«Die Blogger erleben nicht die Gewalt in Gaza, aber die depressive Stimmung in der Westbank»
Basel, 16.01.2009, akte/
Was für eine Idee stand hinter den Blogs?
Die Anfrage ist von Euch gekommen. Ihr habt die Kampagne organisiert, welche den palästinischen Code für Reisen ins Heilige Land in der Schweizer Öffentlichkeit bekannt machen soll. Dafür habt Ihr nach SchweizerInnen gesucht, die Erfahrungen mit Reisen nach Palästina gemacht haben. Peace Watch Switzerland hat eine ständige Präsenz in den besetzten Gebieten und zur Arbeit der MenschenrechtsbeobachterInnen gehört auch die Öffentlichkeitsarbeit. Die Freiwilligen sind verpflichtet, über ihre Erfahrungen zu schreiben, zu reden, an Ausstellungen dabei zu sein. Die Zusammenarbeit lag also nahe.
Wie hast Du die Blogs organisiert?
Ich musste unsere BeobachterInnen thematisch anweisen. Wenn sie ohne Anleitung berichten, kommen vor allem Aussagen über die Besatzung und die damit verbundenen Einschränkungen. Wir wollten aber auch den Alltag der Menschen in Palästina herüberbringen. Allerdings wäre es ignorant, das nach dem Militärschlag in Gaza weiter so zu machen, daher haben sich die Berichte seither geändert. Eine Herausforderung waren die Internetzugänge, die nicht überall gewährleistet sind. Wir mussten abklären, ob es überhaupt möglich ist, regelmässig einen Blogeintrag zu schicken. Zumal noch mit Bild, was die zu sendende Datenmenge erhöht. Schliesslich haben wir überall eine Lösung gefunden. Eigentlich sollten die Blogger jeden fünften Tag einen Beitrag schicken. Manche schickten gleich mehrere aufs Mal, wenn sie grad zum Schreiben Zeit fanden, andere sandten einen längeren Text, aus dem ich einen Teil herausnahm. Manchmal stimmte die Reihenfolge nicht ganz. Aber insgesamt hat es gut funktioniert.
Warum gab es eine Pause vom 29. Dezember bis zum 12. Januar?
Es ging darum zu schauen, wie es läuft, zu evaluieren und allenfalls zu berichtigen. Ausserdem haben die MenschenrechtsbeobachterInnen auch Anrecht auf ein paar Freitage. Diese ziehen sie gern übers Neujahr ein. Normalerweise ist dies, ausser in Bethlehem, eine ruhige Zeit.
Mit dem Ausbruch des Krieges war es dann ganz und gar keine ruhige Zeit.
Die Westbank ist von der Gewalt ja nicht direkt betroffen. Aber von der depressiven Stimmung. Die Menschen in der Westbank sind verbunden mit Gaza. Zum Teil haben sie dort Familienangehörige. Es werden aber auch Erinnerungen wach, wie etwa die israelische Aggression in Jenin. Damals rückte die israelische Armee nach einem Attentat der Hamas am jüdischen Pessach-Fest in Netanja mit 30 Todesopfern am 3. April 2002 ins Flüchtlingslager Jenin ein. Nach tagelangen blutigen Kämpfen zerstörten israelische Abrisskommandos mit Bulldozern Teile des Flüchtlingslagers. Die Zahl der Opfer ist bis heute umstritten, sie schwankt zwischen 52 und 400-500. Es gibt ältere Leute, die schon 1948 geflohen sind. All die Traumata kommen wieder hoch. Ausserdem überlegen sich die Leute: Wenn das in Gaza möglich war, was heisst das für die Westbank? Es gibt spontane Demos, die auch in Gewalt ausarten. Das Israelische Militär unterbindet diese sofort. Früher gab es dabei oft einige Zwischenschritte: Erst Knallpetarden zur Warnung, danach Tränengas, erst danach wurde geschossen. Jetzt wurde direkt auf unbewaffnete Demonstrierende geschossen.
Was heisst das für die Leute, die Peace Watch Switzerland geschickt hat?
Unsere MenschenrechtsbeobachterInnen sind nahe dran und können trotzdem nichts machen. Es ist wichtig, dass sie da sind, reden, zuhören, Druck wegnehmen. Wir beobachten aber die Situation ganz genau. Ab wann könnte es für die BeobachterInnen vor Ort gefährlich werden, weil die Wut der Bevölkerung ein Ventil braucht? Schon jetzt kommen Fragen wie: Wie steht eure Regierung dazu? Warum ist ein israelisches Leben mehr wert als ein palästinensisches? Da ist es wichtig, zu zeigen, dass sie weiter den Alltag teilen und immer wieder davon erzählen, dass es überall auf der Welt Menschen gibt, die auch nicht einverstanden sind mit dem, was jetzt geschieht.
Ab morgen gibt es auch dreimal einen Blog von der nächsten Staffel von MenschenrechtsbeobachterInnen, die noch nicht ausgereist sind. Was können die berichten?
Sie berichten von ihren Gefühlen bei der Vorbereitung für den Einsatz in Palästina. Es wird interessant sein zu lesen, was für Ängste, Hoffnungen, Vorstellungen sie haben, bevor sie abreisen, und wie sie die Situation konkret erleben, wenn sie ab Februar dann dort sind. Das gibt auch Anhaltspunkte für SchweizerInnen, die eine Reise nach Palästina planen. In den nächsten Wochen wird es Überschneidungen geben zwischen den Blogeinträgen von Frauen und Männern, die noch im Einsatz sind und denen, die erst in den Einsatz reisen. Nach der Rückkehr der ersten Staffel werden die fünf berichten, wie sie ihre Rückkehr erleben und was sie im Rückblick zu sagen haben. Auch damit möchten wir Leute aus der Schweiz abholen, die eine Reise nach Palästina schon gemacht haben oder vielleicht noch vorhaben.
Was sind die Erfahrungen von Peace Watch Switzerland mit dem Blog?
Für mich ist es angenehm, dass ich die Leute auf den Blog auf fairunterwegs.org verweisen kann und nicht immer die eigene Homepage aktualisieren muss. Es gab ein paar Rückmeldungen von Leuten, die nicht verstanden haben, warum mitten im Krieg der Blog am 29.12. aufhörte und erst am 12.01. wieder begann. Aber insgesamt ist es eine gute Erfahrung. Wir bloggen auf jeden Fall weiter, solange die Palästina-Kampagne auf fairunterwegs.org läuft, also sicher bis in den Frühling hinein.