Basel, 18.11.2013, akte/ Seit dem Beginn der Unruhen, die im Dezember 2010 in Tunesien ihren Anfang nahmen und in der Folge Aufstände in Tunesien, Ägypten, Libyen, Jemen, Bahrain und Syrien auslösten, lässt sich ein gemeinsames Muster erkennen: Die mehrheitlich säkularen Diktaturen, die in Tunesien, Ägypten, Libyen und Jemen gestürzt wurden, und Assads säkulares Baath-Regime in Syrien wurden von islamistisch dominierten Gruppierungen angegriffen. Dieser Trend zeigt sich auch in Jordanien, das bis vor kurzem relativ stark abgeschirmt war von den Spannungen in der Region, obwohl es hunderttausenden von Menschen aus Irak und Syrien Zuflucht gewährt.
2011 wirkten sich die regionalen Unruhen katastrophal auf die tunesische, ägyptische, libysche und syrische Tourismusindustrie aus. Millionen von Stellen gingen verloren und die Wirtschaft der vier Staaten wurde empfindlich getroffen. Auch in Jordanien verzeichnet der Tourismus ab 2011 einen starken Rückgang, der vor allem den Sicherheitsbedenken der Reisenden aufgrund der Lage in Syrien geschuldet ist. Zwar bewegen sich die Ankunftszahlen von Tunesien und Ägypten seit Anfang 2012 wieder leicht nach oben, doch ist es Ägypten aufgrund der Unruhen im Sinai, der Konflikte zwischen verschiedenen Volksgruppen und der politischen Spannungen nicht gelungen, sich als sicheres Reiseziel darzustellen, vor allem nicht auf den lukrativeren Märkten in Europa und Nordamerika.
Während die Besucherzahlen im Westen der arabischen Welt abnahmen, erfuhr der Tourismus in Israel und den palästinensischen Gebieten des Westjordanlands einen bemerkenswerten Aufschwung. Trotz der festgefahrenen politischen Positionen kam es in den letzten Jahren kaum zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Israel und den Palästinensischen Autonomiegebieten im Westjordanland.
2011 verzeichnete Israel über drei Millionen Ankünfte und das Westjordanland hiess über zwei Millionen Gäste willkommen. Bis zum Ausbruch der Gewalt Mitte November lagen die Besucherzahlen in den beiden Gebieten über dem Vorjahresniveau. Der von den Hamas kontrollierte Gazastreifen konnte hingegen nicht an dieser Entwicklung partizipieren. Viele Länder raten ihren BürgerInnen von einem Besuch der Gegend ab. Die Entschlossenheit der Hamas, ein radikales islamistisches Regime einzuführen, ihre Ablehnung des Staates Israel und ihr Widerstand gegen eine Zweistaatenlösung sowie die offensichtliche Duldung militanter Gruppen, die Raketen auf Israel abfeuern und damit das Waffenstillstandsabkommen zwischen den Hamas und Israel verletzen (vor dem Gewaltausbruch Mitte November waren allein im Jahr 2012 über 700 Raketenangriffe auf Südisrael abgefeuert worden), veranlassten Israel, mit Gewalt auf die Provokationen zu reagieren.

Tourismus als wichtiger Wirtschaftsfaktor

Wenn sich die Gewalt zwischen Israel und den Hamas fortsetzt, spitzt sich die bereits brenzlige Situation im Nahen Osten weiter zu und beeinträchtigt die Tourismuswirtschaft in Israel, dem Westjordanland, Jordanien und der ägyptischen Sinai-Halbinsel. Israel ist auch Ziel von Gästen aus westlichen Ländern, die in benachbarte Gebiete weiterreisen, etwa um religiöse Stätten wie Bethlehem und Jericho im Westjordanland, Petra und Bethanien in Jordanien zu besuchen, oder in Ägypten den Berg Sinai und Badeorte am Roten Meer.
Der der Muslimbrüderschaft angehörende ägyptische Präsident Mohammed Mursi empört sich zwar öffentlich über die "israelischen Aggressionen", doch liegt es im ureigenen Interesse Ägyptens, dass sich die Lage im Gazastreifen beruhigt. Dass die Hamas Waffen von libyschen Konfliktparteien beschaffen und gegen Israel einsetzen, mag Mursi nicht stören. Wenn aber im Sinai-Gebiet Extremisten solche Waffen gegen ägyptische Soldaten richten und die Stabilität der Region gefährden oder kriminelle Gruppierungen damit Touristen entführen, hat er ein ernstes Problem. Ägypten unternimmt zurzeit grosse Anstrengungen, sich auf dem internationalen Tourismusmarkt als sicheres Reiseland zu positionieren und seine Fremdenverkehrswirtschaft wieder anzukurbeln. Da kommen Spannungen im benachbarten Gazastreifen äusserst ungelegen.
Die Geschichte des Nahen Ostens zeigt, dass die Konflikte in der Region sehr komplex und vielschichtig sind. Die neue ägyptische Regierung mag zwar auf der ideologischen Ebene Sympathien für die Hamas hegen, doch auf der realpolitischen Ebene unterhält Ägypten trotz seiner zuweilen feindseligen Rhetorik diplomatische Beziehungen zu Israel und hängt von der wirtschaftlichen Unterstützung der USA ab. Zudem liegt es auch im eigenen nationalen Interesse Ägyptens, dass die Lage im Gazastreifen unter Kontrolle bleibt, denn dort operierende militante Gruppen könnten nur allzu leicht die ägyptische Kontrolle über das ressourcenreiche Sinai-Gebiet in Frage stellen.
Auch wenn der Tourismus in den Reportagen über den Konflikt zwischen Israel und den Hamas höchstens in einer Randnotiz erwähnt wird, ist er ein Schlüsselfaktor der dortigen Volkswirtschaften und wird durch die kriegerischen Handlungen stark in Mitleidenschaft gezogen. Obgleich die Türkei, Ägypten und Tunesien öffentlich die "israelischen Aggressionen" verurteilen, wissen sie, dass eine Fortsetzung des Konflikts auch arabischen Interessen schadet. Der Tourismus als wirtschaftlicher Indikator, der vieles über die politische Stabilität aussagt, gerät in Israel, Jordanien, Ägypten und im Westjordanland unter grossen Druck.
Der Autor dieses Beitrags, Dr. David Beirman, ist Dozent für Tourismus an der University of Sidney, Australien. Von 2000 bis 2012 war er Sekretär der Australischen Sektion des Tourismusverbands für die Ostmittelmeerregion.