
Der Weihnachts-Pfarrer
Er sei eine umstrittene Persönlichkeit, gibt Mitri Raheb unumwunden zu. Seine Heimat sei Palästina, sein Glaube christlich. Damit setzt sich der lutherische Pastor zwischen alle Stühle im Nahen Osten. Er sei Christ in einem muslimischen Umfeld unter israelischer Besatzung. Mit Jesus habe er einiges gemeinsam, witzelt Raheb. Wie der Nazarener wurde er in Bethlehem unter der Besatzung geboren. Und wie Jesus sei auch er umstritten.
In seinen 52 Jahren hat der Pastor neun Kriege erlebt. Mitri Raheb wurde 1962 geboren. Mit 13 Jahren musste er nach dem Tod des Vaters dessen Buchhandlung übernehmen. Später studierte er evangelische Theologie in Hermannsburg und in Marburg. Mit 26 Jahren übernimmt er das Pfarramt an der lutherischen Weihnachtskirche in Bethlehem.
Raheb selbst bezeichnet sich als palästinensischen Theologen der Hoffnung. Unerschütterlich prangert er die israelische Besatzungspolitik an. 2008 erhielt Mitri Raheb den Aachener Friedenspreis für seinen Einsatz für ein friedliches Zusammenleben von Juden und Palästinensern. 2011 verlieh ihm der ehemalige Bundespräsident Roman Herzog den Deutschen Medienpreis. Doch Rahebs palästinensische Sicht auf die Geschichte im Nahen Osten eckt auch an.
Tausendjährige Geschichte der Besatzung
Die Bibel ist für Raheb ein Buch, das nur im Nahen Osten entstehen konnte, denn sie zeugt davon, dass Palästina die meiste Zeit von fremden Mächten besetzt war. Angefangen beim biblischen bis zum heutigen modernen Israel. Die biblischen Geschichten und Verheissungen, etwa die vom gelobten Land, drücken die Leiden und Hoffnungen eines besetzten Volkes aus. Sie gelten für Juden und Palästinenser gleichermassen, ist Mitri Raheb überzeugt. In seinem neuesten Buch "Glaube unter imperialer Macht" nimmt der Palästinenser die alttestamentlichen Geschichten und den Juden Jesus für sich und sein Volk in Anspruch und sorgt für die jüngste Provokation.
Nur aus der Sicht der Unterdrückten erhielten die biblischen Aussagen ihre Tiefe und verdichteten sich zur Frage, warum Gott nicht hilft, wenn sein Volk so leidet. "Die Menschen geben selbst in der Katastrophe ihren Glauben an Gott und ihre Hoffnung nicht auf", erklärt Mitri Raheb.
Mitri Raheb glaubt an eine friedliche Zukunft zwischen Israelis und Palästinensern und zwischen Muslimen, Juden und Christen. Im Nahen Oste gebe es zu viel Religion und zu wenig Spiritualität, erklärt er. Die wichtigste Frage im Nahen Osten laute: Welcher Geist wird künftig die Region bestimmen? "Die Kultur der Macht, wie sie heute herrscht? Oder die Macht der Kultur?", fragt Raheb. Die Kultur des Todes, der Märtyrer und Selbstmordattentäter sei der falsche Weg.
Der Pastor der Weihnachtskirche fordert für den Nahen Osten eine Kultur des Lebens, wie sie Jesus mit seiner Gewaltlosigkeit und Nächstenliebe vorgelebt hat. Er ruft die Menschen auf, an die Visionen der biblischen Propheten zu glauben. Etwa an jene von Jonas, der Ninive dazu brachte, umzukehren. Oder jenen des Propheten Jesaja, der verhiess, dass der Wolf neben dem Schaf weidete. "Solche Visionen haben die Kraft, Menschen zu verändern", ist Mitri Raheb überzeugt, der nur wenige Meter entfernt von der Geburtsstätte Jesu auf die Welt kam. Auch der glaubte
an solche Visionen.