"70 Prozent der Reisen in Indien werden online recherchiert oder gebucht, was Indien zu einer der am stärksten digitalisierten Reisenationen weltweit macht", schreiben Tourism Watch und Brot für die Welt in ihrer Studie. 70 Prozent – das ist mehr als in der Schweiz, wo es rund 63 Prozent sind. In Indien zeigen sich verschärft dieselben Entwicklungen, die sich auch in Europa abzeichnen: Konzentration und Standardisierung.

Trend 1: Konzentration von Angebot und Nachfrage

Zwei Plattformen dominieren den indischen Markt: MakeMyTrip – zur Hälfte im Besitz einer chinesischen Buchungsplattform – wickelt fast 70 Prozent der Online-Hotelbuchungen ab. Sowie OYO Hotels & Homes, eine Mischung aus Buchungsplattform und Budgethotelkette, finanziert von einem japanischen Investor. Ohne ausländisches Kapital könnten beide nicht so zügig expandieren. Eine profitable Investition: Während ein Offline-Reisebüro zwischen 10 und 12 Prozent Kommission verlangt, beträgt diese gemäss Studie bei Online-Plattformen 15 bis 30 Prozent. Zudem betreiben sie eine aggressive Preispolitik. "Reiseplattformen bieten ein Sechs-Tage-Paket für 6’000 bis 7’000 Rupien an. Das sind unsere Kosten pro Tag!", sagt ein indischer Reiseveranstalter. Anbieter, die bei diesem Preiswettkampf nicht mithalten können, sind auf der Plattform schlechter platziert und verschwinden irgendwann.

Auch das Verhalten der Reisenden führt zu Konzentrationen. Sie – insbesondere die Millennials – wollen dorthin, wo sie sich mit einer "instagramablen" Sehenswürdigkeit fotografieren können. Hier bieten die Plattformen auch klei- neren Anbietenden eine Chance, konstatiert die Studie: "Für Mainstream-Führer, die Führungen zu Denkmälern und archäologischen Stätten anbieten (wo nur zertifizierte Führer Dienstleistungen anbieten können), haben Reise-Plattformen wie TripAdvisor einen Raum geboten, um eine Online-Präsenz und Reputation (durch Rezensionen und Bewertungen) aufzubauen, Sichtbarkeit und Kunden anzuziehen und ihr Geschäft auszuweiten".

Trend 2: Standardisierung

Dieser Konzentrationsprozess braucht standardisierte Angebote, die in die Plattform-Schemen und Abläufe passen. "Wenn Sie online nach Hampta Pass Trek [ein beliebter Himalaya-Trekkingpfad] suchen, werden Sie kein einziges Tourunternehmen aus Manali oben in den Suchergebnissen finden. Falls ein Name auftaucht, hat das Unternehmen nicht die Kapazität, feste Abfahrten anzubieten. Selbst wenn der Reiseveranstalter dies tut, wird er nicht vor zwei Tagen in der Lage sein, auf Ihre Anfrage zu antworten", erklärt ein Bergführer aus Manali. Noch schwieriger ist es für Dorfgemeinschaften, Bauernfamilien mit einem touristischen Angebot oder Kleinstunternehmer auf Reiseplattformen zu kommen. Sie wissen oftmals nicht, wie man sich im Netz darstellen muss – geschweige denn, wie man auf Instagram ein Herzchen erhält.

Tourism Watch fasst zusammen: "Die Ergebnisse zeigen leider, dass Buchungsplattformen nicht für mehr Chancengleichheit sorgen, sondern für das Gegenteil. Die Portale bestimmen die Zugangsregeln zum Markt. Sie können mit undurchsichtigen Algorithmen Preismodelle und Rabattsysteme durchsetzen, bei denen kleine, oft familiengeführte Unternehmen nicht mithalten können."

Travalyst: Prinz Harrys nachhaltiger Club

"71 Prozent der Reisenden fanden gegenüber Booking.com, Unternehmen müssten nachhaltigere Reisemöglichkeiten anbieten", heisst es auf Tra- valyst.org. Dies ist eine Initiative von Prinz Harry, an der sich die Grossen der Tourismusindustrie – Booking, TripAd- visor, Skyscanner, Visa – beteiligen. Ihr Ziel: "Die Wirkung des Reisens zum Guten zu drehen". Als Erstes entwickelt Travalyst ein System zur Bewertung der Nachhaltigkeit eines touristischen Angebots. Damit legen sie den Finger auf den wunden Punkt: Ohne Kennzeich- nung sind nachhaltige Produkte nur mit Mühe zu erkennen. Doch warum finden wir auf Booking.com & Co. nicht schon heute einen Filter für "nachhaltigere Reisemöglichkeiten"? Wir sehen drei Gründe dafür:

  1. Die Anbieter solcher Produkte sind zu wenig zahlungskräftig und zu wenig standardisiert.
  2. Mit bestenfalls 50’000 zertifizierten Betrieben ist das Angebot schlicht zu klein. Deshalb fördert Booking.com im Rahmen des "Booking Booster Programms 2020" "Lösungskonzepte für nachhaltiges Reisen" mit 2,6 Millionen Euro (0,05 Prozent ihres Marketingbudgets).
  3. Der dritte Grund ist ernüchternd: Plattformen haben Grün-Filter getestet und herausgefunden, dass das korrekt gleiche Angebot mit Zertifikat weniger gewählt wurde als ohne Zertifikat. Offenbar wollen die Konsumentinnen und Konsumenten nachhaltigere Reisemöglichkeiten doch nicht so sehr, wie sie es Booking.com sagen. Kann die Marktmacht der Grossen ein "Umhandeln" bewirken?

Nachhaltigere Nischen

Das beschränkte Angebot prägt auch Gegen-Plattformen wie Bookdifferent, FairTrip oder Fairbnb. Kommt dazu, dass sie klein und viele sind, wodurch sich das wenige Kapital und die tiefe Beachtung weiter verringert. Wo ist ein Prinz Harry, der sie vereint?

Was heisst das?

Damit die Digitalisierung der Kommunikation zu einem nachhaltigeren Tourismus führt, befürworten wir eine Strategie, die auf mehreren Ebenen ansetzt:

  1. Politische Rahmenbedingungen für die Plattformen, zum Beispiel:
    – Bei marktbeherrschender Stellung einer Plattform sollen die Wettbewerbsbehörden einschreiten.
    – Lokale Gesetze gelten auch für globale Player, so gehören hotelähnliche Angebote auf Airbnb in die Gewerbezone. Eine Digitalsteuer kann zumindest einen Teil der Erträge abschöpfen, die ein Anbieter in einem Land erwirtschaftet.
  2. Die Reiseplattformen mit ihren Nachhaltigkeitsabsichten beim Wort nehmen und kritisch beobachten, wie sie kleine, familiengeführte oder dörfliche Tourismusunternehmen fördern.
  3. Fördern der Kleinen: Staat und Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit können diese kleinen Unternehmen fit für Reiseplattformen machen.
  4. Bündeln alternativer Plattformen, die als Nischenanbieter die Chance haben, nicht-standardisierte Ange- bote zu pushen.
  5. Und zu guter Letzt: Nehmen wir auch die Reisenden beim Wort und motivieren wir sie zur Tat.

* "Technodisruptions and travel. Examining the impact of platformisation in the Indian tourism sector", Brot für die Welt, IT for Future und Tourism Watch, Berlin 2020. 

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