Die vermeintlichen Ruheorte
Es ist Dienstagmorgen im Juli 2010. Der Wetterbericht sagt schönes und heisses Sommerwetter voraus. Der Tag wäre ideal, um ihn in den Bergen zu verbringen. Heute jedoch ist Büroarbeit angesagt. Da klingelt das Telefon: "Guten Tag, ich wohne im Tessin und gehe im Sommer oft in einem grösseren Schutzgebiet von Pro Natura wandern. Mich stört jedoch die viele Helikopterfliegerei auf die in der Nachbarschaft gelegene Alp. Ist das legal, muss ich den Lärm akzeptieren?" Gerne gebe ich dem Pro Natura Mitglied Auskunft.
Der Anruf zeigt einmal mehr: Das Thema Lärmbelästigung im Gebirge ist ein Dauerbrenner in der politischen Arbeit im Bereich Alpenschutz. Kritisch verfolgt denn auch Pro Natura seit vielen Jahren die überwiegend kommerziell orientierte Gebirgsfliegerei. Störend sind insbesondere die zunehmenden Lärmbelästigungen gerade auch in nationalen Schutzgebieten. Die Konflikte lösen soll der Sachplan Infrastruktur der Luftfahrt (SIL). Der SIL ist das Planungs- und Koordinationsinstrument des Bundes für die zivile Luftfahrt, das die "Spielregeln" für den Luftverkehr festlegt.
42 Landeplätze werden überprüft
Im Rahmen der Arbeiten zum SIL hat der Bundesrat im Oktober 2000 den Auftrag zur Überprüfung der 42 bestehenden Gebirgslandeplätze erteilt. Das Bundesamt für Zivilluftfahrt (Bazl) nimmt die Überprüfung unter Einbezug der betroffenen Behörden, Unternehmen und Organisationen regionenweise vor. Wo sich Konflikte durch eine restriktive Nutzung nicht beseitigen lassen, sollen bestehende Gebirgslandeplätze durch besser geeignete Landeplätze ersetzt werden. Die Frage, auf welchen Plätzen und in welchem Ausmass das Heliskiing weiterhin erlaubt bleiben soll, wird ebenfalls im Rahmen der individuellen Überprüfung der Gebirgslandeplätze geklärt. Nach der Region Zermatt, deren Überprüfung bald abgeschlossen werden sollte, ist nun die Region Weltnaturerbe Jungfrau an der Reihe. Das gemäss SIL formulierte Hauptziel lautet: Die Konflikte der Gebirgsfliegerei mit Natur und Umwelt, insbesondere in Landschaften von nationaler Bedeutung (BLN-Schutzgebiete), sind zu lösen.
Leider laufen die Koordinationsgespräche zu den Gebirgslandeplätzen sehr harzig. Die Forderungen von Pro Natura und die Ansprüche der Fliegerlobby liegen einander diametral gegenüber. Das Bazl als zuständiges Bundesamt hat die schwierige Aufgabe, die Interessenabwägungen vorzunehmen. Eine Lösung zur Reduktion der Lärmbelästigungen in den alpinen Schutzgebieten ist momentan nicht absehbar.
Pro Natura setzt sich dafür ein, dass der Bundesrat die Gebirgslandeplätze aufhebt, die vorwiegend den Freizeitaktivitäten dienen. Das würde bedeuten, dass das Heliskiing in der Schweiz nicht mehr möglich wäre. Ebenso setzt sich Pro Natura dafür ein, dass der Bund konsequent Landungen von Freizeitflügen auf unbewilligten Landeplätzen kontrolliert und büsst. Pro Natura ist mehr denn je überzeugt davon, dass die letzten unberührten Landschaften einen umfassenden Schutz vor Lärmbelästigungen verdienen.
Freier Flug unter 1100 Metern
Unter 1100 Metern Höhe sind Landungen mit dem Helikopter praktisch überall möglich. Für Landungen ausserhalb von Landeplätzen benötigt man einzig eine generelle jährlich erneuerbare Aussenlandungsbewilligung vom Bazl sowie das Einverständnis des Grundeigentümers. Den rechtlichen Rahmen setzt das Bundesgesetz über die Luftfahrt sowie die Verordnung über die Luftfahrt und die Verordnung über die Infrastruktur der Luftfahrt. Landungen über 1100 Meter über Meer sind unbeschränkt auf einem der 42 bezeichneten Gebirgslandeplätze möglich. Ausserhalb dieser Gebirgslandeplätze braucht es eine Sonderbewilligung für jeden einzelnen Flug, einzuholen beim zuständigen Bundesamt Bazl.
Touristische Flüge ausserhalb der Gebirgslandeplätze sind in der Regel nicht möglich. So dürften zum Beispiel keine Touristen in eine Berghütte geflogen werden. Bewilligungspflichtig sind Anlässe wie die Eröffnung einer Hütte oder sonstige wichtigere öffentliche Anlässe, zu denen Gäste hochgeflogen werden. Nicht bewilligungspflichtig sind Arbeitsflüge, um etwa eine defekte Wasserleitung in einer Schutzhütte zu reparieren. Will sich ein Bergführer mit seinem Gast in die Höhe fliegen lassen, weil wegen eines Wetterumschwungs nicht die ganze Tour zu Fuss machbar wäre, dann läuft das für das zuständige Bundesamt unter einem Arbeitsflug und wird normalerweise bewilligt.
Der Autor Marcel Liner ist bei Pro Natura zuständig für die Themen Alpen und Tourismus.
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Bescheidene Ruhezonen
Die Bezeichnung von Ruhezonen, in denen Mensch und Tiere möglichst wenig Fluglärm ausgesetzt werden, ist im Luftfahrtgesetz vorgesehen. Der Bundesrat legt diese im Rahmen der Überprüfung der Gebirgslandeplätze fest. Ruhezonen lassen sich in zwei Kategorien unterteilen: Landschaftsruhezonen und Wildruhezonen. In Landschaftsruhezonen sollen Menschen sich erholen und die Vielfalt an natürlichen Geräuschen möglichst ohne störende Lärmeinwirkungen wahrnehmen können. Wildruhezonen wiederum sind Gebiete, in denen Wildtiere vor Lärm geschützt sind und insbesondere nicht durch unerwartet auftretende Lärmquellen aufgeschreckt werden. Nun hat der Bund vorgeschlagen, welche Gebiete vor Fluglärm geschützt werden sollen. Es sind dies der Nationalpark einschliesslich einer Erweiterung Richtung Münstertal, das Gebiet Adula/Greina im Grenzgebiet der Kantone Graubünden und Tessin sowie die Regionen Binntal und Weissmies im Wallis. Um den Erholungscharakter dieser Regionen zu bewahren, werden die Piloten aufgefordert, die Regionen im Überflug zu meiden. In der Vernehmlassung hat sich Pro Natura sehr enttäuscht gezeigt. Im Konzept des Bundes wurden zwar zwölf mögliche Landschaftsruhezonen vorgestellt. Gleichzeitig wurden jedoch nur noch die vier oben beschriebenen kleineren Gebiete in der südlichen Schweiz als Landschaftsruhezonen ausgeschieden. Der Bund wird voraussichtlich diesen Winter die Landschaftsruhezonen der Öffentlichkeit vorstellen. ml
Dieser Text erschien im Pro Natura Magazin 5/2010. Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung von Pro Natura.