Basel, 11.09.2014, akte/ Am 27. September lädt die Welttourismusorganisation der Vereinten Nationen (UNWTO) einmal mehr dazu ein, den Tourismus als segensreichen Wirtschaftszweig im Rahmen des Welttourismustages zu würdigen. Dieses Jahr ist der Gedenktag dem Thema Tourismus und "Community Development" gewidmet.  Der Tourismus, so die UNWTO in ihrer Erläuterung, trage zur Entwicklung der Lokalbevölkerung bei, und diese kommunale Entwicklung sei der Hauptbestandteil einer nachhaltigen Entwicklung. Der Community Based Tourism (CBT) könne eine Gemeinschaft von der Basis her aufbauen helfen. Die Gastgemeinden würden dabei selber ihre Entwicklung steuern und der Tourismus werde so zu einem Faktor für den sozialen Zusammenhalt, schaffe Jobs und kurble die Wirtschaft an.
Wenn der fairunterwegs-Koffer das hört, knarrt es in seinen Angeln und Schlössern, er kann das nicht unwidersprochen stehen lassen.

Tourismus hat nicht automatisch positive Wirkung

Zum einen trägt der Tourismus nicht automatisch zur Entwicklung der Lokalbevölkerung bei, sondern führt im Gegenteil in vielen Fällen zur Marginalisierung der Einheimischen: Die Preise schiessen in die Höhe, die traditionellen Erwerbsmöglichkeiten schwinden, zugewanderte Arbeitskräfte erhöhen den Bevölkerungsdruck, und bei der Konkurrenz um die natürlichen Ressourcen wie Land und Wasser und um öffentliche Dienstleistungen wie Strom und Telekommunikation hat die marktschwächere Lokalbevölkerung meist das Nachsehen. Damit die Interessen der Bevölkerung gegenüber denen der Investoren und Unternehmer geschützt werden, braucht es Möglichkeiten für den Staat und die lokalen Gemeinden, die Tourismusentwicklung sozial- und umweltverträglich zu regulieren und nicht-nachhaltige Entwicklungen abzuwehren. Dabei geht es genau um solche Regulierungsmöglichkeiten, wie sie international im Rahmen bestehender und neuer Freihandelsabkommen immer weiter abgebaut werden – eine Entwicklung, gegen die der fairunterwegs-Koffer bis heute noch keinen Einspruch von Seiten der UNWTO vernommen hat.

Community Based Tourism – eine nur selten erfolgreiche Entwicklungsstrategie

Zum anderen kann der fairunterwegs-Koffer den überschäumenden Optimismus der UNWTO bezüglich des Community Based Tourismus nicht teilen. Es ist problematisch, Tourismus besonders in entlegenen, bislang vom Massentourismus unberührten Gebieten zu fördern. Denn wo der Zugang zu den Communities schlecht erschlossen ist, hat ein Gemeindetourismusprojekt kaum Chancen, wirtschaftlich nachhaltig zu sein. Es sei denn, das Projekt ist so gut in eine diversifizierte lokale Wirtschaft eingebettet, dass es aufgeht, wenn nur ganz wenige Gäste kommen.

Es ist eine hohe Anforderung an die Gemeinschaften, sich selbst zu organisieren und Einkommen gerecht zu verteilen. Gerade in entlegenen Gebieten des globalen Südens kommt die Idee, dass eine Gemeinschaft Tourismus anbieten soll, oft von aussen, von EntwicklungshelferInnen oder gar von BesucherInnen. Dann braucht eine Gemeinschaft sehr lange Zeit, um sich Schritt für Schritt in Abstimmung mit allen EinwohnerInnen zu organisieren und ein Angebot aufzubauen. Doch diese Zeit ist im Rahmen herkömmlicher, extern finanzierter Projekte meist nicht gegeben, sind diese doch meist nur gerade auf zwei bis drei Jahre angelegt. Oft werden CBT-Initiativen auch als neue Haupteinkommensquelle konzipiert, statt als Zusatzeinkommen bei gleichzeitiger Stärkung der traditionellen Wirtschaft. Das schafft verhängnisvolle Abhängigkeit. So werden Initiativen mit falschen Erwartungen aufgebaut bis zum Moment, da die externe Finanzierung ausläuft, und dann wird es wirklich schwierig für Communities, auf einem womöglich internationalen Markt genügend geeignete Kundschaft zu finden.
Gute, nachhaltige CBT-Initiativen sind eher selten. Und sie sind oft aus der Not heraus entstanden: Das Biosphärenreservat Entlebuch entstand aus der Befürchtung heraus, durch eine neue Moorschutzgesetzgebung könnte die Bevölkerung in ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit zu sehr eingeschränkt werden. Das Dorf in Prainha do Canto Verde/Brasilien musste sich  gegen Landspekulanten zur Wehr setzen. Die DorfbewohnerInnen lernten durch den Widerstand, sich zu organisieren, und fanden im Tourismus die Möglichkeit, das Einkommen aus dem Fischfang sinnvoll zu ergänzen. Sie wollten ausserdem verhindern, dass sie wie die Nachbardörfer von wenig nachhaltig operierenden Tourismusunternehmen vereinnahmt werden. Stattdessen wollten sie von einem selbst gesteuerten Tourismus direkt profitieren und die Begegnungen selbst gestalten.

Ein Ohr für die Zivilbevölkerung

Grundsätzlich ist es ja zu begrüssen, dass die UNWTO die Notwendigkeit des Einbezugs der gastgebenden Bevölkerung in die Entscheide zur Wirtschafts- und Tourismusentwicklung betont. Noch glaubwürdiger fände der fairunterwegs-Koffer dies, wenn die UNWTO ihren vor 15 Jahren verabschiedeten globalen Ethikkodex für Tourismus zur Umsetzung brächte, gerade in Bezug auf die Respektierung der Menschenrechte. Und wenn sie Organisationen der Zivilgesellschaft, die negativ von Tourismusentwicklungen betroffene Gemeinden repräsentieren, bei den UNWTO-Prozessen mitbestimmen liesse. Zurzeit bleibt die Zivilgesellschaft praktisch aussen vor, denn die Mitgliederbeiträge sind unerschwinglich und es bestehen keine alternativen Mechanismen, wie die Zivilgesellschaft sich an den Diskussionen und Entscheidungsprozessen der UNWTO beteiligen könnte, damit diese Organisation der Vereinten Nationen nicht an denen vorbeipolitisiert, denen sie vorgeblich helfen möchte.