Basel, 04.03.2010, akte/ Nächste Woche trifft sich Reisebranche zum jährlichen Stelldichein auf der ITB Berlin. Nachhaltigkeit wird von den Messeveranstaltern als übergreifendes Thema angekündigt. Der Sozial- und Umweltverantwortung von Reiseveranstaltern, oder Neudeutsch: der Corporate Social Responsibility (CSR) wird zum zweiten Mal ein Tag des ITB-Kongresses gewidmet. Der fairunterwegs-Koffer ist gespannt, was die Profis zu berichten wissen. Insbesondere soll auch eine Studie im Auftrag der ITB Berlin zum Thema "Die Top-CSR-Unternehmen aus Sicht der Kunden" präsentiert werden.
Der fairunterwegs-Koffer hat sich im Vorfeld umgesehen. Die Tour d’Horizon zu den Antworten der Reiseveranstalter auf so brennende Herausforderungen wie Klimawandel, Rückgang der Biodiversität, Verbrauch natürlicher Ressourcen, Verdrängung kultureller Lebensstile oder schlechte Arbeitsbedingungen in Zulieferbetrieben war einigermassen ernüchternd: Es sind noch immer viel zu wenige Tourismusunternehmen, die sich überhaupt um Nachhaltigkeit kümmern. Bei den wenigen, die es tun, sind einzelne Nachhaltigkeitsbemühungen zwar oft beachtlich, doch sie verhindern nicht, dass sich der ökologische Fussabdruck des Tourismus und damit auch die Schäden für die Bevölkerung in den Destinationen vergrössern statt verkleinern.

Der neue TUI-Nachhaltigkeitsbericht besticht durch Transparenz

Auch der erst letzte Woche erschienene Nachhaltigkeitsbericht der TUI AG stimmte ihn nicht optimistischer, obwohl er das 98 Seiten dicke Werk, in dem praktisch zu jedem Nachhaltigkeitsbereich viel steht und die Fortschritte dokumentiert werden, durchaus beeindruckend fand. Vernetzt mit vielen relevanten Fachstellen engagiert sich der Konzern im Nachhaltigkeitsmanagement der Destinationen, der Zulieferer und der Geschäftssitze. Themenschwerpunkte des Berichts sind die Biodiversitäts- und Klimastrategie des Konzerns. Das Klima ist auch einer der wenigen Bereiche, wo auch das Engagement von TUI Suisse aufscheint dank seinem Angebot der CO2-Kompensation über myclimate.
Fakt bleibt aber: Der TUI-Konzern stiess im Berichtsjahr insgesamt 6’343’292 Tonnen CO2 aus. Der Ausstoss liegt in erster Linie wegen des Rückgangs der Reisetätigkeit im letzten Jahr leicht tiefer (minus 4,4 Prozent). Doch in allen Bereichen – Airlines, Kreuzschifffahrt und Hotels – sind die Emissionen pro Kopf gestiegen. Auch der von der TUI AG produzierte Abfallberg und der Wasserverbrauch pro Übernachtung haben zugenommen – trotz verschiedenster Nachhaltigkeitsbemühungen. Dabei steht TUI vermutlich nicht schlechter da als die Konkurrenten: Bloss weist er im Gegensatz zu diesen die Kennzahlen überhaupt aus.

