Der Gipfel der Dekadenz
Keine hundert Kilometer liegen zwischen dem Bundeshaus und den Gipfeln des Aletschgebiets. Und doch scheint die Distanz riesig – zumindest in den Köpfen der Bundesräte. Die Landesregierung foutiert sich um den Schutz der letzten Wildnisgebiete der Schweiz. Die seit 2000 laufende Überprüfung der Gebirgslandeplätze hat sie letzte Woche jäh gestoppt.
Damit dürfen sich gut zahlende Touristen weiter auf Berge fliegen lassen – auch in Zonen, die im Bundesinventar der Landschaften und Naturdenkmäler von nationaler Bedeutung (BLN) verzeichnet sind und daher von Gesetzes wegen einen besonderen Schutz geniessen. Speziell gilt dies für die Region Jungfrau-Aletsch, die seit 2001 auf der Liste des Unesco-Weltnaturerbes und damit in einer Reihe mit den Galapagosinseln und der Serengeti steht. Diese Auszeichnung ist nicht nur Anerkennung für eine einzigartige Naturlandschaft. Sie verpflichtet auch zu dauerhaftem Schutz. Doch 7 der total 42 Gebirgslandeplätze in der Schweiz befinden sich just in jener Region – mit entsprechenden Lärmfolgen, die den Wert dieses Naturjuwels als Hort weiter Stille schmälern.
Alpenschutz ignoriert
Der Bundesrat begründet seinen Entscheid mit "unüberbrückbaren Differenzen" zwischen den Streitparteien. Wenn sich jedoch Helikopterfirmen, Umweltschützer, Touristiker und Behördenvertreter nicht einig werden, überrascht das erstens nicht – und ist zweitens kein Grund aufzugeben. Den Übungsabbruch provoziert hat daher etwas anderes: die Weigerung, aus einem Gutachten der Eidgenössischen Natur- und Heimatschutzkommission (ENHK) den einzig logischen Schluss zu ziehen. Die ENHK untersuchte den strittigen Landeplatz Monte Rosa, der in einem BLN-Gebiet liegt. Und resümierte 2012, die touristische Fliegerei beeinträchtige "schwerwiegend" das Schutzziel, die Stille in dieser Hochgebirgslandschaft zu erhalten respektive wiederherzustellen. Heliskiing vom Landeplatz Monte Rosa sei daher zu untersagen.
Hier liegt die Brisanz des Gutachtens. Konsequenterweise müsste ein solches Verbot nämlich auf alle Landeplätze in Schutzgebieten ausgedehnt werden. Der Einschnitt wäre markant: 15 der 42 hiesigen Landeplätze liegen in einem BLN-Gebiet, weitere 6 grenzen daran. Vor dieser Aussicht schreckte das federführende Bundesamt für Zivilluftfahrt (Bazl) zurück – und beantragte dem Bundesrat deshalb, das Dossier Gebirgslandeplätze zu schliessen.
Ob das letzte Wort damit gesprochen ist, bleibt vorderhand offen. Möglicherweise werden nun Parlamentarier aktiv. Zudem prüfen die Umweltverbände, ob sich ein Verbot des Heliskiing auf juristischem Weg erstreiten lässt. Sie geben sich nicht damit zufrieden, dass der Bundesrat – gewissermassen als Gegenleistung für den Übungsabbruch – die Zahl der Landeplätze von 42 auf 40 verringert und die Arbeitsflüge in Schutzgebiete strenger als bis anhin regelt. Mehr als ein Scheinzugeständnis an den Alpenschutz ist das nicht.
Der Bundesrat hat sich von den Interessen einzelner Berggemeinden und Helikopterfirmen leiten lassen. Doch Heliskiing steuert mit 4 Millionen Franken Umsatz pro Jahr kaum etwas zu den Gesamteinnahmen des Schweizer Tourismus von rund 35 Milliarden Franken bei. Zudem sind Heliskiing-Flüge für das Training der Piloten weniger bedeutsam als von der Branche behauptet, finden sie doch nur bei guten Wetterbedingungen und ohne Unterlast beim Helikopter statt.
Debatte mit Widersprüchen
Strikter als die Schweiz agiert das benachbarte Ausland, wo das Heliskiing teils ganz verboten ist, etwa in Frankreich und Deutschland. Zu Recht. Heliskiing verstösst gegen jede Alpinethik, verschmutzt die Luft, stört Wildtiere, überzieht Zonen der Stille mit einem Lärmteppich.
Am Kern des Problems würde freilich auch ein Heliskiing-Verbot nichts ändern. Es bliebe lärmig in den Bergen, weil Helikopter aus vielerlei Gründen fliegen, etwa wenn sie SAC-Hütten mit Esswaren und Getränken beliefern – für jene Berggänger, die sich am nächsten Morgen beim Gipfelanstieg über Heliski-Touristen ärgern. Der Widerspruch ist offensichtlich, bis dato aber ein Tabuthema unter Alpinisten. Das ist stossend, aber nicht verwunderlich. Es ist bequemer, andere zu kritisieren, als sein eigenes Verhalten zu ändern.