Die Heimat der Kuna geht unter
Im Oktober 2008 setzten Stürme und ungewöhnlich hohe Flut den San-Blas-Archipel vor der karibischen Nordküste Panamas unter Wasser. Auf 38 der rund 365 kleinen flachen Inseln lebt der Grossteil der rund 37’000 Kuna-Indianer; auch die Ältesten konnten sich an ein solches Ereignis nicht erinnern. Schulen und Hütten aus Holz und Stroh wurden ruiniert, Pflanzungen zerstört, Boden und Kanus weggespült.
Zunehmende Bedrohung
Laut einer Studie des Smithsonian Institute aus dem Jahr 2008 stieg der Meeresspiegel in dem Gebiet im 20. Jahrhundert um 17 Zentimeter an. In letzter Zeit hat sich die Entwicklung beschleunigt; die Rede ist von einem durchschnittlichen Anstieg um fast 2 Zentimeter pro Jahr. Wenn es so weitergeht, werden die Inseln in 20 bis 30 Jahren überflutet sein. Einige der Kuna-Gemeinden fassen deshalb den Umzug aufs nahe Festland ins Auge.
Es wäre nicht die erste Migration dieses Volksstammes. Ursprünglich in der Urubá-Region von Kolumbien beheimatet, wichen die Kuna dem Druck der spanischen Siedler in den Osten Panamas aus und schliesslich im 19. Jahrhundert grösstenteils vom Festland auf den Archipel. Dort entwickelten sie ihre Lebensweise mit Fischfang und Subsistenzlandwirtschaft: Auf den dank der Meeresbrise relativ kühlen und trockenen Inseln wohnen sie, in Lichtungen auf dem Festland bauen die Familien Mais, Maniok und Bananen an und ernten Kakao und Kokosnüsse. Nur 11 von insgesamt 49 Gemeinden siedeln auf dem feuchtheissen Festland.
Der Einverleibung in den Staat Panama haben sich die Kuna stets widersetzt. 1925 vertrieben sie in einer blutigen Aktion die Polizei von den San-Blas-Inseln. Verhandlungen mündeten 1938 in die Konzession weitgehender Autonomie für die "Comarca Kuna Yala", ein Gebiet, das den langgezogenen Archipel und über 2’000 Quadratkilometer gegenüberliegendes Festland umfasst. Den Urwald auf dem Festland lässt der Stamm als Sitz der Geister möglichst unangetastet. Eine relativ neue Einnahmequelle ist der Tourismus: Auf ein paar Inseln sind einfache Hotelunterkünfte eingerichtet worden, die Flugpiste auf einer der Inseln bietet eine schnelle Verbindung mit der Hauptstadt. Wer Panama besucht hat, kennt die Molas, leuchtend farbige Applikationsstickereien, die Teil der Tracht der Kuna-Frauen sind und im ganzen Land als Souvenirs verkauft werden.
Eine der grösseren Inselgemeinden, Carti Sugdub, ist mit dem Plan zur Umsiedlung ihrer 2’000 Einwohner weit fortgeschritten und hat im letzten Jahr mit Rodungen auf dem Festland begonnen. Ob das Vorhaben verwirklicht werden kann, ist allerdings offen; allein vermögen die Kuna die Kosten nicht zu tragen. Die Regierung in Panama-Stadt hält sich bis jetzt zurück. Zudem sind sich die Stammesmitglieder – gewohnt, im abendlichen Palaver alltägliche Probleme zu besprechen und Entscheidungen zu fällen – über diesen grossen Schritt keineswegs einig. Vor allem die Älteren wollen sterben, wo sie geboren sind, obwohl gerade sie als erfahrene Naturbeobachter den Klimawandel auch am Verhalten der Vögel und an der Blütezeit der Pflanzen wahrnehmen.
Raubbau an den Korallen
Zu den Befürwortern des Exodus gehört Ariel González, der Sekretär des Generalrats der Kuna, der zweimal im Jahr tagt. González tritt ein für eine geordnete, koordinierte Umsiedlung aller 38 Inselgemeinden. Allein die Planung dafür werde mindestens fünf Jahre beanspruchen. Auf die Regierung zählt er dabei nicht; die Behörden hätten nie eine Vision des Landes gehabt, die die indianische Bevölkerung einschliesse.
Die westliche Welt habe ihr Gleichgewicht verloren, sagt González; der weisse Mann werde die Lösung nicht finden. "Wir haben die Umwelt nicht manipuliert, und doch sind wir es, die nun die Rechnung dafür begleichen müssen." Freilich haben auch die Kuna selbst über lange Zeit zur Erosion ihrer Inseln beigetragen, denn sie haben auf diesen Land gewonnen und befestigt, indem sie Füllmaterial aus den umgebenden Korallenriffen ausgebrochen und zerkleinert und so die natürlichen Wellenbrecher zerstört haben.
Dieser Beitrag ist in der Neuen Zürcher Zeitung vom 19. Juli 2011 erschienen (www.nzz.ch). Wiedergabe mit ausdrücklicher Genehmigung der NZZ. © Neue Zürcher Zeitung AG.