Warum war die Klimakonferenz in Kopenhagen 2009 so wichtig? Im Kyoto-Protokoll haben sich 37 Industriestaaten, darunter auch Deutschland, zu einer Reduzierung der Treibhausgase um fünf Prozent gemessen an 1999 völkerrechtlich verbindlich verpflichtet. Diese sogenannte erste Verpflichtungsperiode läuft 2010 aus. Bis alle Staaten durch ihre Parlamente eine Anschlussregelung ratifiziert haben, vergehen erfahrungsgemäss drei Jahre. Zurückgerechnet von 2012 war Kopenhagen deshalb die letzte Klimakonferenz, auf der eine Anschlussregelung hätte entschieden werden können.
Um den Treibhauseffekt nicht vollständig ausser Kontrolle geraten zu lassen, hätten folgende Mindestregelungen entschieden werden müssen:

  • eine völkerrechtlich verbindliche Verpflichtung der Industriestaaten, die eigenen CO2-Emissionen bis zum Jahr 2020 um 40 Prozent zu reduzieren;
  • verbindliche Zusagen von Finanzhilfen an Entwicklungsländer, sowohl für den Aufbau einer nachhaltigen Wirtschaft als auch für Massnahmen zu Anpassung an die heute schon erfolgenden Klimafolgeschäden, sowie
  • eine Einigung auf funktionierende Mechanismen, die CO2-Reduktionen zu koordinieren und zu kontrollieren.

Erreicht wurde bekanntermassen nichts davon. Stattdessen einigte man sich am Schluss der Konferenz auf einen sogenannten „Kopenhagen Accord“: der Klimawandel findet statt, Treibhausgase müssen reduziert, erneuerbare Energien vorangetrieben und das Abholzen der Regenwälder gestoppt werden. So weit war man vorher aber auch schon. Zusätzlich einigte man sich noch darauf, dass die Mitgliedsländer der Vereinten Nationen bis zum 31. Januar 2010 mitteilen, welche Massnahmen zum Klimaschutz sie ergreifen wollen. Das in Washington ansässige World Ressource Institute (WRI) hatte daraufhin Anfang Februar 2010 die Liste der im UN-Klimasekretariat eingegangenen Klimaschutzvorhaben genau betrachtet. Das Ergebnis: Die Massnahmen sind in der Summe immer noch weit von dem entfernt, was mindestens notwendig wäre, um die Erderwärmung nicht gänzlich ausser Kontrolle geraten zu lassen. Das politische Ergebnis der Klimakonferenz in Kopenhagen kann also durchaus als Debakel bezeichnet werden. Allerdings waren die Ursachen dafür schon vor der Konferenz absehbar.
Das Debakel war absehbar
Erstens: Die UNO entscheidet nach dem Konsensprinzip. Eine Konferenz, deren Mitgliedstaaten völlig unterschiedliche politische und wirtschaftliche Ausgangsbedingungen haben, völlig unterschiedliche Ziele verfolgen und teilweise zu den Verursachern und teilweise zu den Opfern des Klimawandels gehören, wird sich immer nur auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigen können. Gerade und erst recht dann, wenn es um Verpflichtungen zu CO2-Reduzierungen und finanzielle Zusagen geht.

Zweitens: Die schwierige innenpolitische Ausgangslage, in der sich US-Präsident Barack Obama zum Zeitpunkt der Klimakonferenz befand, wurde unterschätzt. Somit konnten ungeniert die höchsten Erwartungen auf einen Präsidenten projiziert werden, der noch vor einem Jahr angekündigt hatte, er werde sich dem Klimawandel entschlossen entgegenstellen und die Verantwortung der USA als eine der Hauptverursacher endlich anerkennen. Zum Zeitpunkt der Klimakonferenz steckte Obama aber mitten im Kampf um seine Gesundheitsreform, an deren Erfolg seine Durchsetzungskraft geknüpft wurde. Gleichzeitig ist Obama im US-Kongress einer massiven Gegenwehr gegen jegliche Klimaschutzmassnahme ausgesetzt. Ein Zugeständnis in Kopenhagen hätte ein Scheitern seiner Gesundheitsreform bedeutet.

