Der Serengeti droht die Sterbestunde
Am Himmel der Serengeti ziehen Geier gemächlich ihre weiten Kreise. Sie äugen nach Kadavern oder Tieren, die tiefer unter ihnen im wildreichsten Gebiet der Erde ihrem Ende entgegensehen. Doch neuerdings symbolisiert das kreisen der Geier eine ungleich mächtigere Dimension: Dem einzigartigen Wildparadies mit den grössten Tierwanderungen der Welt droht nun selbst das Ende. Was seit Jahren schon diskutiert wurde, soll jetzt Wirklichkeit werden: eine 53 Kilometer lange Handelsstrasse quer durch den Norden des 14’763 Quadratkilometer grossen Nationalparks. Ihre Verwirklichung wäre wohl der Anfang vom Ende des unvergleichlichen Biosphärenreservats.
Das aber scheint weder die Mehrheit des tansanischen Parlaments noch den einstigen Hoffnungsträger der UmweltschützerInnen, Präsident Jakaya Mrisho Kikwete, zu beeindrucken. Man gibt sich entschlossen, trotz des unterdessen eingesetzten internationalen Proteststurmes wider das Projekt, Hauptargument: Im Oktober sind Wahlen. Die Machthabenden versprechen dem Wahlvolk und sich selbst dank dieser Schnellstrasse durch das UNESCO-Weltnaturerbe Serengeti neue Profite und Entwicklungschancen.
Serengeti darf…
"Da sitze ich nun, achtundvierzig Jahre alt, am trüben Morgen des 11. Dezembers 1957 in unserem einmotorigen Flugzeug und fliege in 200 Metern Höhe den Rhein entlang nach Süden, nach der Schweiz." So beginnt das Buch "Serengeti darf nicht sterben" des deutschen Tierarztes, Naturschützers und Zoodirektors Bernhard Grzimek, den eine Freundschaft mit Tansanias erstem Präsidenten Julius Nyerere verband, schuf das Land vorbildhaft zahlreiche neue Nationalparks und konnte die Serengeti bis heute erhalten werden. Die Naturschutzorganisation Zoologische Gesellschaft Frankfurt (ZGF), deren Präsident er war, hat bis heute ihr richtungweisendes Engagement in der Serengeti aufrechterhalten. Doch den längst fälligen Alarm hat nicht sie ausgelöst. Das waren andere, die sich heute weniger im Gestrüpp der tansanischen Politik verheddert haben.
Strategische Strasse
Tatsache ist, dass der von der Regierung geplante Highway und die ihn umrankenden Gerüchte die Gemüter schon seit Jahren immer wieder erregten. Nach den vorliegenden Informationen handelt es sich um eine strategische Handelsstrasse. Diese soll Häfen wie Mombasa, Tanga und Dar-es-Salaam am Indischen Ozean direkt mit den Binnenländern des zentralen Afrikas verbinden. Dahinter steckt das zunehmende Interesse der Grossmächte und des Welthandels an Tansania. "Leider ist diese geplante Strasse kein Einzelfall: Sie ist auch Teil des gesamten Northern Corridor-Projekts, das auch eine Sodafabrik am Natronsee und einen neuen Tiefseehafen in der Mwambani-Bucht in Tanga vorsieht. Also mitten im neuen, 2009 deklarierten Marinepark für Quastenflosser", erklärte eine in Tansania lebende Umweltschützerin gegenüber dem HABARI.
Es sind begründete Bedenken: Grossmächte wie China und die USA, aber auch internationale Handels-, Tourismus- und Minenkonzerne versuchen in Tansania gross Tritt zu fassen. Das politisch immer noch stabile, jedoch von Korruption gebeutelte Land hat ein beachtliches Entwicklungspotenzial – und es gerät mit seinen riesigen Rohstoffreserven und attraktiven Naturschätzen zunehmend in unkontrollierbare Abhängigkeiten. Grossinvestitionen in Tansania müssen heute in diesem Zusammenhang beurteilt werden, auch die geplante "Trans-Serengeti".
Wanderroute gefährdet
Diese würde von der Ortschaft Loliondo – parallel zur Grenze Kenias und des angrenzenden Massai-Mara-Wildschutzgebietes – in Richtung Westen durch die Serengeti nach Mugumu und weiter nach Musoma zum Victoriasee führen. Die Regierung argumentiert, davon könnten endlich auch die schlecht zugänglichen Ortschaften westlich der Serengeti profitieren. auf dem Highway würden jedoch neben Bussen und Personenwagen Tag für Tag auch zahlreiche schwere Lastwagen fahren. Just dieses Gebiet ist aber für das Ökosystem Serengeti von grösster Bedeutung, da hier jedes Jahr die grösste Tierwanderung der Welt mit gegen zwei Millionen Gnus und Zebras durchzieht.
