Der Run auf Myanmar
Ohne dass es eine Gesetzesgrundlage dafür gäbe, hat die "Touristifizierung" in Myanmar bereits begonnen. Das Ministerium für Hotels und Tourismus hat im September in seinem politischen Handlungskonzept für einen verantwortlichen Tourismus (RTP) die Reisebranche zu einem Sektor von nationaler Priorität erklärt. Ebenfalls im September unterschrieb das Ministerium die Kambodscha-Laos-Myanmar-Vietnam-Tourismuskooperation (CLMV). Damit sollen 25 Millionen Besucher in der Region willkommengeheissen werden. Hinzu kommen 2013-2015 etwa vier Millionen "Austauschbesucher" in jedem dieser Länder.
Die touristische Infrastruktur Myanmars wurde von einer halben Million Touristen im ersten Halbjahr 2012 bereits stark strapaziert. Im ganzen Jahr 2011 waren es knapp 400.000 Touristen gewesen. Die Mitgliedschaft Myanmars in der CLMV entbehrt nicht nur der gesetzlichen Grundlage, sondern ist auch undemokratisch und ignoriert den Rat der Welttourismusorganisation (UNWTO), eher auf Qualität als auf Quantität zu setzen. Da allgemein davon ausgegangen wird, dass die regierende Union Solidarity and Development Party (USDP) die Wahlen 2015 verlieren wird, wird die CLMV als skrupelloser Versuch der ehemaligen Generäle gesehen, das Heu einzufahren, solange die Sonne noch scheint.
Laut seinen Förderern beim International Centre for Responsible Tourism (ICRT) geht es beim verantwortlichen Tourismus darum, "Verantwortung dafür zu übernehmen, dass durch Tourismus eine nachhaltige Entwicklung erreicht wird". In Ländern mit einem gewissen Standard zum Schutz der Menschenrechte und einer soliden touristischen Infrastruktur mag ein verantwortlicher Tourismus den Gemeinschaften vor Ort nützen. In Myanmar jedoch wird die neue Politik die Ansprüche eines verantwortlichen Tourismus untergraben, wenn sie die derzeitige, durch Vetternwirtschaft dominierte Dynamik fördert – zu Lasten der politischen, ökologischen und kulturellen Nachhaltigkeit. Das Konzept ist von Anfang an zum Scheitern verurteilt, wenn die mit Tourismus befassten Ministerien versuchen, "verantwortlichen Tourismus" als "Cash Cow" zu melken.
Kumpanei im Tourismus
Menschenrechtsverletzungen und die Vetternwirtschaft in Myanmar waren die Gründe für den globalen Tourismusboykott. Günstlinge haben durch ihre engen Verbindungen zur Junta einen enormen Reichtum angehäuft. In den 1990er Jahren hatten jedoch nur wenige von ihnen Interesse am Tourismus. Jetzt ändert sich das rasch, denn Myanmar bereitet sich auf Massentourismus und auf die Südostasienspiele 2013 vor. Wenn die Günstlinge der alten Junta weitere Hotelzonen erschliessen, werden die Konflikte um Land wahrscheinlich zu einem grossen Problem werden. Selbst die Ministerien untereinander sind sich bezüglich der Landrechte in Myanmar nicht einig.
Das Ministerium für Hotellerie und Tourismus hat mit dem Kulturministerium über den Bau von Hotels an der Weltkulturerbestätte in Bagan verhandelt. Die Einheimischen in Bagan sind entschieden gegen Hotelprojekte auf dem 42 km2 grossen Gelände. Am 22. Oktober 2012 kam es in Bagan-Nyaung Oo zu den ersten lokalen Protesten gegen touristische Infrastrukturprojekte, die es in Myanmar je gegeben hat. Die Forderungen der Einheimischen, die Weltkulturerbestätte von Bagan zu respektieren und keine weiteren neuen Hotels und Restaurants auf dem Gelände zu bauen, wurden von den Behörden bislang ignoriert.
In den touristischen Zielgebieten investieren die Günstlinge der alten Junta jetzt auch in die Hotellerie und den Tourismus. Ahlon Tin Win, der Eigentümer der Firma Tin Win Tun in Monywa, einem Handelszentrum etwa 100 km nördlich von Mandalay, setzt auf die Holzgewinnung in der Sagaing Division und im Bundesstaat Kachin. Wegen Landraub liegt er mit den Bauern vor Ort im Clinch. Mindestens ein Bauer wurde während der Auseinandersetzung verhaftet. Ahlon Tin Win ist auch der Eigentümer des Win Unity Hotels, dem grössten Hotel in Monywa, das auf "gewonnenem" Land erbaut wurde. Früher waren hier ein See und öffentlicher Grund und Boden. Und das ist kein Einzelfall. Heute gibt es viele Günstlingsunternehmen, von Privatbanken über Telekommunikationsfirmen, über Elite-Busunternehmen im Fernverkehr bis hin zu fast jeder mautpflichtigen Strasse in Myanmar, einschliesslich der Tankstellen und Franchise-Gaststätten am Strassenrand. Es ist Zeit für eine genaue Bestandesaufnahme der Beteiligungen und Interessen von Günstlingen im Tourismus in Myanmar.
Kaum Chancen für Kleinunternehmen
Trotz der dramatisch wachsenden Zahl an Touristenankünften in Myanmar ist seit 2011 der Absatz von Pauschalreisen zurückgegangen. Das deutet darauf hin, dass das Land auf dem Weg ist, ein Top-Reiseziel für ausländische Individualreisende zu werden. Doch die derzeit zur Verfügung stehenden kleinen Hotels sind dem Zustrom an Individualtouristen nicht gewachsen. Es gibt eine Vielfalt an kleineren Unternehmen und Pensionen in Myanmar, doch die meisten davon haben keine Lizenz, um ausländische Touristen zu beherbergen. Kleinere Unternehmen haben nicht das Know-How oder die Mittel, um die nötigen Hygiene- und Sicherheitsstandards zu erfüllen. Das System gibt den grösseren Hotels weiterhin die Oberhand. Wenn kleinere Unterkünfte nicht in der Lage sind, die von den Behörden festgelegten Standards für ausländische Gäste zu erfüllen, werden sie auf längere Sicht entweder untergehen, oder sie werden von ausländischen oder Günstlingsunternehmen übernommen. Wenn Touristen vermeiden wollen, dass ihr Geld in die Taschen von Günstlingen der alten Junta fliesst, werden ihre Wahlmöglichkeiten in näherer Zukunft wohl immer stärker eingeschränkt sein.
Reisebeschränkungen in Konfliktgebieten
Im Kulturtourismus in Myanmar wird "Authentizität" schwer zu erreichen sein. Die Reisefreiheit bleibt eingeschränkt. Fast jede Touristenattraktion ist inszeniert. Die Sicherheitsprobleme und die anhaltende Instabilität im Land werden für viele Touristen, die die ausgetretenen Pfade verlassen wollen, wahrscheinlich eine Hürde darstellen. Im Oktober wurde die Touristenenklave Mrauk-U im Bundesstaat Rakhine für Touristen gesperrt, nachdem es in der Gegend wieder zu Unruhen gekommen war.
Der Ökotourismus ist ein wichtiges Tourismusprodukt in Myanmar. Doch im Laufe der vergangenen zwei Jahrzehnte sind sogar die Schutzgebiete Opfer des illegalen Holzeinschlags und der Wilderei geworden. Die Einheimischen in den nahegelegenen Dörfern sind sich der bitteren Tatsache bewusst, dass der Alaungtaw Kathapa-Nationalpark abgeholzt wird und dass chinesische Wilderer, nachdem sie die Behörden vor Ort bestochen haben, Bären wegen ihres Gallensafts und Pfauen wegen ihrer Federn nachstellen.
Eine kritische Diskussion ist nötig
Wenn Myanmar die touristischen Fallstricke vermeiden will, in die Thailand oder Kambodscha geraten sind, müssen die Behörden es mit ihrem Engagement für einen verantwortlichen Tourismus sehr ernst meinen. Da China und Indien auf dem Weg sind, die grössten touristischen Quellmärkte der Welt zu werden, muss bei der Entwicklung der Infrastruktur in Myanmar der Schwerpunkt auf die Steuerung des grenzüberschreitenden Tourismus mit den Nachbarländern gelegt werden. Ausserdem muss eine inklusive und demokratische Tourismusentwicklung oberste Priorität haben, ebenso wie der Naturschutz, die Regulierung der Wirtschaft, Verhaltenskodizes für alle Beteiligten, Umweltverträglichkeitsprüfungen für alle Tourismusprojekte und Nachhaltigkeitsindikatoren.
Die Wirkungskraft des politischen Handlungskonzepts für verantwortlichen Tourismus wird sich evaluieren lassen, wenn seine "Aktionspunkte" durch den derzeit in Arbeit befindlichen Tourismus-Masterplan mit Zeitvorgaben versehen sind. Es braucht dringend eine kritische Diskussion über den Tourismus in Myanmar, insbesondere über die Realisierbarkeit oder die Schwäche des politischen Handlungskonzepts für verantwortlichen Tourismus. Eine bedeutende Herausforderung wird darin bestehen, Wege zu finden, wie der Tourismus die strukturelle Armut in Myanmar mindern kann, abgesehen von saisonalen Beschäftigungsmöglichkeiten in einer Tourismuswirtschaft, die von ausländischen Geschäftsleuten und Günstlingen der alten Junta in Myanmar monopolisiert wird. Wenn der verantwortliche Tourismus in Myanmar die drei Ziele wirtschaftliche Entwicklung, ökologische Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit verfolgen soll, sind die beiden letzteren im gegenwärtigen Vetternwirtschaftskapitalismus schwer zu fassen.
Ko Ko Thett studiert und arbeitet am Institut für Internationale Entwicklung an der Universität Wien. Dieser Beitrag basiert auf dem Bericht "Responsible Tourism in Myanmar: Present Situation and Challenges" von Ko Ko Thett, herausgegeben vom Burma Center Prague.*