Drittens: Die Entwicklungsländer haben kein Vertrauen in die Industriestaaten. Gründe dafür gibt es viele. Nicht eingelöste finanzielle Versprechen etwa, Abschottung der eigenen Märkte oder krasse Unterschiede in der Wirtschaftsleistung. In Kopenhagen wurde wenig getan, um das Vertrauen zwischen Entwicklungsländern und Industrienationen wieder herzustellen. Im Gegenteil: Bereits in den ersten Verhandlungstagen gelangte ein Entwurf für die Abschlusserklärung in die Medien, der de facto die Industrieländer aus der im Kyoto-Protokoll verankerten Verpflichtung zur Reduzierung der Treibhausgase entlassen hätte. Diesen Paukenschlag beantworteten einige Entwicklungsländer dann auch prompt mit dem Verlassen des Saales.
Hat das Konferenzlobbying etwas gebracht?
Vielen Experten und Organisationen, die unermüdlich auf den Klimakonferenzen von Berlin im Jahr 1995 bis Kopenhagen 2009 für einen wirksamen internationalen Klimaschutz gekämpft haben, stellen sich jetzt natürlich die folgenden Fragen: Hat es etwas gebracht? Ist die UNO überhaupt die richtige Stelle, um zu einem wirkungsvollen Klimaschutzabkommen zu gelangen? Muss die Strategie, die Verhandlungen beeinflussen zu wollen, nicht grundsätzlich hinterfragt werden? Hätte mit demselben Aufwand und denselben Ressourcen auf andere Weise nicht viel mehr erreicht werden können? Diese Fragen sind richtig und notwendig.
Die von mir vor ein paar Jahren gegründete Organisation World Future Council (WFC) hat sich zum Beispiel von Beginn an dagegen entschieden, viele Ressourcen darauf zu verwenden, den Verlauf der Klimakonferenzen beeinflussen zu wollen. Stattdessen haben wir uns vor allem auf die Arbeit mit Politikerinnen und Politikern nationaler Parlamente konzentriert und eine inzwischen viel genutzte Onlineplattform für gute Gesetze ins Leben gerufen, zu finden unter: www.onlinepact.org. Es ist meine grundlegende Überzeugung, dass wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Wandel vor allem von nationalen Parlamenten ausgehen muss.
Das Deutsche Erneuerbare Energien Gesetz
Deutschland ist an dieser Stelle ein gutes Beispiel. Dem vor etwa zehn Jahren verabschiedeten Erneuerbare Energien Gesetz (EEG) ist es zu verdanken, dass der Stromanteil aus Wind, Wasser und Solaranlagen von etwa drei auf 15 Prozent hochgeschnellt ist. 280’000 neue Jobs wurden geschaffen. Deutschland stieg zum Weltmarktführer bei Wind und Solarkraftwerken auf und hat deshalb heute im internationalen Vergleich immer noch die Nase vorn. Der Auslöser für diesen Boom: ein Gesetz auf nicht mehr als fünf Seiten Papier. Kernbestand ist die gesetzliche Verpflichtung der grossen Energiekonzerne, Strom aus erneuerbaren Energien in das Stromnetz einzuspeisen und mit festgelegten Tarifen verbindlich über 20 Jahre zu vergüten. Um zu garantieren, dass die Technik ständig weiterentwickelt wird, enthält das EEG sogenannte Degressionsraten. Diese führen dazu, dass die bezahlten Tarife jedes Jahr reduziert werden, sodass die Anlagen immer effizienter und günstiger werden. Spanien und viele andere Länder haben das Gesetz inzwischen übernommen und an ihre jeweiligen Bedingungen angepasst. Seitdem ist dort eine ähnliche Erfolgsgeschichte zu beobachten. Gäbe es das EEG nicht, hätte Deutschland seine Klimaschutzziele spektakulär verfehlt.
Sonderziehungsrechte für einen Global Green New Deal
Zusätzlich zu diesen Massnahmen hat der World Future Council die Schaffung eines neuen grünen Fonds zur Finanzierung des Klimaschutzes in den Entwicklungsländern vorgeschlagen. Dieser Fonds, der inzwischen auch vom Chef des Internationalen Währungsfonds, Dominique Strauss-Kahn, unterstützt wird, sollte rund 100 Milliarden Dollar pro Jahr bereitstellen und teilweise durch die Schaffung neuer Sonderziehungsrechte gesammelt werden. Sonderziehungsrechte sind eine künstliche Währungseinheit des Internationalen Währungsfonds, deren Wechselkurs durch Dollar, Euro, Pfund und Yen definiert wird. So wurde zusätzliche Liquidität im internationalen Finanzsystem geschaffen, die helfen kann, Probleme wie den Klimawandel in den Griff zu bekommen. Durch diese Geldschöpfung in grossem Stil ist es möglich, einen globalen Green New Deal zu finanzieren, der die wohl grösste unternehmerische Chance aller Zeiten bietet.

