Wer jeden Tag mit den Folgen von innerfamiliärer und systematischer sozialer Gewalt gegen Frauen konfrontiert ist, teilt die Begeisterung für den aktuellen politischen Prozess nicht ungetrübt. "In der Verfassung und in der Gesetzgebung wurde bereits einiges erreicht, um die Stellung der Frau zu verbessern", meint Yovana Aruquipa, die Koordinatorin des Frauenhauses. Dass die Hälfte der zwanzig Ministerien im Land mit Frauen besetzt sind, sei ein "historischer Fortschritt".
Die Psychologin Luz Mejiya beobachtet: "Die Regierung nimmt die Arbeit und den Druck von organisierten Frauengruppen aktiv wahr, individuelle Vorstösse werden jedoch schubladisiert oder belächelt." Die Sozialarbeiterin Sandra Aranoca berichtet: "Die Fälle innerfamiliärer Gewalt gegen Frauen und von Verbrechen gegen Frauen wurden schon immer verschleppt. Sie gehen weiterhin zwischen Desinteresse und Bürokratie unter."
Oft wird kritisiert, soziale Organisationen in indigener Tradition seien machistisch. Diese Meinung teilen die Mitarbeiterinnen des Frauenhauses so nicht, aber: "Die Einheit von ‹Chacha warmi› (‹Mann und Frau› in der Indigenen-Sprache Aymara) fördert zwar die Beteiligung der Frau, schliesst aber alles aus, was nicht dem herkömmlichen Paarideal entspricht", erklärt Luz Mejiya. Unterschiedlichkeit und Vielfalt seien die Grundlagen der Verfassung, so die Psychologin. Doch der Präsident Evo Morales Ayma reproduziere in seinen Reden Stereotypen des starken Mannes.
Das Frauenhaus "Suma Jakaña" ist ein Projekt von mission 21 und nimmt Frauen auf, die unter physischer und psychischer Gewalt leiden. Infos zum Projekt: www.mission-21.org
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