Der leise Atem der Zukunft
Um den leisen Atem der Zukunft oder neue mögliche Lebensqualitäten in einer Postwachstumsgesellschaft fühlbar zu machen entwickelt Grober ein feines Gewebe aus Gedankensträngen. Zettel (Kettfäden) sind dabei Wanderungen durch Landschaften, deren Symbole und Symbolgehalt er entschlüsselt. Etwa durch den Nordschwarzwald, wo im 18. Jahrhundert die Tannen reihenweise gefällt und dem Bau von Schiffen zugeführt wurden. Den Einschlag (Schussfäden) bilden Märchen, die Geschichte, philosophische Gedanken, Geschichten und Meinungen anderer und eigenes Sinnieren. An die Gier der Handelscompanien, die sich am Kolonialwaren- und Sklavenhandel bereicherten, erinnert er mit dem Märchen "Das kalte Herz" von Wilhelm Hauff, oder mit dem "Sklavenschiff" von Heinrich Heine. Im dichten Gewebe aus lebendig und reich beschriebener Wanderung, Buch- und Filmzitaten scheint die Erkenntnis auf: Warmherzigkeit und Empathie sind ein erster Atemzug, der aus der Krise herausführt.
Verschlungene Erkenntniswege
Kapitel für Kapitel erwandert und entdeckt Grober mit scharfem Blick weitere Perspektiven auf die Welt im Ist-Zustand und ihren Alternativentwürfen – etwa bei den VW-Werken zu Beschleunigung und im Garten des Mitwanderers zur Entschleunigung und der Fülle des Lebens. Auf Besuch in Rückzugsorten zum Thema Coolness oder als Gegensatz dazu Gelassenheit. Im Ruhrpott zum Thema Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft anstelle von Zerstörung. Im Allmendwald im Weserbergland zu Teilen und Gemeinschaftlichkeit. Auf dem Weg zwischen Münsterland, dem Thüringer Wald und dem Breisgau trifft er Menschen, die an alternativen Lebens- und Wirtschaftsformen arbeiten. Sie schaffen Strukturen, die auch nach dem Ende einer Wachstumsgesellschaft halten können. Dabei entdecken sie für sich eine neue Lebensqualität.
Grobers Erschliessung von Nachhaltigkeit ist ein Genuss für alle, die eine gepflegte Sprache, sorgfältige Formulierungen und einen guten Aufbau schätzen. Seine Freude, unkonventionell und klug zu recherchieren, seine Neugier und seine Offenheit für den Austausch sollen durchaus ansteckend sein. Sie machen Lust, sich selbst – warum nicht auch wandernd – wieder einmal Raum für längere Gedankenfäden oder zum Weben komplexerer Gedankenbilder zu gönnen. Über seine Streifzüge haucht er längst vom Kopf her bekannten Begriffen neues Leben ein und bietet Zugänge sowie einprägsame Bilder zur zukunftsfähigen Gestaltung von Gemeinschaften und Lebensräumen.
Ulrich Grober: Der leise Atem der Zukunft. Vom Aufstieg nachhaltiger Werte in Zeiten der Krise. oekom, München 2016, 320 Seiten, CHF 28.90; EUR 19.95; ISBN 978-3-86581-2 (auch als e-Book erhältlich)