Basel, 20.05.2010, akte/ Warm klingen dem fairunterwegs-Koffer die Worte von Erzbischof Desmond Tutu im Ohr: "Die FIFA Fussball-WM ist klar unsere WM; sie trägt viel zum Zusammenwachsen unseres Landes bei. Wir werden beweisen, dass eine multikulturelle Gesellschaft möglich ist. Wir sind ein Hoffnungszeichen für die ganze Welt." Der fairunterwegs-Koffer weiss aber auch, dass der anglikanische Erzbischof dies gegen eine Reihe von Anzeichen sagt, die in eine andere Richtung weisen: Etwa die Auflösung informeller Siedlungen oder die Vertreibung der fliegenden HändlerInnen in einem grossen Bannkreis rund um die Stadien.
Viele Hoffnungen setzt man in Südafrika auf den Tourismus, der dem Land Devisen, Arbeitsplätze und Entwicklung bringen soll. Südafrikas Tourismusindustrie hat sich in den letzten Jahren als krisenresistent erwiesen. Als weltweit der Tourismus wegen der Finanz- und Wirtschaftskrise schrumpfte, wuchs die Zahl der Ankünfte in Südafrika. Anfang 2009 prognostizierte Südafrika fürs WM-Jahr 10 Millionen Gäste – auch dank 500’000 zusätzlichen internationalen WM2010-Gästen. Doch diese Zahl erwies sich als zu hoch gegriffen und musste laufend nach unten korrigiert werden. Inzwischen spricht man von 300’000 erwarteten WM-Gästen, oder gar von 250’000. Gründe dafür sind die Wirtschaftskrise, überhöhte Preise bei Flügen und Unterkünften sowie der relative starke Rand im Vergleich zum Euro.  Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Grant Thornton glaubt zwar, dass die Einkünfte trotzdem gleich hoch bleiben: Die erwarteten WM-Gäste würden nämlich länger bleiben und mehr Geld ausgeben. Trotzdem: MATCH Hospitality, bei der FIFA fürs Gastgewerbe zuständig, hat Anfang Jahr massiv Reservationen storniert – und damit besonders kleine Gasthäuser und B&Bs in wirtschaftliche Schwierigkeiten gebracht.
Nicht jede Art von Tourismus trägt zum Zusammenwachsen der südafrikanischen Gesellschaft bei – sicher aber die touristischen Fairhandels-Unternehmen: Knapp 70 Unterkünfte und Freizeitangebote haben sich mit einer besseren wirtschaftlichen Beteiligung oder Förderung der bisher benachteiligten Bevölkerung sowie mit einer guten Umweltstrategie für das Gütesiegel von Fair Trade in Tourism South Africa FTTSA qualifiziert – der weltweit ersten Fairhandels-Gütesiegelorganisation im Tourismus. Der fairunterwegs-Koffer hat sich vier herausgepickt und sie gefragt, wie die Geschäfte kurz vor der WM laufen.

andulela Experience: Zu weit abgelegen

andulela Experience bietet eine Fussballtour inklusive Rendezvous mit Kapstädter Fussballpersönlichkeiten, lokalem Fussballspiel oder Training, Townshipbesuch und Mittagessen, eine Jazzsafari, eine kulinarische Tour inklusive Townshiptour mit Kochdemonstration, oder eine Bo Kaap-Führung in Kapstadt, mit Kochkurs und einem traditionellen Mittagessen. Doch die attraktiven Touren werden kaum gebucht, sagt Geschäftsführerin Monique Le-Roux: "Ich hoffe noch auf Last-Minute-Buchungen. Aber im Moment scheint es, dass die WM nur den grossen Unternehmen etwas bringt. Unsere Buchungen kommen spärlich, weil wir zu abgelegen sind, und die Marge schrumpft, weil alles teurer geworden ist, auch die Guides und die Transporte. Als ethisch geschäftendes Unternehmen wollen wir da nicht mitmachen und haben unsere Preise nicht erhöht. Deshalb können wir über die WM auch nur vier Touren anbieten. Kurzfristig wird uns die WM einen Verlust bringen. Aber wir hoffen, dass sich die ganzen Investitionen in die Infrastrukturen des Landes auf lange Sicht lohnen. Nach sechs Jahren Aufbau nehmen wir bei andulela Experience grundsätzlich ein verstärktes Interesse bei Reiseveranstaltern, der Presse und den Gästen an unseren innovativen Angeboten wahr."

Daddy Long Legs Boutique Hotel in Kapstadt: Schwankende Preise im volatilen Markt

Das 13-Zimmer-Boutiquehotel bietet von KünstlerInnen exklusiv gestaltete Räume mit einfacher Grundausstattung. Geschäftsführer Francois van Binsbergen spricht von einem Lernprozess: "Für die WM haben wir nicht speziell investiert, denn wir wollen mit dem arbeiten, was wir gut machen, und nicht auf jeden Zug aufspringen. Die Leute bekommen ja rund herum genug von der WM mit. Ich finde nichts Schlimmes dabei, die Preise bei einer so einmaligen Gelegenheit zu erhöhen. Schliesslich verlagern sich auch die Buchungen: Viele Leute, die sonst über die Monate verteilt gekommen wären, sind ausgeblieben, weil sie ihr Geld für die WM sparten. Das heisst wir müssen in dem kurzen WM-Monat so gute Geschäfte wie möglich machen. Dazu haben wir als zentral gelegenes Hotel auch gute Chancen. Aber wir sind übers Ziel hinausgeschossen, von Zimmerpreisen von 650 R pro Nacht (Hochsaison 2009) erhöhten wir auf 2000 R pro Nacht während der WM. Wir mussten gehörig zurückbuchstabieren, weil wir merkten, dass niemand bereit ist, solche Preise zu bezahlen. Wir sind guten Mutes, dass wir die Vorjahreszahlen noch in etwa erreichen." Was den fairunterwegs-Koffer besonders freute: Gemäss Binsbergen suchen zwar nicht die Kunden selbst, doch etliche lokale Reiseveranstalter explizit nach Fairhandels-Angeboten und schicken aufgrund des FTTSA-Labels Gäste zu Daddy Long Legs.

Port Elisabeth, Ostkap: Calabash Tours und die "2010 good guys campaign"

Die Erlebnisangebote von Calabash-Tours werden zurzeit gut gebucht, berichtet Geschäftsführer Paul Miedema. Auch er erhält einige Gäste durch lokale Reiseveranstalter, welche vom FTTSA-Siegel überzeugt sind. "Die Gäste kommen, weil sie die Arbeit gut finden, die wir machen. In Bezug auf den Tourismus ist die WM für uns nicht besonders förderlich, auch wegen des Verschiebungs-Faktors: Die Leute kommen konzentriert über die WM, und dafür gibt es während der restlichen Monate weniger Buchungen. Wir haben vorsichtig gerechnet, auch wegen der weltweiten Rezession. Die Preise haben wir nicht erhöht, anders als 63% der touristischen Betriebe am Ostkap. Stattdessen haben wir uns an der "2010 good guys campaign" beteiligt, welche Betriebe auszeichnet, die auf Preiserhöhungen während der WM verzichten."

Mercure: Das Geschäft läuft!

Seit März letzten Jahres gehört mit Mercure, einer Marke der Accor-Gruppe, die erste Internationale Hotelkette zur FTTSA-Familie. Die vier Hotels Bedfordview, Midrand, Nelspruit und Randburg qualifizierten sich dank einer exemplarischen Unternehmensverantwortungsstrategie mit Weiterbildung, Präventionsarbeit, einer sozial durchdachten Beschaffungs- und einer guten Energie- und Wassersparpolicy für das Fairhandels-Label. Mercure gehört zu den Partnern von MATCH Hospitality. Im Hotel Nelspruit logieren die Fussballteams aus Neuseeland, Serbien und der Elfenbeinküste, in anderen Mercure-Hotels ausserdem FIFA-Leute, Sponsoren und Fachleute des Technischen Supports der WM. Die sanften Renovationen, die rechtzeitig vor der WM die Hotels im besten Kleid erscheinen lassen, wären auch ohne das Grossereignis gemacht worden, sagt Laurence Mqali, Direktorin für Verkauf und Marketing bei Accor Hospitality Southern Africa. Auf die Buchungskrise und die Preissetzung angesprochen, meint sie: "Unsere Verkaufsstrategie bei den Mercure Hotels war genügend diversifiziert. Die globale Strategie von Accor beinhaltet auch die Unterstützung der Unternehmen von Seiten der Quellgebiete wie Europa. Über die FIFA WM2010 werden die Preise durch die Nachfrage bestimmt und entsprechen internationalen Standards. Das ist Teil eines in Südafrika bereits angewandten dynamischen Preissetzungssystems. Dynamische Preissetzung bedeutet, dass Hotels ihre Zimmerpreise täglich oder sogar innerhalb eines Tages ändern können, wenn die Marktdaten zeigen, dass eine Anpassung nötig ist. Dies basiert auf der Anerkennung, dass der richtige Preis für ein Zimmer davon abhängt, was der Kunde zahlen kann und will. Als internationale Hotelgruppe haben wir Erfahrung mit früheren Weltmeisterschaften und wissen, dass Preiserhöhungen während der WM zur üblichen Praxis gehören." Vom Fairhandels-Ansatz ist Laurence Mnqali überzeugt: "Heutzutage werden soziale und ökologische Gesichtspunkte immer stärker von KonsumentInnen berücksichtigt. Und gerade in Südafrika macht die Fairhandels-Zertifizierung Sinn. Das wichtigste Verkaufsargument ist aber die Erfahrung: Wer einmal als Gast in einem unserer Hotels gewesen ist, weiss mit Gewissheit, dass er oder sie einen Beitrag für die Gemeinschaft und die Umwelt geleistet hat. Unser erstes Ziel damals im 2005 war die Evaluation unseres Verhaltens als Konzern in einem Umfeld wie Südafrika mit seinen spezifischen Herausforderungen. Wir wollten bestätigen, dass wir ein verantwortungsvolles Unternehmen sind. Bald wurde uns bewusst, dass die Fairhandels-Qualifikation durch FTTSA nicht nur gut für uns als Geschäft ist, sondern für alle unsere Stakeholder: Die Angestellten, die Geschäftspartner, die lokale Bevölkerung und die Shareholder."
Quellen: World Cup Cup organisers expect sell-out matches, Travel Events News Share 14.05.2010 www.breakingtravelnews.com; Disappointed by World Cup bookings, South African tourism looks for long-term gains, eTurbo News 11.05.2010 www.eturbonews.com; Grant Thornton on South Africa World Cup: Fewer Visitors Staying Longer, The Bid Four Blog 22.04.2010, http://bigfouralumni.blogspot.com; South Africa hotel price gouging study; 05.04.2010  http://knowledgeproblem.com; South Africa Tourism campaigns for price freeze, eTurbo News 29.03.2010 www.eturbonews.com; FIFA’s MATCH kicks out accommodation 01.02.2010 www.whalecottage.com; Latest South African Toursm Report eTurbo News 14.08.2009 www.eturbonews.com; Mercure Netword, The First International Hotel Chain in South AFrica certified by FTTSA!, FTTSA Media Release 30.03.2009 www.fairtourismsa.org.za.