Travelife: Ein brancheninterner Unterkunftscheck

Nicht veröffentlichte Kennzahlen sind nur einer der Gründe, warum es so schwierig ist, Nachhaltigkeitsberichte einzuschätzen oder zu vergleichen. Im Rahmen der freiwilligen Selbstverpflichtung weist jeder Tour Operator seine Nachhaltigkeitsbemühungen nach eigenen Kriterien aus. Der fairunterwegs-Koffer plädiert nachdrücklich für mehr Transparenz und mehr Systematik.
Kuoni und die TUI AG setzen auf die Auszeichung "Travelife". Für dieses System wurden in einem ersten Schritt so genannte ethische Klauseln in die Verträge mit den Hotelpartnern aufgenommen. Diese werden dazu verpflichtet, die lokalen Arbeitsrechte und internationale Menschenrechte zu achten, keine geschlechts- und religionsspezifische Diskriminierung zu tolerieren, einen sicheren und hygienischen Arbeitsplatz zu bieten, die Arbeit rechtmässig zu entlöhnen und ökologische Standards einzuhalten. Letztes Jahr wurde der entsprechende Unterkunftscheck eingerichtet und das System der Öffentlichkeit vorgestellt. Der fairunterwegs-Koffer mahnt, dass die Erleichterung über ein einheitliches Label nicht darüber hinwegtäuschen darf, dass die Auszeichnungen Bronze, Silber und Gold von travelife bloss die Einhaltung von brancheneigenen Kriterien ausweist, nicht aber von allgemein anerkannten Nachhaltigkeitsstandards. Es bräuchte aber ein System international anerkannter, relevanter und überprüfbarer Kriterien, um ermessen zu können, was das Engagement des einzelnen Reiseveranstalters – und eben nicht nur des Hotelpartners – wirklich wert ist, und um Benchmarks zu definieren.

Der Tourism Sustainable Council – eine globale Multistakeholderinitiative für CSR im Tourismus

Zu Jahresbeginn 2010 wurde der Tourism Sustainability Council lanciert, ein Zusammenschluss der beiden internationalen Initiativen Partnership for Global Sustainable Tourism Criteria (GSTC) und Sustainable Tourism Stewardship Council (STSC). Diese Partnerschaft aus über 240 Organisationen, Nichtregierungs-Organisationen (NGO), Branchenverbänden und Touristik-Unternehmen – von der Schweiz ist M-Travel Switzerland dabei – erarbeitet einen weltweit gültigen Kriterienkatalog, um ein professionelles Zertifizierungssystem für nachhaltigen Tourismus zu erstellen. Auf das Resultat und die Akzeptanz dieser Mutlistakeholder-Initiative ist der fairunterwegs-Koffer gespannt.

Imagine Reiseservice erhält das Nachhaltigkeitszertifikat TourCert

Für Reiseveranstalter gibt es aber schon heute ein überzeugendes Verfahren, um eigene Nachhaltigkeitsanstrengungen auszuweisen. Der kleine Anbieter in Bern –  schon immer ein Pionier in sozialer Verantwortung, hat seinen ersten Nachhaltigkeitsbericht gemäss den Vorgaben der CSR-Reporting Inititative verfasst. Letzte Woche hat imagine den positiven Prüfungsbericht erhalten und darf an der ITB Berlin die Auszeichnung TourCert für Nachhaltigkeit und Unternehmensverantwortung entgegennehmen. Das CSR-Berichtsverfahren wurde vom Dachverband der kleinen und mittleren Reiseveranstalter "forum anders reisen" (far) in Zusammenarbeit mit der Kontaktstelle für Umwelt und Entwicklung (KATE) Stuttgart, der Arbeitsstelle Tourism Watch des Evangelischen Entwicklungsdienstes (EED) in Bonn sowie der Gewerkschaft UNI-Europe entwickelt. Ein Berichtsleitfaden und "Avanti", ein speziell entwickeltes Softwaretool mit Eingabemasken für einen umfassenden Angebots-, Mitarbeiter-, Unterkunfts-, Kundenzufriedenheits- und andere Checks vereinfachen die Erfassung der relevanten Kennzahlen. Der fairunterwegs-Koffer gratulierte Heinz Hirter, dem Inhaber von Reiseservice Imagine, und fragte nach, was ihm der Prozess gebracht habe. Hirter schätzte die Erarbeitung des Firmenporträts. Es habe gut getan, die Ziele und das Leitbild zu reflektieren. Der Mitarbeitercheck habe neue Anstösse auch für künftige Mitarbeitergespräche gegeben. Hirter habe die Kundeninformation nochmals verbessern können und werde künftig die Kundenzufriedenheit konsequenter auswerten. Schliesslich habe er nach Auswertung des eigenen Umweltverhaltens zum Beispiel beschlossen, künftig auch Rechnungen und Buchungen papierlos auszustellen. Die Kosten und der Arbeitsaufwand für den Nachhaltigkeitsbericht seien in einem verträglichen Rahmen geblieben.
Einige Eckdaten des Imagine-Nachhaltigkeitsberichts findet der fairunterwegs-Koffer besonders bemerkenswert: Als Reiseveranstalter hat Hirter erreicht, dass allein im südlichen Afrika 400 Unterkünfte seines Programms nachhaltig sind. Und als Reiseverkäufer hat er es geschafft, 893 von 1’367 gebuchten Nächten in nachhaltigen Unterkünften zu verkaufen, obschon jeder Kunde die Übernachtungen individuell auswählte. Dieses Ergebnis spiegelt die gute Beratung und profunde Kenntnis der Produkte. Hirter meint: "Jeder Akteur der Tourismusbranche, ob Reiseveranstalter, Reiseverkäufer, Airline oder Hotel, kann sich für Nachhaltigkeit einsetzen: Zunächst intern, dann auch bei der Information der Kundschaft, bei der Auswahl der Unterkünfte und Angebote, der Wahl der Zulieferer und der Honorierung von deren Nachhaltigkeit über faire Preise."