Als zentrale Verkehrsader, speziell nach Uganda und Ruanda, würde die Strasse laut den ExpertInnen mit ihrem Schwerverkehr die Wanderroute brutal durchschneiden. Und der Highway hätte zahlreiche menschliche Verkehrsopfer durch Zusammenstösse mit Wild wie auch unzählige überfahrene oder verletzte Wildtiere zur Folge, warnt etwa Professor Claude Mung’ong’o vom Ressourcen-Institut der Universität Dar-es-Salaam. Überdies würde die nördliche Serengeti für die dort ohnehin grassierende Wilderei noch besser zugänglich.
Kritik der Insider
Schlaflose Nächte verursachte das Projekt vor Jahren schon dem damaligen und langjährigen Generaldirektor der tansanischen Nationalparkbehörde (TANAPA), dem Zoologen Gerald Bigurube. Er wie auch andere führende TANAPO-Beamte erklärten mutig und gegen die Intentionen der Regierung, diese Strasse dürfe keinesfalls gebaut werden. Anfangs 2007 schon äusserte Bigurube gegenüber einer FSS-Delegation besorgt: "Wenn ich ganz ehrlich sein will, kann nur noch der Präsident diese Strasse verhindern."
Später hatte der als integer geltende Bigurube aufgrund undurchsichtiger Vorwürfe seinen Posten abzugeben – gleich wie zuvor sein Vorgänger Lota Malmari, der ebenfalls kein Blatt vor den Mund nahm und seinen Hut nehmen musste. Melamari setzt sich heute als Direktor der tansanischen Wildschutzgesellschaft (WCST) vehement gegen das "destruktive Strassenprojekt" ein, "welches alle bisherigen Anstrengungen zur Erhaltung dieses kulturellen und natürlichen Erbes" zunichte machen würde. Auch die Weltbank will vom Projekt nichts wissen.
Die Organisation "Freunde der Serengeti (FSS)" protestiert
Der Sturm der Entrüstung, zuerst von besorgten Individuen und Nichtregierungsorganisationen angefacht, hat unterdessen auch auf internationaler ebene gewaltig zugenommen, der Druck auf die tansanische Regierung ebenfalls. In Dar-es-Salaam raten die meisten Diplomaten von einer Realisierung der Strasse dringend ab, inklusive die Schweizer Vertretung. Aktiv wurde auch der FSS. Präsident Bernhard Arnet ersuchte in einem Brief Präsident Kikwete und seine Regierung, das Projekt fallen zu lassen: "Aus unzähligen anderen Beispielen auf der Welt wissen wir, dass sensible Ökosysteme Handelsstrassen dieser Art niemals verkraften können. Wir können nicht ein Gebiet unterstützen, das von einer Regierung mit ruinösen Bauplänen als nicht mehr schutzwürdig erachtet wird", hiess es in seinem Schreiben, mit dem später auch die Schweizer Medien und das Eidgenössische Departement für Auswärtige Angelegenheiten (EDA) bedient wurden.
Arnet hatte bereits 2007 auf einer Erkundungsfahrt im Projektgebiet Strassenbaupfosten entdeckt. Seine Anfrage bei Landsmann Markus Borner, zuständig für die Afrika-Projekte der Zoologische Gesellschaft Frankfurt ZGF, wurde verharmlosend beantwortet. Die Sache sei vom Tisch, beschwichtigte der seit Jahrzehnten in der Serengeti lebende Nachfolger von Bernhard Grzimek. Borner arbeitet heute in einem politisch sehr schwierigen Umfeld. Mit ein Grund, weshalb er – ganz im Gegensatz zu Grzimek – nur im Notfall klar Stellung bezieht.
Zoologische Gesellschaft Frankfurg (ZGF) in der Zwickmühle
So hat die ZGF erst nach dem allgemeinen Aufschrei auf die Bedrohung reagiert. Dafür ist ihre späte Stellungnahme gegen das Strassenbauprojekt – mitverfasst vom unterdessen von der Gesellschaft angeheuerten Ex-TANAPA-Chef Bigurube – so ausführlich wie unmissverständlich ausgefallen. Zudem hat die Gesellschaft gewichtige Wissenschaftler wie etwa den amerikanischen Ökologie-Professor Andrew P. Dobson in ihre Anti-Highway-Kampagne eingebunden. Mit dem Highway würden auch Tierkrankheiten in den Park geschleppt, die den Wildbestand rasch reduzieren könnten, warnt die ZGF unter anderem. Die von Direktor Christoph Schenck gezeichnete und an die tansanische Regierung gerichtete Stellungnahme endet versöhnlich: "Wir sind überzeugt, dass die Leader und das Volk Tansanias nichts unternehmen werden, was die berühmte Serengeti zerstören würde."
