Die Marshallinseln auf der Suche nach einer wirtschaftlichen Zukunft: Tourismusattraktion oder Atommülldeponie?
Wo noch vor vierzig Jahren Nuklearversuche die pazifische Inselwelt erschütterten, locken heute üppige Korallenriffe, Haifische und versenkte Kriegsschiffe die ersten TouristInnen an. Das Bikini-Atoll – zwischen 1946 und 1958 Testgelände von 23 Atombombenversuchen der USA – wird in den internationalen Taucherzeitschriften bereits als einer der spektakulärsten Wrack-Tauchgründe der Welt angepriesen. Nun möchten lokale Wirtschaftsakteure – in erster Linie Tauchunternehmen – auch das benachbarte Rongelap-Atoll in eine Touristenattraktion verwandeln.
Reisen zum „Mahnmal des Atomzeitalters“ sind nicht unumstritten. Die Bevölkerung von Rongelap – inzwischen 2900 Menschen – lebt aus Angst vor den langfristigen Folgen der radioaktiven Strahlung im Exil. Auch die ehemaligen BewohnerInnen des Bikini-Atolls sind noch nicht zurückgekehrt, obwohl der Wiederbesiedlung keine gesundheitlichen Risiken mehr im Wege stünden, wie die US-Regierung 1997 behauptete. 1954 hatten die USA auf Bikini die grösste Wasserstoffbombe aller Zeiten gezündet, ohne die Bevölkerung des zweihundert Kilometer entfernten Rongelap-Atolls zu informieren. Die damals 241 Bewoh-nerInnen wurden erst zwei Tage später evakuiert und durften bereits nach drei Jahren zurückkehren. Die Folgen waren verheerend: Heute sind vierzig Prozent der Bevölkerung von Rongelap an Krebs erkrankt; die Zahl der tot oder behindert geborenen Babys ist überdurch-schnittlich hoch. Nahrungsmittel müssen importiert werden, denn Boden und Pflanzen ent-halten noch immer hohe Konzentrationen an radioaktiven Cäsium-137. Nachdem die US-Regierung sich geweigert hatte, eine Umsiedlung zu finanzieren, floh die Bevölkerung 1985 mit Hilfe des Greenpeace-Schiffes „Rainbow Warrior“ nach Mejato im Kwajeleine Atoll.
Als die ehemalige Besatzungsmacht USA Mitte der 80er Jahre mit der neuen Republik der Marshallinseln ein Assoziierungsabkommen einging, verpflichtete sie sich, einen Kompensationsfonds einzurichten, aus dem die Bevölkerung entschädigt und die Umwelt „saniert“ werden sollen. Doch die bewilligten 150 Millionen US-Dollar reichen bei weitem nicht aus, um die nötigen Sanierungsmassnahmen zu finanzieren. Auch die mit Hilfe amerikanischer Rechtsanwälte erstrittenen Entschädigungszahlungen für Bikini und Rongelap sind nur ein Tropfen auf den heissen Stein. Nächstes Jahr läuft das Assoziierungsabkommen mit den USA aus und damit fallen auch die existentiell notwendigen jährlichen Überweisungen von 40 Millionen US-Dollar weg. Der Inselstaat muss ab 2001 neue Wege suchen, um das wirtschaftliche Überleben und die ökologische Sanierung der Inseln zu sichern. Neben der Tourismusförderung wird als zweite Option die kommerzielle Lagerung radioaktiver Abfälle diskutiert. Im Mai 1997 hatte die Regierung der Marshallinseln ein geheimes Abkommen unterschrieben, das eine US-Firma ermächtigt, Deponien für radioaktive Abfälle einzurichten. Nach heftigen Protesten versicherte der damalige Präsident Kabua, er habe die geplante Machbarkeitsstudie auf Eis gelegt. Doch die GegnerInnen sind noch immer beunruhigt. Denn die Marshallinseln haben als einzige Pazifiknation die „Waigani-Konvention“ nicht unterschrieben, welche den Import von radioaktiven Abfällen auf pazifische Inseln verbietet. Der seit diesem Jahr amtierende Präsident Kessai Note setzt seine wirtschaftliche Hoffnung dage-gen auf „Ökotourismus“, Tauchen und Sportfischen, und möchte die Transportkapazität für Mensch und Güter ausbauen, das Transportwesen (inklusive Fluggesellschaft) privatisieren und Anreize für ausländische Investitionen schaffen. Mit dem Tourismus soll die Rückkehr der vertriebenen Bevölkerung finanziert werden. Ob sich die umworbenen TauchtouristIn-nen darüber freuen würden, ist zu bezweifeln. „Dass Bikini so einzigartig ist, hängt damit zusammen, dass während der letzten fünfzig Jahre kaum ein Mensch das Atoll betreten hat“, steht in der April-Ausgabe der Zeitschrift „Silicon Valley Magazin“ zu lesen. „Lass Bikinis BewohnerInnen (nicht zu reden von den TouristInnen) zurückkehren und das Atoll ist nicht mehr lange dasselbe.“ /frei
Quellen: Informationen des Pacific Concerns Resource Centre, 2.10.2000; „Republic of Marshall Islands Economic Report“ der Bank von Hawaii, 2000; Radio Australia’s Pacific Beat, 8.8.2000; Marshall Islands Journal, 14.7.2000; Islands Business/PINA Nius Online, 2.6.2000; Silicon Valley Magazine, 30.4.2000; Pacific Islands Monthly, Juli 1998 und Dezember 1999; Informationen auf der Homepage der Bikini-Lokalregierung (www.bikiniatoll.com), des „Nuclear Claims Tribunal“ (www.tribunal-mh.org) und von „Pacific Action” (www.planet.apc.org/pacific_action.html)