Basel, 12.04.2012, akte/
Costa Concordia, Costa Allegra, Azamara Quest: Ist die Kreuzfahrt plötzlich unsicher geworden?
Die Kreuzfahrten waren schon immer unsicher, nur hat man früher nicht so viel davon gehört. Nach dem Unfall mit der Costa Concordia hat die Kreuzfahrtbranche eifrig ihr Mantra wiederholt, wonach die Kreuzfahrt die sicherste Fortbewegungsart sei. Doch seit 1980 sind sechzehn Kreuzfahrtschiffe gesunken, 99 Schiffe sind seit 1973 auf Grund gelaufen, in den letzten elf Jahren gab es bei 73 Schiffen Zusammenstösse und 79 Schiffe gerieten in Brand, und allein zwischen 2000 und 2011 kamen hundert Schiffe vom Kurs ab, waren manövrierunfähig oder aus anderen Gründen ein Sicherheitsrisiko. In der Personenschifffahrt gab es auch immer wieder Unfälle mit Toten. Ich erinnere etwa an die 1994 in der Nordsee gesunkene Estonia, bei der 852 Passagiere den Tod fanden. Zudem ist es auch auf den Schiffen selbst nicht ungefährlich: Immer wieder verschwinden Menschen. Das Risiko, Opfer  eines sexuellen Übergriffs zu werden, ist auf See über 50 Prozent höher als zu Lande. Viele dieser Übergriffe werden durch Besatzungsmitglieder verübt. MitarbeiterInnen werden bei Durchfallerkrankungen nur zwei Tage krank geschrieben, doch Erreger wie zum Beispiel Noroviren sind noch zwei Wochen lang für die Passagiere ansteckend. Natürlich geben sich die Kreuzfahrtgesellschaften alle Mühe, dass über solche Gefahren so wenig wie möglich berichtet wird. Sie beten so oft das Mantra "sicherste aller Fortbewegungsarten" herunter, bis sie ihrer eigenen Propaganda Glauben schenken.
Costa Cruises bieten nach dieser Krise Kreuzfahrten zu Schnäppchenpreisen an. Verhindern solche Verbilligungen nicht, dass die Passagierschifffahrt endlich umweltgerechter wird?
Die Kreuzfahrtbranche hat ein Geschäftsmodell, das knallhart auf Profitmaximierung abzielt. Billige Grundangebote gehören dazu. So werden KundInnen für eine Kreuzfahrt geworben. Sobald sie aber auf dem Kreuzfahrtschiff sind, werden sie ausgenommen wie Weihnachtsgänse. Für das Kreuzfahrtticket bezahlen sie rund 45 Dollar pro Tag, auf dem Schiff geben sie aber nochmals täglich 100 bis 250 Dollar aus. Sie zahlen für Drinks, gehen in überteuerten Shops einkaufen, nehmen Unterhaltungsangebote in Anspruch. Die Leute können ja nicht weg, sie müssen konsumieren oder versauern in ihrem Zimmer. Jeder Laden, jede Bar und jedes Spielcasino auf dem Kreuzfahrtschiff liefert der Kreuzfahrtgesellschaft bis zu 40 Prozent der Verkaufserlöse ab. Dasselbe gilt für die Geschäfte an Land. Die Landausflüge sind so geplant, dass die Passagiere ganz bestimmte Orte besuchen, die ebenfalls von den Kreuzfahrtgesellschaften kontrolliert werden. Auch dort müssen die Ladenbesitzer der Kreuzfahrtgesellschaft Abgaben bezahlen. Die Kreuzfahrtgesellschaften verdienen also trotz niedriger Preise gut. Die Carneval Corporation zum Beispiel erzielt mit diesem Geschäftsmodell jährlich zwei bis zweieinhalb Milliarden Dollar Gewinn. Dabei zahlt sie praktisch keine Steuern, weil sie ihren Hauptsitz nach Panama verlegt hat. Sie hätte also genug finanziellen Spielraum, um anders zu wirtschaften, wenn sie das wollte.
Welche Rolle spielen in diesem Geschäftsmodell die Angestellten?
Bei den Ausgaben für die Angestellten oder für den Umweltschutz wird rigoros gespart. Die Zimmermädchen und Barkeeper verdienen noch einigermassen anständig, aber die Reinigungskräfte in der Kombüse oder auf den Decks verdienen so gut wie nichts, arbeiten 77 Stunden pro Woche während zehn bis zwölf Monaten ohne einen freien Tag. Die Internationale Arbeitsorganisation der UNO schreibt Minimallöhne vor, aber diese wurden auf einem Kreuzfahrtschiff noch nie durchgesetzt. Dafür werden den ArbeiterInnen die Kosten für die Uniformen verrechnet. Viele brechen unter der Arbeitslast zusammen. In den Achtzigerjahren gab es auch einmal einen Streik, aber die beteiligten philippinischen Arbeiter  wurden entlassen, am nächsten Hafen an Land gebracht und in ihre Heimat ausgewiesen.
