Die Digitalisierung des Tourismusgeschäfts erstreckt sich heute bald in jeden Winkel der Welt. Wir können von unserem Endgerät aus nicht nur die Zugfahrt und den Flug, sondern auch die Unterkunft und den Guide in Nepal und gleich noch das Ticket fürs lokale Konzert oder Festival buchen. Die Plattformen befriedigen die Kundenbedürfnisse nach Einfachheit, nach Orientierung, nach garantierten Standards, grosszügigen Stornobedingungen, allzeitiger Erreichbarkeit und festen Terminen bei Touren.

Die Arbeitsstelle Tourism Watch des evangelischen Entwicklungsdienstes Brot für die Welt in Berlin hat eine Studie in Indien in Auftrag gegeben, die ermitteln soll, wie sich die Plattform-Wirtschaft auf KleinunternehmerInnen in zwei Destination in Indien auswirkt. Untersucht wurde das touristisch gut erschlossene Jaipur in Rajastan sowie das eher bei Backpackern und Trekkerinnen bekannte Manali im nordindischen Bundesstaat Himachal Pradesh. Die Ergebnisse zeigen, dass die Gewinnerinnen der Plattform-Tourismuswirtschaft die grossen Plattformen selbst sind. Sie haben sich einen Wettbewerbsvorteil verschafft, der kaum zu überbieten ist. Über die Aufnahme von Risikokapital finanzieren sie attraktive Rabatte für ihre Kundschaft und können so ihre Marktmacht gegenüber finanzschwächeren Plattformen und Reiseveranstaltern ausbauen.

Friss oder stirb – die Macht der Plattformen

Eine Alternative zur Präsenz auf den grossen Online-Plattformen gibt es heute kaum. Wer online nicht auffindbar ist, existiert nicht. Klein- und KleinstanbieterInnen wollen durch die Nutzung der Plattformen ihre geringen Marketing-Budgets effektiver nutzen und durch bereits existierende Vermarktungskanäle Reisende global ansprechen. Sie hoffen vielleicht auch, die Machtungleichgewichte, wie sie zum Teil in der Zusammenarbeit mit Reiseveranstaltern bestehen, umgehen zu können. Tatsächlich geht die Rechnung für einige Boutiquehotels und externe Tour Guides in Jaipur auf. Sie sind technisch fit, können sich gut präsentieren und finden Zugang zu einem erweiterten Kundenkreis, der sie gut bewertet und so ihre Reichweite vergrössert.

"Was haben Einheimische wie die Ladenbesitzer oder andere in Manali vom Zustrom dieser plattformvermittelten Touristen?", meint hingegen der Leiter eines Verbands lokaler Abenteuerreiseveranstalter aus Manali: "Der Abenteuertourismus findet zunehmend mit Gästen statt, die praktisch mit dem Fallschirm ein- und aussteigen. Der Trekking-Tourist übernachtet nicht mehr im Ort, was bedeutet, dass er sich hier auch nicht mit der lokalen Wirtschaft befasst. Normalerweise würden wir am Ankunftstag den Gästen empfehlen, sich zur Vorbereitung des Höhen-Treks erst an die Höhe in Manali zu akklimatisieren, um Schwierigkeiten auf dem Weg zu vermeiden. Sie würden also eine Nacht bleiben, den lokalen Markt besuchen und am Ende einen Schal oder eine Mütze kaufen – wovon die Ladenbesitzer auf dem Markt profitieren könnten."

Um am neuen Ort Fuss zu fassen, kooperieren Plattformen mit lokalen Reiseveranstaltern und nutzen deren Netzwerke. Nachdem sie eine kritische Menge an lokalen Angeboten im Programm haben, beginnen sie, selbst Angebote – oftmals mit günstigen auswärtigen und daher ortsunkundigen Kräften – zusammenzustellen und diese zu einem konkurrenzlos günstigen Preis anzubieten. Zum Schluss haben lokale AnbieterInnen nur noch die Rolle der DienstleisterInnen in vorarrangierten Angeboten. Ihre Gewinne gehen zurück, ihre Marktsichtbarkeit wird geringer, und um mithalten zu können, müssen sie ihre Produkte immer mehr an den Mainstream anpassen. Oder sie verlieren ihre Existenz. Damit werden die Destinationen aber auch homogener und austauschbarer.

Was tun?

Die Autorinnen und Autoren der Studie fordern eine stärkere Regulierung der Online-Plattformen durch die Politik. Online-Reisebüros sollten den gleichen Regulierungen – etwa bei Steuern und Rechenschaftspflichten – unterstehen wie die anderen Reisebüros. Auch gilt es, Monopole zu beschränken. Gleichzeitig wird Regierungen empfohlen, Mikro-, Klein- und Mittlere Unternehmen so zu stärken, dass sie digitalen Plattformen gut nutzen können. Zudem sollten sie alternative Plattformen etwa auch für nachhaltige Reiseangebote fördern.

Online-Reiseplattformen sollen sich genauso an Menschenrechte halten wie alle Unternehmen, auch punkto Arbeitsbedingungen und Umgang mit den Daten. Sie sollen mit transparenten und fair gestalteten Algorithmen arbeiten und den kommunalen Behörden Zugang zu den Daten ermöglichen, damit sie diese etwa zur Steuerung der Tourismusentwicklung in ihrer Gemeinde nutzen können. Schliesslich können Online-Reiseplattformen Reisende zu verantwortlichem Reisen anregen.

Den Reisenden empfiehlt Antje Monshausen, die Leiterin von Tourism Watch bei Brot für die Welt, sich genug Zeit einzuplanen. Einmal für die Einstimmung und Information vor der Reise – etwa mit einem guten Roman, Reiseführer oder Film -, dann aber auch, um mit der Lokalbevölkerung in Kontakt zu kommen und unverplant durch den Ort zu flanieren. Und schliesslich gezielt bei Fremdenverkehrsämtern nach alternativen Plattformen mit nachhaltigen Angeboten zu fragen.

Es tut sich etwas!

Nach der Präsentation der Studie machen sich die Anwesenden Gedanken über Möglichkeiten, die kleinen AnbieterInnen zu stützen. Die Kooperation von kleinen alternativen Plattformen mit zertifiziert nachhaltigen Angeboten wird empfohlen, die Zusammenarbeit mit den grossen Plattformen zur Einführung von Filtern für nachhaltige Angebote angeregt. Auch fairunterwegs kann möglicherweise ein Beziehungsnetz nachhaltiger Angebote mit aufbauen helfen. Immerhin: Schon heute können in der Schweiz 3’500 Hotels mit hochwertigen Nachhaltigkeitszertifikaten direkt von den Mitarbeitenden der Reisebüros aufgerufen und gebucht werden.  

* fairunterwegsAn der Mitgliederversammlung vom 30.09.2020 wurde beschlossen, den Namen "fair unterwegs – arbeitskreis tourismus & entwicklung" auf fairunterwegs zu verkürzen.