Basel, 02.09.2011, akte/

Die Swiss rechnet, sie müsse ab nächstem Jahr mehr als einen Drittel ihrer Emissionen kompensieren. Dann nämlich, wenn die Fluglinien, die die erlaubte Limite an CO2 überschreiten, Emissionszertifikate kaufen müssen. Kommt da ein Kostenhammer auf Flugreisende zu?

Wenn die Swiss angibt, sie müsse mehr als einen Drittel ihres Ausstosses an CO2 kompensieren, ist das zunächst einfach ein Beleg dafür, wie sehr der Flugverkehr und seine Emissionen seit 2006 zugenommen haben. Es besteht ganz offensichtlich Handlungsbedarf. Aber ein Kostenhammer kommt sicher nicht auf die Flugreisenden zu. Die Kosten für die Emissionszertifikate sind im Moment so billig, dass der Aufpreis pro Passagier bescheiden ausfällt. Ob ich mein Flugticket heute oder erst in einer Woche kaufe, wird einen wesentlich grösseren Einfluss auf die Höhe des Ticketpreises haben als der Aufpreis für die Emissionszertifikate.

Was heisst das konkret?

Ich denke laut: Ein modernes Flugzeug stösst auf 1’000 Passagierkilometern rund 100 Kilogramm CO2 aus. Es gibt Zertifikate für die Kompensation von einer Tonne CO2, die weniger als zehn Franken kosten. Mit solchen Zertifikaten würde der Passagier für 1’000 Flugkilometer also weniger als einen Franken Aufpreis bezahlen.

Das ist viel billiger als die freiwillige Kompensation bei Kompensationsanbietern wie myclimate.

myclimate kostet rund achtmal mehr, also etwa 8 Franken pro 1’000 Flugkilometer. Zum einen, weil die Organisation das Geld in bessere, nachhaltigere Projekte nach dem so genannten Gold Standard investiert. Zum anderen berechnet myclimate mit, dass die Klimawirkung von Flugzeugen wegen der Wolkenbildung in grosser Höhe doppelt so hoch ist wie der eigentliche CO2-Ausstoss. Das EU-Emissionshandelssystem rechnet hingegen nur mit dem effektiv ausgestossenen CO2, und die Swiss ebenfalls.

Nach Aussage der Flugbranche verursacht das Fliegen nur zwei Prozent des globalen CO2-Ausstosses.

Fast niemand auf dieser Welt fliegt. Vor allem in den hochentwickelten Ländern wird geflogen. Deshalb hat dort der Flugverkehr am gesamten CO2-Ausstoss einen viel höheren Anteil. Und das wird sich noch verschärfen: In Bereichen wie Gebäude oder Industrie nimmt der Ausstoss ab, im Flugverkehr nimmt er zu. In der Schweiz ist der Anteil des Flugverkehrs an den Gesamtemissionen der höchste weltweit. Er lag letztes Jahr bei 14,5 Prozent der Gesamtklimawirkung – also markant mehr als die durchschnittlich zwei Prozent weltweit. Wenn der Flugverkehr so zunimmt wie von der UN-Welttourismusorganisation vorausgesagt, also vier Prozent jährlich, steigen die Emissionen allen technischen Innovationen zum Trotz um zwei Prozent jährlich. Bis 2020 würde dadurch der Flugverkehr in der Schweiz selbst den Strassenverkehr bezüglich Klimawirkung übertreffen.

Die Swiss kritisiert das Emissionshandelssystem der EU: Es sei unnötig, denn der steigende Treibstoffpreis werde von alleine dafür sorgen, dass die Fluglinien Kerosin sparen. Es könne dazu führen, dass Flüge einfach um die EU herum verlagert würden, was die Flugrouten verlängert und damit die Umwelt stärker belastet. Es brauche eine globale Lösung, denn ein Alleingang führe international zu Konflikten.

Es ist schon so: Man kann leider nicht davon ausgehen, dass der geringe Aufschlag die Nachfrage massiv mindern wird. Allerdings führt jede vorhersehbare und auf längere Zeit gesicherte Kostenerhöhung beim Treibstoff dazu, dass mehr in die Effizienz von Flugzeugen investiert wird. Ausserdem, falls die Zertifikate tatsächlich anderswo zu Reduktionen des CO2-Ausstosses führen, ist das gut angelegtes Geld.

Wie klimawirksam sind denn die Billigzertifikate aus dem Ausland?

Nun, da gab es viel berechtigte Kritik, unseriöse Anbieter und schludrige Zertifizierungsfirmen. Aber sowohl die EU als auch die Schweiz wollen künftig die Bedingungen für die Anrechnung der Zertifikate verschärfen. Ich hege also die leise Hoffnung, dass die Qualität ab 2013 verbessert wird. Generell empfehlen wir heute nur sogenannte "Gold Standard-Zertifikate" zum Kauf.

Die Schweiz will ihr eigenes Emissionshandelssystem mit dem europäischen verknüpfen – aber nicht schon nächstes Jahr, sondern erst später. In einer Studie des Bundesamtes für Zivilluftfahrt (Bazl), die diesen Mai veröffentlicht wurde, wird offen von den Gewinnen gesprochen, die bei uns dadurch anfallen, dass die Fluggesellschaften zur Umgehung des EU-Emissionshandelssystems ihre Flüge über die Schweiz leiten.