Die Ausgabe der Sonderziehungsrechte selbst in mehrstelliger Milliardenhöhe birgt keine Inflationsgefahr, wenn das Geld in den Aufbau neuer, nachhaltiger Industrien fliesst. So entsteht Geld nur gegen Leistung, indem arbeitslose Menschen und ungenutzte Produktionsmittel eingesetzt werden, um etwa neue Wind- und Solaranlagen herzustellen. Der World Future Council schlägt vor, das UN-Umweltprogramm UNEP und die Internationale Agentur für Erneuerbare Energien (IRENA) federführend mit dem Plan eines globalen New Green Deal zu beauftragen. Der IWF wäre hierbei für die technische Seite der Finanzierung und Geldschöpfung durch Sonderziehungsrechte verantwortlich.
Es schien so, als hätten alle es verstanden – ausser die Delegierten
Die Erfolgsgeschichte der erneuerbaren Energien bringt mich in Gedanken auch wieder nach Kopenhagen. Aber nicht in das riesige Konferenzzentrum vor der Stadt, sondern direkt in das Zentrum Kopenhagens. In den zwei Wochen der Klimakonferenz hatte sich die ganze Stadt in einen riesigen „Themenpark Klimaschutz“ verwandelt. Überall gab es Ausstellungen von Unternehmen, die ihre neueste Umwelttechnologie präsentierten. Slogans wie „Act now“, “Hopenhagen“ oder „no time to waste“ kamen früher von Greenpeace und Co. Heute stehen solche Schlachtrufe auf Megaplakaten von Siemens, General Electric und Suzlon.

Auch wenn man sich selbstverständlich nicht blenden lassen darf von hohlen PR-Parolen und leeren Versprechungen – im Energiesektor steckt mehr dahinter. Die erneuerbaren Energien sind die Zukunft. Es schien fast so, als hätten alle es verstanden – ausser die Delegierten der Klimakonferenz. Man bewegte sich zwischen zwei Welten. Morgens, beim Spaziergang vom Hotel zur U-Bahn, herrschte Aufbruchstimmung und Action. Tagsüber, beim Verfolgen der Verhandlungen, Frust und Stillstand. Nur die vielen Zusatzveranstaltungen, vor allem aber die hohe Dichte an Menschen, die in den unterschiedlichsten Bereichen am Klimathema arbeiten, gaben dem täglichen Gang in das Konferenzzentrum einen Sinn.
Die UNO bleibt die geeignete Organisation
Zurück also zu den drängenden Fragen. Haben die Klimakonferenzen überhaupt etwas gebracht? Ja. Sie garantieren weltweite Aufmerksamkeit für das Klima-Thema. Das politisch dünne Ergebnis wird dadurch von immer mehr Menschen wahrgenommen, was den Erfolgsdruck wiederum erhöht. Die Konferenzen sind inzwischen die wichtigsten Veranstaltungen des Jahres für alle, die sich direkt oder indirekt mit dem Thema befassen.

Ist die UNO die geeignete Organisation, um zu einem wirkungsvollen Klimaschutzabkommen zu gelangen? Ja, aber Verhandlungsführung und Verhandlungsvorbereitung müssen gestrafft werden. Es kann nicht sein, dass der Erfolg einer für die Welt und den Menschen so wichtigen Veranstaltung von dem Verhandlungsgeschick des jeweiligen Gastgeberlandes abhängt. Kontinuität und Verlässlichkeit in der Verhandlungsführung gehören zu den grundsätzlichen Voraussetzungen für den Erfolg. Auch muss es eine engere Taktung von Vorbereitungskonferenzen in kleineren Einheiten geben. Es sollte eine Arbeitsgruppe ins Leben gerufen werden, die von allen Mitgliedsländern bestimmt und getragen wird. Diese würde in Zukunft die Verhandlungen und die politische Vereinbarung vorbereiten.

Muss die Strategie, die Verhandlungen beeinflussen zu wollen, grundsätzlich hinterfragt werden? Nichtregierungsorganisationen haben auf den UN-Konferenzen Beobachterstatus und sind damit als Korrektiv unerlässlich. Allerdings muss die Anzahl der Delegierten pro Organisation fair begrenzt werden, um zu verhindern, dass die Klimakonferenzen unübersichtlich werden und die Verhandlungen fast zur Nebensache.

