Kusadasi im Mittelmeer und an vielen anderen Orten gehören ganze Häfen den Kreuzschiffreedereien. Ist ein Hafen erst einmal erschlossen und sind Landschaft und Läden dem globalen Mainstream angepasst, wird den Passagieren Exotik vorgegaukelt. In Honolulu zum Beispiel unterhielten erst einheimische hawaiianische Musiker die Schiffspassagiere, doch dann ersetzte sie die Schifffahrtgesellschaft durch billigere philippinische Musiker. Jetzt spielen die philippinischen Musiker hawaiianische Musik und tanzen deren Tänze. Das ist die Exotik, die geboten wird.
Ein weiteres Beispiel: Von Honolulu aus laufen verschiedene Kreuzfahrtschiffe, Kiribati an, einen pazifischen Inselstaat.  Die bei einem kleineren Kreuzfahrtschiff rund 2’000 Passagiere steigen dann zum Beispiel in den Fanning Islands in Kiribati aus. In einer ersten Phase dieser Entwicklung kaufen die Gäste Souvenirs von lokalen Händlern, zunehmend werden chinesische Souvenirs importiert – und plötzlich beschliesst die Reederei, eine andere Insel anzulaufen, die noch unberührter und exotischer ist, und die Händler auf den Fanning Islands, die investiert und sich vergrössert haben, um dem neuen Kundenstrom etwas zu bieten, stehen mit leeren Händen da.
Aber jetzt scheint es, dass die Kreuzschifffahrtsreedereien auch in kleinere Schiffe investieren, um bisher wenig besuchte, wenig erschlossene Gebiete anzulaufen.
Es ist klar: Kreuzschifffahrt ist mit der Erhaltung von Artenvielfalt schlecht kompatibel. Viele der üblichen Praktiken bedrohen die Biodiversität ebenso wie die kulturelle Diversität. So gibt es auf den Schiffen etwa Wasseraufbereitungsanlagen – und der Klärschlamm wird in den Ozean geworfen, weil die Kosten für die Verbrennung zu hoch wären. Die Bakterien, die damit ins Wasser gelangen, bedrohen die lokalen Ökosysteme. Es gibt zwei Faktoren, die Kreuzfahrtschiffe zu einer Bedrohung für die Artenvielfalt und die Umwelt generell machen. Das eine ist die Profitgier. Sie macht, dass es immer wieder zu Umwelt-Unfällen kommt: Mal wird ein Anker nicht richtig hochgezogen, der dann auf dem Meeresgrund ganze Teile von Korallenriffen mit sich reisst. Mal gelangt Öl, Abwasser oder Bilgenwasser – also das Wasser aus dem untersten Teil des Schiffs, eine Mischung von Kondenswasser aus den Klimaanlagen, Schiffsöl und -kraftstoff – oder das Wasser aus den Pools und Spas ins Meer. Mal werden die Küchenreste oder sonstige Abfälle im Schiffsheck über Bord geworfen. Oder es wird Schweröl als Treibstoff benutzt, wo das nicht erlaubt ist, was die Küste und ihre Lebewesen mit zum Teil giftigen Russpartikeln verschmutzt. Auf meiner Website www.cruisejunkie.com sind nur einige solche Unfälle der letzten zwanzig Jahre aufgelistet.
Und der zweite Faktor?
Das andere Problem ist, dass die Kreuzschifffahrtsgesellschaften praktisch ausserhalb jeglicher staatlichen Kontrolle operieren. Kreuzfahrtunternehmen sind bei einer Reihe von Staaten mit unterschiedlichen Gesetzen und juristischen Systemen registriert. Das Seerecht selbst ist ein komplexes Rechtssystem, das stark vom Rechtssystem beispielsweise der USA abweicht. Verträge, Statuten, Rechtsprechungen verflechten sich in internationalen Gewässern zu einem  seichten Gewässer der Verwirrung. Oft ist schwierig festzustellen, welches Land gerade für die kriminelle Handlung oder die Gesetzesübertretung zuständig ist, wer Recht über das Schiff, das verschmutzt, sprechen darf, wer über den verschmutzten Meeresgrund oder die Küste, wer über die Passagiere oder die Schiffscrew. Das führt dazu, dass die meisten Länder viel zu wenig tun, um ihre Umweltgesetze gegenüber Kreuzfahrtgesellschaften durchzusetzen, und von internationaler Seite ist die Kontrolle ohnehin minim. Ich habe schon persönlich gesehen, wie die Männer der Crew im Schutzgebiet der Galapagosinseln fischten.
Was heisst das für Reisende, die mit Umsicht buchen? Sollen sie kritisch nachfragen? Oder eine riesige Recherche starten?
Wer die Galapagosinseln oder sonst ein artenreiches Schutzgebiet besuchen will, tut am besten daran, mit einem Schiff des Landes zu fahren, dem auch das Schutzgebiet untersteht. Diese Schiffe werden sich hüten, die Umweltgesetze zu übertreten, denn die Regierung wird sie – im Unterschied zu den internationalen Kreuzfahrtgesellschaften – mit grosser Wahrscheinlichkeit haftbar machen. Nachfragen nützt nicht viel, die Kreuzschifffahrtsgesellschaften sprechen nicht über Umweltprobleme, die sie verursachen. Es lohnt sich aber auf jeden Fall, aufmerksam zu sein für Presseberichte, auch mal mit der Crew zu reden und einfach die Augen offen zu haben und auch einmal einen Blick hinter die Kulisse zu riskieren.
Gibt es denn kein verlässliches Umweltlabel für Kreuzfahrten?
Die Kreuzschifffahrtverbände geben rund eine Milliarde Dollar jährlich für Werbung und Lobbying aus. Sie haben Strategien entwickelt, wie sie Umweltschutzorganisationen entweder auf ihre Linie bringen oder mundtot machen können. Es gab einmal eine Organisation namens Oceans Blue Foundation mit Sitz in Vancouver/Kanada. Mit Geldern der Regierung und verschiedener Stiftungen wollte Ocean Blue ein unabhängiges Label für die Kreuzschifffahrt ins Leben rufen. Dafür konsultierte die Organisation viele Vertreter der Branche, erkundigte sich nach den höchsten Standards und so weiter. Der Kreuzschifffahrtverband versuchte erst, die Organisation auf seine Linie zu bringen, aber als das nicht möglich war, intervenierte er bei der Regierung und den anderen Geldgebern, bis die Organisation keine Gelder mehr erhielt und ihre Tätigkeit einstellen musste.
Gibt es einen weiteren Tipp für Reisende, die unbedingt einmal eine Kreuzfahrt machen möchten?
Wer unbedingt mal auf dem Schiff reisen möchte, gönnt sich am besten eine Kreuzfahrt auf einem Fluss. Dort ist die Rechtssprechung auch klar, und deshalb werden die Umweltgesetze besser beachtet. Ausserdem hat die Crew in der Regel bessere Arbeitsbedingungen auf Fluss-Kreuzschiffen.