Sie haben wiederholt auf die vielen Umweltsünden der Kreuzschifffahrt aufmerksam gemacht: Abfälle, die ins Meer geworfen werden, Bilgenwasser, das viel zu nahe an der Küste ausgelassen wird, zu hoher Schwefelgehalt im Treibstoff, Abwässer und Chemikalien, die ungeklärt ins Meer geleitet werden. Es gibt doch das Internationale MARPOL-Umweltabkommen, das genau solche Verschmutzungen durch die Schifffahrt verbietet.
Das Problem dabei ist, dass die Staaten für die Kontrolle der Einhaltung zuständig sind. Diese haben aber kaum die Möglichkeit und auch nicht das Interesse, die Kontrollen ernsthaft durchzuführen und gegen die Verletzung der MARPOL-Auflagen Sanktionen zu ergreifen.
Würde eine bessere Regulierung durch die IMO, die UNO-Fachagentur für die Meeresschifffahrt, etwas bringen? Deren Präsident hat sich selbst für eine bessere Regulierung der Schifffahrt ausgesprochen.
Die IMO kann schon Vereinbarungen treffen, aber in Kraft treten sie erst, wenn genügend Länder die Vereinbarung ratifizieren, denn die Hälfte der weltweiten Schiffstonnagen muss repräsentiert sein. Deswegen wird auch immer der kleinste gemeinsame Nenner gesucht. Ein Weg vorwärts wäre der Einbezug ins Emissionshandelssystem der Europäischen Union, wie es die EU jetzt andiskutiert. Die Kreuzfahrtgesellschaften kämen mit den Kosten für dieses System ohne weiteres klar.
Wichtiger als IMO oder MARPOL aber sind die Regierungen der einzelnen Länder. Sie sollten nicht auf Regulierungen warten, sondern die Kontrollen und die Umsetzung der bestehenden Regelungen verbessern. Norwegen versucht es, England zum Beispiel hält sich sehr zurück. Die lokalen Hafenbehörden sind oft wenig interessiert, mit den Reedereien auf Konfrontationskurs zu gehen, oft sind sie mit der Schifffahrtbranche in Geschäfte verwickelt und tauschen Gefälligkeiten aus.
Wie steht es denn mit der Eigenverantwortung der Branche?
Die ganze Branche setzt auf Profitmaximierung, da ist die gesellschaftliche Verantwortung auf verlorenem Posten. Es gibt spezialisierte Organisationen, die für das Greenwashing der Schifffahrt verantwortlich sind. Eine solche Organisation ist Conservation International. Sie zeichnet Unternehmen wie Shell, BP, Starbucks Coffee oder eben auch Kreuzfahrtunternehmen aus. Tatsache ist, dass die Schiffe weitab von der Küste viel Verbotenes ins Meer lassen. Nach der MARPOL-Umweltregulierung dürften zum Beispiel 20 Kilometer vor der Küste noch Abgase mit bis zu 10 ppm (parts per million), bis 40 Kilometer noch Abgase mit 100 ppm giftigem Feinstaub ausgestossen werden. Die aktuellen technischen Standards würden es aber erlauben, die Abgase bis auf nur fünf ppm zu filtern. Aber wenn der Erste Ingenieur des Schiffes ein solches Filtersystem einbauen will, pfeift ihn das Management zurück, weil er die Kosten niedrig halten soll. Man weiss auch, dass ein Viertel des Festmülls aus der Schifffahrt ins Meer gelangt. Bei einem Frachtschiff mit zwanzig Angestellten ist das vielleicht nicht viel, aber bei der Kreuzschifffahrt mit bis zu 9’000 Passagieren und Angestellten ist das eine Menge. Besonders der Plastikabfall vergrössert die ohnehin riesigen Plastikwirbel der Weltmeere und füllt schliesslich die Mägen der Meerestiere, die dadurch verhungern können. Ich machte 1993 eine Mittelmeerkreuzfahrt auf einem Schiff mit einer Abfallverbrennungsanlage. Doch jedes Mal vor dem Essen kamen viele Möwen ans Schiffsheck, weil der Koch die ganzen Küchenabfälle ins Meer schüttete. Obwohl das Mittelmeer gemäss der MARPOL-Umweltregulierung zu den geschützten Gebieten gehört, in denen kein Abfall entsorgt werden darf. Inzwischen hat mir der Kreuzschifffahrt-Verband geschrieben, dass ich auf ihren Schiffen unerwünscht sei. Sie schätzen meine kritische Berichterstattung nicht.
Was raten Sie sozial- und umweltverantwortlichen UrlauberInnen, die eine Kreuzfahrt machen wollen?
Wenn sie wirklich sozial- und umweltverantwortlich sein wollen, sollten sie sich das mit der Kreuzfahrt nochmals überlegen. Fairerweise möchte ich erwähnen, dass es einzelne kleine Initiativen für umweltgerechtere Schifffahrt gibt, vor allem in den nordeuropäischen Ländern. Zum Beispiel von Sea Cloud Cruises mit ihren umweltfreundlichen Grossseglern oder von Christiana Cruises, beides Angebote im Hochpreisbereich. Aber insgesamt hat die Kreuzschifffahrtbranche mit sozial- und umweltverantwortlichem Urlaub nichts zu tun.