Die grosse Sehnsucht nach einer kleinen Reise kann mit der Ankunft am Flughafen schnell zu einem Albtraum werden.
Als Junge wollte ich Pilot werden. Wie viele andere auch. Eine blaue Uniform mit goldenen Knöpfen tragen, eine "Dächlikappe" dazu, und über die Flugpiste schreiten. Ein- bis zweimal im Jahr fuhr ich mit meinen Grosseltern vom Wynental nach Kloten, um auf der Terrasse des Flughafens die Flugzeuge starten und landen zu sehen. Ein merkwürdiges Erlebnis, wie wir alle drei der Faszination des Fliegens erlagen und uns von den aufgeschalteten Destinationen hinreissen liessen: Singapur, Rio de Janeiro, New York.
Eine kleine Reise, um eine grosse Sehnsucht zu stillen. Die Sehnsucht nach Welt, nach Ferne, nach anderen Orten, an denen man vielleicht ein anderer sein konnte, an denen in jedem Fall das Leben freier, abenteuerlicher und intensiver war.
Obwohl die Welt seither geschrumpft ist, obwohl das Exotische seinen Nimbus fast ganz eingebüsst hat, scheint dieses Fernweh noch heute Tausende zu erfassen. Vielleicht, weil man einfach nicht glauben will, dass das alles ist, was man an Leben hat: ein bisschen Freizeit, ein bisschen Lohn, ein bisschen Befriedigung – und dazu viel Frust, Stress und Eingezwängtsein in eine Agenda, die Jahr für Jahr dichter wird.
Abhauen, schnell gesagt und heute mit einigen Mausklicks in die Wege geleitet. So stehen die Reiselustigen auch an diesem Wochenende wieder zu Tausenden Schlange an den mehr oder weniger gut gerüsteten Flughäfen. Und donnern dann im Minutentakt über mein Schlafzimmer,
Fernsüchtige auf ihren Billigflügen. Je mehr Reisende, desto weiter wird diese Flugschneise und enger die Nacht.
Bilde ich es mir nur ein oder hebt der Donner nun auch nach Mitternacht noch an, um als Geschepper alles in mir zum Zittern zu bringen? Und startet nicht lange vor sechs schon wieder die erste Frachtmaschine, – ich nenne sie die "Tupolev" -, deren Dröhnen mir den endlich gefundenen Schlaf wieder austreibt?
Von durchgehendem Fluglärm erfüllt war jene denkwürdige Nacht, als der FC Sevilla in Basel gegen den FC Liverpool spielte und die Maschinen am Spieltag im Minutentakt landeten, um dann in demselben Takt ab Mitternacht bis in den frühen Morgen hinein die zigtausend Fans wieder nach Liverpool und Sevilla zurückzubringen.
Selbst als Fussballfan habe ich in jener schlaflosen Nacht erstmals begonnen, Fragen an die (leider in meinem Schlafzimmer nicht anwesenden) Politiker zu stellen. Muss denn, fragte ich, die Nachtruhe wegen eines Matchs so arg durchlöchert werden? Darf ich minütlich aus dem Schlaf geboxt werden, nur damit der Airline-CEO seinen Garten um einen Golfplatz erweitern kann?
Wurde nicht auch, fragte ich zuletzt, in Basel die An- und Abflugroute dergestalt geändert, dass nicht mehr nur der Rettungshelikopter mit der tiefgekühlten Niere, sondern auch die Billigflotte der tierisch Trunkenen direkt über mein Schlafzimmer im Basler St. Johann führt?
Der Traum, sagt Sigmund Freud, ist der Hüter des Schlafes. Aber wo die Träume vergehen, ist auch an Schlaf nicht mehr zu denken. Man tut gut daran, die Gedanken
der Schlaflosigkeit nicht allzu ernst zu nehmen. Am Tag, so der Trost, sieht alles wieder besser aus.
Aber auch da erwachten in mir einige Fragen. Macht es Sinn, dass vor allem die Jüngeren für den Preis von vier Bieren an einen Match oder einen Strand fliegen können? Für dreissig Franken nach Barcelona, um zwei Tage abzutanzen, oder für siebzehn Franken nach Amsterdam? Gewiss ist, die Flatrate ist die Totalverramschung all dessen, wonach unser Herz sich sehnt. So hat Fliegen für viele nur noch den Reiz, den Rolltreppenfahren hat. Und der ferne Strand liegt bald näher als die Matte vor der Haustüre, an der wir unsere Schuhe abwischen. Wenn das Urlaubsglück einer Familie gleich viel kostet wie ein Teller Schnipo für die Kids, dann ist etwas aus dem Lot. Ganz zu schweigen von den ökologischen Folgen der Massenfliegerei und der Tatsache, dass Kerosin steuerbefreit ist.