Schon Bundesrat Leuenberger und auch Bundesrätin Leuthard haben sich für den Anschluss ans EU-Emissionshandelssystem ausgesprochen. Die Bazl-Studie widerspiegelt noch klar die Verteidigungslinie der dort stark vertretenen Piloten. Aber der Bundesrat hat das Verhandlungsmandat erteilt, die Verhandlungen laufen. Im Herbst startet die nächste Runde. Jetzt muss sich noch klären, ob man dieses Thema von allen anderen Verhandlungen mit der EU entflechten kann, oder ob es in den Topf der bilateralen Verhandlungen kommt. Letzteres würde den Anschluss zeitlich massiv verzögern. Die angesprochenen Gewinne würden Umwegverkehr verursachen und natürlich die Schweizer Flughafenregionen massiv mit Lärm und Abgasen zusätzlich belasten.

Was für Alternativen hätte die Schweiz zum EHS?

Wer äquivalente, ebenbürtige Massnahmen ausweist, kann vom EU Emissionshandelssystem befreit werden. Die Swiss könnte also zum Beispiel freiwillig die Hälfte der Emissionen kompensieren und dafür nicht ins System kommen. Die Schweiz müsste dann allerdings solche Regeln auf alle Fluggesellschaften ausdehnen, womit der Flugbranche sicherlich auch nicht gedient wäre.

Bei der Effizienzsteigerung setzen die Fluglinien unter anderem auf die Beimischung von Agrotreibstoffen. Doch diese sind stark umstritten, weil sie die Ernährungssicherheit gefährden und zum so genannten Land Grabbing führen.

Beim Thema Agrotreibstoffe wohnen zwei Seelen in meiner Brust. Auf der einen Seite wirkt die Flugbranche aufgrund der grossen Menge an Treibstoffen in der hohen Qualität, die sie braucht, innovationsfördernd. Dadurch besteht die Chance auf Technologiesprünge. Die zweite und dritte Generation von Agrotreibstoffen wird aus Ernte- und Holzabfällen oder Algen produzieren, welche die Nahrungsmittelproduktion nicht konkurrenzieren sollten. Bei der Entwicklung von neuen nachhaltig produzierten Biotreibstoffen begleitet der WWF einzelne Fluglinien. Denn wenn wir auf eine Tonne CO2-Ausstoss pro Kopf und Jahr kommen wollen, kann Biosprit helfen.
Auf der anderen Seite habe ich einen Vorbehalt: Meine beschränkten Chemiekenntnisse führen zur Annahme, dass sich beim Einsatz von Agrotreibstoffen das Startgewicht eines Flugzeugs und damit der Treibstoffverbrauch erhöhen. Ebenfalls dürfte die Verbrennung von Biosprit in hoher Höhe mehr klimaschädigenden Wasserdampf produziert –den die EU in ihrem System nicht mitrechnet. Im dümmsten Fall ergibt sich sogar eine schlechtere Klimabilanz als mit Kerosin pur.
Der WWF hat im Februar in seinem "Energy Report" einen Weg aufgezeigt, wie bis 2050 der ganze weltweite Energiebedarf mit erneuerbaren Energien gedeckt werden könnte. Da wurde auch die für die Ernährung der wachsenden Weltbevölkerung notwendige Agrarfläche ausgeschieden und gezeigt, dass für die Bioenergie noch genügend Land vorhanden wäre. Allerdings nur, wenn jedes Agrarland auch so bewirtschaftet wird, dass es einen halbwegs optimierten Ertrag liefert – was optimistisch ist.

Eigentlich müssten die Reisenden selbst die Verantwortung übernehmen, dass sie mit ihren Reisen nicht mehr als die verträgliche Pro-Kopf-Menge an CO2 ausstossen. Doch selbst ökologisch denkende KonsumentInnen tun sich sehr schwer damit. Macht fliegen glücklich?

Eigentlich nicht. Aber es ist immer noch ein Statussymbol: Noch immer reagiert das Umfeld mit Bewunderung, wenn jemand erzählt, er sei letzte Woche in den Malediven gewesen und fliege nächste Woche für eine Sitzung nach China. Aber Statussymbole machen nicht langfristig glücklich. Fliegen ist wie Chips essen: Während man es tut, kann man sich die Folgen davon einfach nicht vorstellen. Deshalb ist myclimate den Weg gegangen, das Klimaticket auszustellen und den Leuten zu erklären, wie viele Tonnen CO2 sie pro Flugmeile ausstossen. Viele Städte haben sich vorgenommen, den Ausstoss von CO2 auf eine Tonne pro Kopf und Jahr zu beschränken. Je mehr Vergleichsgrössen die Reisenden erhalten, desto mehr können sie ein Gefühl für die Relationen entwickeln. Deshalb ist auch die Regelung über den Preis sinnvoll. Hätten wir Flugticketpreise wie anno 1960, wären die CO2-Emissionen des Flugverkehrs heute kaum ein Thema.
Meine Lösung: Ich versuche pro Flugstunde eine Woche am Zielort zu bleiben. Das wirkt sich auch positiv auf meine Zufriedenheit aus. Je weiter ich fliege, desto fremder ist das Umfeld und desto länger brauche ich, um darin wirklich einzutauchen. Wenn ich zurückkomme, habe ich auch auf sinnlicher Ebene den Unterschied erfahren.


Patrick Hofstetter ist diplomierter Maschineningenieur und promovierte an der Abteilung für Umweltnaturwissenschaften (ETH Zürich) zum Thema der Umweltbewertung. Seit 2002 arbeitet er beim WWF Schweiz und leitet die Abteilung Klima & Energie. Er ist NGO-Vertreter in der schweizerischen Verhandlungsdelegation bei den Uno-Klimaverhandlungen und Präsident des Vereins "Eidgenössische Volksinitiative für ein gesundes Klima".