Allerdings sass die ZGF gerade noch selbst in der Zwickmühle. Sie hat sich mit dem US-Milliardär und Hedge-Funds-Besitzer Paul Tudor Jones (PTJ) angefreundet, der in Tansania schon gegen 100 Millionen Dollar investierte – in erfolgreiche Wildschutzprojekte entlang der westlichen Serengeti und in den Bau abgelegener Luxus-Lodges für die Super-Reichen dieser Welt. Sein Name fiel aber auch regelmässig im Zusammenhang mit dem Bau eines internationalen Flughafens bei Mugumu – und mit dem umstrittenen St6rassenprojekt quer durch die Nordserengeti. Laut zuverlässigen Quellen wollte der angeblich überzeugte Naturfreund PTJ die beiden Vorhaben auch mitfinanzieren.
Gefährdete Glaubwürdigkeit
Anderseits investiert Paul Tudor Jones aber gegen 6 Millionen Euro in ein Prestige-Objekt der ZGF: Die Wiederansiedlung von 32 Ostafrikanischen Spitzmaulnashörnern aus Südafrika in der Serengeti. Der Kauf, das Einfangen, der Transport, die Auswilderung und der Schutz durch eine extra ausgebildete Spezialeinheit werden vom Amerikaner mitfinanziert. Und so landete am 21. Mai eine Lockheed C-130 Hercules-Transportmaschine mit den ersten fünf Nashörnern auf der Sandpiste des Serengeti-Hauptquartiers Seronera. Begeisterter und ranghöchster Augenzeuge der Landung und des Beginns der "grössten Umsiedlung dieser Art" (ZGF) war – Jakaya Mrisho Kikwete, Tansanias Präsident.
Zu dieser Zeit wurde jedoch das von ihm aufgrund eines 2005 gemachten Wahlversprechens befürwortete Highway-Projekt längst schon erbittert diskutiert. Doch die ZGF hielt immer noch still. Ihre öffentliche Stellungnahme gegen die Strasse erfolgte erst drei Wochen später, nachdem die deutsche Gesellschaft endgültig ihre Glaubwürdigkeit zu verlieren drohte. Dies wiederum war für besorgte Kritiker auch innerhalb der Nationalparkbehörde TANAPA viel zu spät.
Heilloses Durcheinander
Geradezu widersinnig schien da die Wahl des neuen Lebensraums für die aus Südafrika eingeflogenen Nashörner: Er befindet sich ebenfalls im Norden der Serengeti und könnte von Wilderern über die geplante Handelsstrasse relativ einfach erreicht werden. Dass Nashornwilderer, zumeist von chinesischen Verbrechersyndikaten angeheuert, heute keine Mittel mehr scheuen und neuerdings sogar mit Helikoptern operieren, zeigt die brutale Dezimierung der Rhinos im bislang beim Wildschutz gut organisierten Südafrika. Hier stellt sich für Tansania die Frage: Wie wollen ihre Serengeti-Ranger mit ihren relativ beschränkten Mitteln die Nashornkiller abwehren?
BeobachterInnen kritisieren nun, dass bei der Planung der gross angekündigten Nashorn-Rückführung nach Tansania entweder wichtige Zusammenhänge nicht erkannt worden sind – oder diese aus politischen Überlegungen oder Prestigegründen bewusst ignoriert wurden. Sah es im Sommer noch fast danach aus, als würde Milliardär Paul Tudor Jones mit Hilfe der ZGF die Ostafrikanischen Nashörner aus Südafrika heimholen und auswildern, um sie später den Wilderern durch eine mitfinanzierte Schnellstrasse quer durch die geöffnete Serengeti auf dem Silbertablett zu präsentieren, haben sich die beiden Partner unterdessen klar positioniert: Die ZGF mit ihrem Argumentationskatalog wider den Highway und Jones im Juli mit seiner offiziellen Beteuerung, diesen tatsächlich nicht mehr finanzieren zu wollen.