Der Traum vom Fliegen droht zum Albtraum zu werden. Wird dereinst wieder eine Zeit kommen, wo Firmenreisende mit dem Zug von Stadt zu Stadt fahren? Wo Jugendliche Geld sparen, um sich alle drei Jahre eine grosse Reise nach Übersee leisten zu können? Wird es dereinst wieder Tramper am Strassenrand geben, die vor Begeisterung weinen, wenn sie endlich Italien erreicht haben? Der Sehnsucht täte es gut.
Martin Dean, Schriftsteller und Essayist, wurde 1955 in Menziken AG geboren und lebt in Basel. Seine jüngste Romanpublikation: "Falsches Quartett" (Jung und Jung). Dieser Tage erhielt Martin Dean vom Fachausschuss Literatur beider Basel eine Autorenförderung zugesprochen für den Roman "Warum wir zusammen sind".
Fernsüchtige auf ihren Billigflügen. Je mehr Reisende, desto weiter wird diese Flugschneise und enger die Nacht.
Bilde ich es mir nur ein oder hebt der Donner nun auch nach Mitternacht noch an, um als Geschepper alles in mir zum Zittern zu bringen? Und startet nicht lange vor sechs schon wieder die erste Frachtmaschine, – ich nenne sie die "Tupolev" -, deren Dröhnen mir den endlich gefundenen Schlaf wieder austreibt?
Von durchgehendem Fluglärm erfüllt war jene denkwürdige Nacht, als der FC Sevilla in Basel gegen den FC Liverpool spielte und die Maschinen am Spieltag im Minutentakt landeten, um dann in demselben Takt ab Mitternacht bis in den frühen Morgen hinein die zigtausend Fans wieder nach Liverpool und Sevilla zurückzubringen.
Selbst als Fussballfan habe ich in jener schlaflosen Nacht erstmals begonnen, Fragen an die (leider in meinem Schlafzimmer nicht anwesenden) Politiker zu stellen. Muss denn, fragte ich, die Nachtruhe wegen eines Matchs so arg durchlöchert werden? Darf ich minütlich aus dem Schlaf geboxt werden, nur damit der Airline-CEO seinen Garten um einen Golfplatz erweitern kann?
Wurde nicht auch, fragte ich zuletzt, in Basel die An- und Abflugroute dergestalt geändert, dass nicht mehr nur der Rettungshelikopter mit der tiefgekühlten Niere, sondern auch die Billigflotte der tierisch Trunkenen direkt über mein Schlafzimmer im Basler St. Johann führt?
Der Traum, sagt Sigmund Freud, ist der Hüter des Schlafes. Aber wo die Träume vergehen, ist auch an Schlaf nicht mehr zu denken. Man tut gut daran, die Gedanken
der Schlaflosigkeit nicht allzu ernst zu nehmen. Am Tag, so der Trost, sieht alles wieder besser aus.
Aber auch da erwachten in mir einige Fragen. Macht es Sinn, dass vor allem die Jüngeren für den Preis von vier Bieren an einen Match oder einen Strand fliegen können? Für dreissig Franken nach Barcelona, um zwei Tage abzutanzen, oder für siebzehn Franken nach Amsterdam? Gewiss ist, die Flatrate ist die Totalverramschung all dessen, wonach unser Herz sich sehnt. So hat Fliegen für viele nur noch den Reiz, den Rolltreppenfahren hat. Und der ferne Strand liegt bald näher als die Matte vor der Haustüre, an der wir unsere Schuhe abwischen. Wenn das Urlaubsglück einer Familie gleich viel kostet wie ein Teller Schnipo für die Kids, dann ist etwas aus dem Lot. Ganz zu schweigen von den ökologischen Folgen der Massenfliegerei und der Tatsache, dass Kerosin steuerbefreit ist.
Der Traum vom Fliegen droht zum Albtraum zu werden. Wird dereinst wieder eine Zeit kommen, wo Firmenreisende mit dem Zug von Stadt zu Stadt fahren? Wo Jugendliche Geld sparen, um sich alle drei Jahre eine grosse Reise nach Übersee leisten zu können? Wird es dereinst wieder Tramper am Strassenrand geben, die vor Begeisterung weinen, wenn sie endlich Italien erreicht haben? Der Sehnsucht täte es gut.
Martin Dean, Schriftsteller und Essayist, wurde 1955 in Menziken AG geboren und lebt in Basel. Seine jüngste Romanpublikation: "Falsches Quartett" (Jung und Jung). Dieser Tage erhielt Martin Dean vom Fachausschuss Literatur beider Basel eine Autorenförderung zugesprochen für den Roman "Warum wir zusammen sind".