Hätte mit demselben Aufwand und denselben Ressourcen auf andere Weise nicht viel mehr erreicht werden können? Wenn man allein die aus den Verhandlungen resultierenden CO2-Einsparungen rechnet, muss man die Frage mit ja beantworten. Das allein zählt aber nicht, denn die globale Aufmerksamkeit, die es inzwischen für das Thema gibt, ist massgeblich durch die Klimakonferenzen geprägt.

Und schliesslich die letzte Frage: Braucht es die UN-Klimaverhandlungen überhaupt noch? Ja, aber sie allein reichen nicht aus. Ein globales völkerrechtlich verbindliches Abkommen ist für einen langfristig wirksamen Klimaschutz wichtig. Zudem kann nur auf diesem Wege auch die grosse Frage der Klimagerechtigkeit geregelt werden. Länder, die den Klimawandel nicht verursacht haben, aber bereits unter dessen Schäden am meisten leiden, haben Anspruch auf Entschädigung. Da die in der Verantwortung stehenden Industriestaaten diese nicht von allein übernehmen, braucht es ein globales Abkommen. Verbindliche Klimaschutzziele für alle können die notwendige Dynamik auf nationaler Ebene erzeugen.
All diese Massnahmen sind Kernbestandteile eines Green New Deal. Ein neues globales grünes Übereinkommen sollte folgende Aspekte beinhalten: nationale Vorranggesetze für Energieeinsparung und erneuerbare Energien, finanzielle Hilfe für die Entwicklungsländer aus dem Internationalen Währungsfonds zur Anpassung an den Klimawandel sowie für den Aufbau der erneuerbaren Energien und einer klimaschonenden Land- und Forstwirtschaft und schliesslich ein völkerrechtlich verbindliches Klimaschutzabkommen.
Lebensqualität mit weniger Energie und Ressourcen
Ein Green New Deal wird eine neue industrielle Revolution auslösen, die unsere Produktions- und Konsumsysteme auf der Basis von Kreislaufmodellen weiterentwickelt, wie sie unter anderem der Hamburger Professor Michael Braungart konzipiert hat. Die Behauptung, eine solche Wende sei unbezahlbar, ist Unsinn, denn alles, was eine Gesellschaft tun kann, das kann sie auch finanzieren. Unsere Hauptaufgabe ist die Entwicklung integrierter Antworten. Eine effektive Energieeffizienz-Revolution erfordert zum Beispiel eine tiefgreifende ökologische Steuerumschichtung. Wohlstandsmehrung kann nicht länger bedeuten, unseren wirklichen Reichtum – eine gesunde Erde – zu opfern im Austausch für Kontoauszüge, die uns erzählen, wie reich wir angeblich sind.
Es muss unser Ziel sein, Lebensqualität mit weniger Energie und Ressourcen zu schaffen, wenn wir eine Zukunft voller Konflikte vermeiden wollen. Nicht die Anhäufung von Gütern, sondern optimierte Dienstleistungen werden die Kriterien des ethischen Produzierens und Verbrauchens sein. Wenn uns diese Wende nicht gelingt, dann wird die Realität sowohl Demokratie als auch Marktwirtschaft hinwegfegen.

Der Preis unserer Feigheit, sagte der Philosoph Ernst Bloch, sei das Risiko, dass der grosse geschichtliche Augenblick auf ein zu kleines Menschengeschlecht trifft – welches der Herausforderung nicht gewachsen ist… Wir müssen jetzt zukünftigen Generationen Werte, Traditionen und Institutionen vermitteln, die das vielfältige Leben auf der Erde unterstützen statt bedrohen. Grosse Aufgaben aber erfordern grosse Schritte. Wie der Pionier der amerikanischen Anti-Sklaverei-Bewegung William Channing sagte: Es gibt Zeiten in der Geschichte, in denen Mut die höchste Weisheit ist.

Jakob von Uexküll, geboren 1944 in Uppsala, gründete den Right Livelihood Award, den Alternativen Nobelpreis, sowie das World Future Council, dessen Vorstandsvorsitzender er heute ist. Er lebt in London.
Mitarbeit: Stefan Schurig, Leiter der Klima-Energie-Abteilung des World Future Council.
Dieser Beitrag erschien im Kulturaustausch II/2010. Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung. Einzelne Beiträge aus dieser Ausgabe finden Sie online unter Kulturaustausch II/2010. Bilder: Flickr.com, wikimedia commons.   

Beachten Sie auch unseren Veranstaltungshinweis zum 10.10.2010:Ein Tag zum Anpacken Unser Tipp der Woche:Nehmen Sie die Klimakarten in die Hand