Auch Befürworter
In der tansanischen Bevölkerung jedoch gibt es durchaus auch Stimmen für die geplante Trans-Serengetistrasse. Nicht erstaunlich, da sich nach wie vor nur die wenigsten AfrikanerInnen einen Aufenthalt im Park leisten können. Zeitungskommentatoren vertreten die wirtschaftsdominierte Regierungssicht und erklären glattweg, eine Strasse würde weder die Wanderroute noch die Natur gross beeinträchtigen. Richard Ndaskoi, Massai, Geograf und Gastredner bei der FSS-Budgetversammlung 2009 in Zürich, verweist auf die Bedürfnisse der Menschen im Loliondo-Gebiet und bringt anstelle des Highways eine Eisenbahnlinie ins Spiel. Diese könne den wichtigen Handelzweck der Strasse erfüllen, sei aber wesentlich umweltschonender und besser zu kontrollieren.
Um Handelsstrasse und Eisenbahn durch die Nordserengeti zu verhindern, wird allerdings auch eine längst schon gestehende alternative thematisiert: Die südliche Umfahrung der Serengeti durch vergleichsweise dichter bevölkertes Gebiet: Arusha-Babati-Singinda-Nzega-Shinyanga-Musoma-Viktoriasee. Obwohl länger und somit für Transporteure auch teurer, bietet die „Südvariante“ unter anderem den grossen Vorteil, nirgends das Biosphärenreservat zu berühren.
Adieu Weltnaturerbe?
Die südliche Umfahrung der Serengeti wird derzeit mit Geld der Weltbank und der Afrikanischen Entwicklungsbank wieder in Stand gesetzt. Dieter Schelling, Sachverständiger der Weltbank in Tansania, hat sich früh schon explizit gegen die "Nordvariante" ausgesprochen. Auch das benachbarte Kenia mit dem zum Serengeti-Ökosystem gehörenden Touristenmagnet Massai-Mara will nichts von dem neuen Highway wissen. Es befürchtet wirtschaftliche Einbussen, etwa durch die Störung der Wildwanderungen, welch auch den Massai-Mara-Tourismus beleben. Im Hintergrund spielen zudem wohl auch Ängste mit, dass die eigene Handelsstrasse zwischen Mombasa und Kampala von der durch die Serengeti geplante Strasse konkurrenziert wird und in Zukunft der Handel von Uganda zum Indischen Ozean durch die tansanische Serengeti führen könnte.
Unterdessen sieht sich Tansania aber auch mit einer weltweiten Empörung konfrontiert. Das zumeist als unverantwortlich gebrandmarkte Strassenprojekt wird von immer mehr Medien thematisiert. Bisherige staatliche und private UnterstützerInnen des tansanischen Naturschutzes überlegen sich im Ausland ihr zukünftiges Engagement. Und die UNESCO drohte, die Serengeti verlöre bei Realisierung ihres Projektes das Qualitätsattest "Weltnaturerbe".
Gefährdete Zukunft
Doch so begeistert Tansanias Präsident Kikwete die Ankunft der ersten fünf Nashörner aus Südafrika bejubelte, so unnachgiebig geben sich er und seine Regierung beim Strassenprojekt. Der Highway werde gebaut, tönt es gebetsmühlenartig aus Dar-es-Salaam. Ob er das wirklich wird, ob Tansania tatsächlich ihre berühmte Serengeti so leichtfertig opfert, scheint dennoch nicht in Stein gemeisselt. Denn unterdessen hat sich der Präsident, der als bekennender Naturschützer sein Amt angetreten hat, ein Türchen öffnen lasssen. Eine neue "Task Force" soll die Sache nochmals überprüfen und ihm schliesslich Bericht erstatten. Dies ist allein schon deshalb notwendig, weil mit dem Rückzug des Geldgebers Paul Tudor Jones in der Baukasse plötzlich Millionen fehlen. Damit dürften Tansania auch die Finanzen zur Realisierung der "Trans-Serengeti" fehlen. Zumindest so lange, bis ein neuer und unzimperlicher Geldgeber einspringt – China zum Beispiel.
Ob die Serengeti bald sterben wird, bleibt also vorderhand offen. Sicher ist nur, dass das prächtige Biosphärenreservat sowie das Land Tansania mit seinen attraktiven Ressourcen zunehmend die Begierten grosser Investoren wie Staaten, Minen, Transport und Tourismusunternehmen weckt. Überdies verstärken sich der Bevölkerungsdruck und der Kampf um Land – an den Grenzen des Nationalparks und anderswo – weiter: Die letzte Schlacht um die Serengeti ist im vollen Gang – und das Kreisen der Geier über diesem von vielen Seiten bedrohten Paradies auf Erden dürfte seine Doppeldeutigkeit so rasch nicht verlieren. Leider.
Der Beitrag erschien in HABARI, der Zeitschrift der Freunde der Serengeti, Nr. 3/10. Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung.