"Ein verfluchtes Jahr, die Weissen wollen unseren Tod!", schimpft Beidari. Er schaut auf die Uhr, springt auf sein Fahrrad – und ab Richtung Toguel, ein Quartier mitten in Mopti. Die Stadt – 600 Kilometer westlich von Bamako gelegen – ist das "Venedig von Mali". Seit dreissig Jahren hat Beidari, Teppichhändler wie schon sein Vater, diesen Arbeitsweg. Um acht bricht er zum Markt auf, sortiert dort seine Teppiche, hängt sie an den Mauern auf. Am Abend räumt er sie weg und macht sich mit Geschenken für seine Familie auf den Heimweg. Mariam, seine Frau, mag gegrilltes Rindfleisch, am liebsten von einem Grillrestaurant des Quartiers, das mit dem sinnigen Namen "Pharmacie de la bonne santé" für seine Küche wirbt. Als aufmerksamer Ehemann tut ihr Beidari gerne den Gefallen. Den Kindern bringt er Süssigkeiten. Und Beidaris alte Mama erhält Kolanüsse oder frisch gefischten Karpfen.
Normalerweise verbietet es der Stolz des Teppichverkäufers, jemanden zu enttäuschen. Aber im Januar 2011, mitten in der touristischen Hochsaison, hatte er nicht mehr als zwei Teppiche verkauft: "Damit kann ich meine Familie keine zehn Tage ernähren. Die ganze Familie ist unzufrieden mit den Touristen." Denn diese bleiben aus, seit die westlichen Länder ihren Bürgern von Reisen nach Mopti, Gao, Kidal und Timbuktu abraten. Der Grund? Der Norden Malis gilt als Refugium der Salafisten, kontrolliert von bewaffneten Islamisten, die seit 2003 gegen vierzig westliche Touristen und humanitäre Helfer entführt haben. Zwei der Geiseln wurden umgebracht, die andern, wohl gegen Lösegeldzahlungen, freigelassen. Vier in Niger entführte Franzosen waren im Juli 2011 immer noch in den Händen der mit Al Kaida in Verbindung gebrachten Islamisten. "Quatsch", protestiert Beidari. Er hält die Idee für absurd: "Al Kaida kommt doch nicht 1000 Kilometer weit aus der Sahara, um Touristen aus Mopti zu entführen."
"Und überhaupt, wenn dem so wäre, könnten wir die Entführer neutralisieren", versichert der Händler und zeigt Amulette, die an seinem Bizeps hängen und ihn für Gewehrkugeln unverletzbar machen sollen. Doch heuer nützen alle Beschwörungen nichts: Von den Touristen, die bis vor kurzem zu Tausenden mit Charterflügen aus Marseille, Lyon oder Paris anreisten, fehlt jede Spur. Normalerweise grasten die Europäer den Markt ab und liessen auch den Umsatz von Hotels und Restaurants in die Höhe schnellen. "Ich verkaufte etwa dreissig Kerka-Teppiche pro Jahr", sagt Beidari nachdenklich. Diese typischen Teppiche aus der Region von Mopti werden nirgendwo sonst hergestellt, die Farben sind gekonnt assortiert, die Webtechnik ist besonders fein. In einem einzigen Teppich stecken die Wolle von einem Dutzend Schafen und zwei Wochen Arbeit dreier Personen. Kerka-Teppiche sind teuer, Käufer aus dem Norden bezahlen rund 500 Euro dafür. Einheimische erstehen sie nur selten, und wenn, dann zu ganz anderen Konditionen als dem "Touristenpreis".
Beidari ist sich sicher, dass nicht Al Kaida an seinem Unglück schuld ist. Die malische Regierung auch nicht. Schuld ist einzig und allein der Westen:"Kaputtgemacht haben sie mich, die Weissen. Und auch den Zwischenhändler, der mir die Teppiche auf Kredit liefert. Und die Weber in den Dörfern, bei denen die Zwischenhändler anschreiben lassen." Das erzählt Beidari allen, seit die Touristen seine Stadt meiden. Wenn er heute unverrichteter Dinge nach Hause zurückfährt, ohne Gebratenes für seine Gattin, ohne Kolanüsse für die Mama und ohne Süssigkeiten für die Kinder, erzählt er es auch noch sich selbst.

Der Autor dieses Beitrags, Adam Thiam, ist Anthropologe und Journalist. Der Malier hat für Save the Children, Oxfam sowie die International Planned Parenthood Federation (IPPF) gearbeitet und war Sprecher der Afrikanischen Union. Heute gehört er zur Redaktion der Tageszeitung "Le Républicain" in Bamako, schreibt Leitartikel zu politischen Themen und Hintergrundsartikel zu afrikanischen Fragen und Sicherheitsproblemen.

Dieser Beitrag wurde der Zeitschrift Eine Welt Nr. 3/11 entnommen, dem DEZA-Magazin für Entwicklung und Zusammenarbeit, das unter www.deza.admin.ch heruntergeladen werden kann. Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung.