Im Nordwesten Chinas liegt die Provinz Xinjiang, sie reicht vom alpinen Altai-Gebirge bis zur Wüste Taklamakan, wird durchquert von der legendären Seidenstrasse und heimgesucht von extrem kalten Wintern, heissen Sommern und Sandstürmen.
Heute bilden die etwa acht Millionen Uiguren 45 Prozent der Bevölkerung, gefolgt von Han-Chinesen, die in den letzten Jahrzehnten zugewandert sind, aber nicht alle im Wilden Westen das Glück gefunden haben, das ihnen die Regierung verhiess. Zudem leben Kasachen, Kirgisen, Tadschiken und Mongolen in Xinjiang, 47 Nationalitäten werden insgesamt gezählt. Schon seit Jahrhunderten ist diese Region geostrategisch bedeutsam und wird aufgerieben zwischen unterschiedlichen Kulturen, Religionen und Machtansprüchen, die neuerdings mit den Plänen für eine neue Seidenstrasse erneut an Bedeutung gewinnen.
Anfang der neunziger Jahre reist die Sinologiestudentin Roxana nach Xinjiang. Sie möchte noch unerforschte buddhistische Höhlenmalereien erkunden, die man kaum in dieser massgeblich muslimisch geprägten Region vermutet, wo der chinesischen Regierung alles verdächtig ist, was sich der Moderne nach han-chinesischem Vorbild widersetzt. Auch der Islam ist der Regierung in Peking ein Dorn im Auge. Selbst wenn Roxana nur am Rande etwas von dem Unbehagen der Menschen und den Unruhen mitbekommt, so sind sie doch allgegenwärtig. Als ihre Suche nach den Höhlen indes nicht zum erhofften Erfolg führt, verlieren sich ihre Spuren im Sand.
Zwanzig Jahre später reist die Entwicklungshelferin Linda nach Xinjiang, um ein Projekt zur Aufforstung der Wüstenregionen zu lancieren. Die örtlichen Behörden verweigern allerdings die zugesicherte Zusammenarbeit, weshalb sie zu zermürbendem Warten verdammt ist. Zufällig gelangen Roxanas Unterlagen in ihre Hände, und sie begibt sich auf Spurensuche. Nur was wird an deren Ende stehen?
Die Wüstengängerin ist ein Roman über eine ihm Westen wenig wahrgenommene Region, die nur gelegentlich als Schlagzeilen über blutige Attentate auftaucht. Die beiden Frauen, Roxana und Linda, versuchen Licht in die unerklärlichen Ereignisse zu bringen, und verstricken sich in ihre eigenen uneingestandenen Sehnsüchte und Projektionen.
Alice Grünfelder: Die Wüstengängerin. Edition 8, Zürich 2018, gebunden, Fadenheftung, Lesebändchen
CHF 26.00, EUR 22.20; ISBN: 978-3-85990-338-8. Auch als Ebook erhältlich