Die bisherigen Bemühungen reichen bei weitem nicht aus

Der fairunterwegs-Koffer wünscht sich, dass mehr Tourismusunternehmen dies beherzigen. Denn nach Ansicht der letzten September veröffentlichten Klimastudie des World Economic Forums sind die bisher geplanten Massnahmen der Reisebranche zur CO2-Senkung ungenügend. Sie reichen nicht einmal, um den Status Quo zu halten: "Das bis 2035 zu erwartende jährliche Branchenwachstum von ungefähr vier Prozent wird mehr Emissionen produzieren, als die bisher geplanten Massnahmen einsparen werden", wird Dr. Jürgen Ringbeck zitiert, Partner bei Booz & Company und Senior Project Advisor der WEF-Studie. Der fairunterwegs-Koffer hat das ungute Gefühl, dass diese Aussage auch auf die anderen Bereiche zutrifft: Küstenschutz, Biodiversität, Wasserverbrauch…
__________________________________________________________________________________
Die Verleihung der TourCert-Zertifikate an Unternehmen des "forum anders reisen": 11. März 2010, 11.05-11.15 Uhr, Halle 7.1 a, Saal New York 3, ITB- Messe Berlin
* Nachtrag vom 11.03.2010:
Der erste Schweizer Reiseveranstalter? Nicht ganz: Gleich zwei kleine Schweizer Reiseveranstalter erhalten heute das Siegel von TourCert. Lesen sie dazu auch die MeldungTeam Reisen AG als erstes* schweizerisches Reiseunternehmen CSR – zertifiziert;
Der arbeitskreis tourismus & entwicklung gratuliert auch TeamReisen und Geschäftsführer Christian Burkhardt zur TourCert Auszeichnung und hofft, dass die gesamte Globetrotter Gruppe, der TeamReisen seit 2009 angehört, ihre Nachhaltigkeitsbemühungen ebenfalls bald durch TourCert zertifizieren lässt….
__________________________________________________________________________________
Quellen: www.tui-group.com/de/nachhaltigkeit/nachhaltigkeitsmanagement/berichterstattung; Imagine-Nachhaltigkeitsbericht 2010; http://newsletter.weforum.org/index.cfm?temp=showNewsletterListeDetails&parents_id=308&NLAbschnitt_NLAbschnittId=172&NLMailSprache_NLMailId=9 www.sustainabletourismcriteria.org/; www.kate-stuttgart.org; www.kuoni.ch/DE/services/corporate-responsibility/Pages/corporate-responsibility.aspx; www.m-travel.ch/de/nachhaltigkeit/nachhaltigkeit.aspx; www.reiseberatung.ch/faire-infos.html; www.tourcert.org;