«Mich langweilt das Thema. Es kommt immer wieder, seit 20 Jahren und nichts geschieht», seufzt Dominik Siegrist, Professor an der Ostschweizer Fachhochschule. Auch Christoph Clivaz, Nationalrat der Grünen und Professor an der Uni Lausanne, konstatiert: «Ski bleibt der Plan A. Der Rest ist Plan B. Es wird viel Geld in die Erhaltung der Skiindustrie investiert – Schneekanonen, neue Anlagen, Dynamic Pricing – und wenig geht in die Diversifikation etwa in andere Sportarten wie Wandern oder gar in die Kultur». Dabei wäre eine diversifizierte Destination weniger krisenanfällig. So sagte Stefan Schmid, Geschäftsführer Stockhornbahn, welche 2005 den Skilift abgestellt hat, gegenüber der htr hotelrevue: «Mit dem Fokus auf die Sommermonate stiegen die Erträge deutlich. Heute sind wir bei einigermassen guten Wetterbedingungen teilweise auch in den Wintermonaten profitabel.» Und 2022 war «das beste Jahr in der Unternehmensgeschichte».  

Eigentlich ist niemand gegen Diversifikation weg vom Ski hin zu unterschiedlichsten Angeboten und weg vom Winter hin zu Sommer und den Nebensaison. Doch warum geschieht so wenig? 

Clivaz: «Die Skikultur ist ein Teil unserer Identität. Sie gehört zu unserem kulturellen Erbe. Viele standen schon als Kind am Lift und hatten einen Onkel, der im Skiklub war. Wir sind stolz auf unsere Skiweltmeisterinnen und darauf, dass wir während der Pandemie unsere Anlagen weiterbetrieben haben.» Jetzt zu sagen «c’est fini, setzt auf den Sommer», fällt schwer.  

Neben diesen historisch-romantischen Gründen gibt es auch handfeste: Mit Bergbahnen verdienen Einige gutes Geld, wenn nicht gerade Pandemie herrscht. Das zeigt beispielhaft der Aktienkurs der Jungfraubahnen Holding (rote Kurve Jungfrau-Aktie, goldige Kurve SPI, ein Aktienindex, der fast alle in der Schweiz gehandelten Aktien umfasst, Quelle Raiffeisenbank). 2018 lief die Aktie besser als der Durchschnitt und jetzt steigt sie schneller an:

Mit den Bahnen kann man zu Geld kommen, allerdings nur in grossen und hoch gelegenen Gebieten und selbst dort nicht immer. Doch «die Immobilien sind der Treiber», sagt Clivaz. Und der Bau der Infrastruktur. Dies ist mit ein Grund, weshalb Diversifikation oftmals statt zu natur- und kulturverträglichen Angeboten zu einem «Erlebnistourismus à la Disneyland mit Rutschbahnen und Downhill-Strecken» führt, wie Dominik Siegrist anmerkt.  

Was kann die Politik tun? 

Offenbar reichen die immer regelmässiger eintreffenden negativen Klimaprognosen nicht, um die «notwendige Transformation» (Siegrist) voranzubringen. Clivaz hofft, dass vielleicht dem Fachkräftemangel gelinge, was Klima und Klimabewegung nicht schaffen. «Bis jetzt hat man immer genügend Mitarbeitende gefunden. Aber das ändert sich.»  

Erste Piste: keine Förderung ohne Nachhaltigkeit 

Die Politik stellt bereits jetzt eine Vielzahl an Förderinstrumenten zur Verfügung, mit welchen diese Transformation konsequent vorangetrieben werden könnte: Etwa die Neue Regionalpolitik (NRP) mit rund 370 Millionen Franken in der Förderperiode 2020 bis 2023 oder Innotours, welche Innovationen im Tourismus von 2020 bis ’23 mit 30 Millionen unterstützen kann. Aber mit diesen Förderinstrumenten werden nicht gezielt nachhaltige Projekte gefördert. «Die NRP finanziert auch nicht-nachhaltige Projekte mit sehr viel Geld», sagt Siegrist. Zwar gebe es im SECO Nachhaltigkeits-Checks, aber es fehle eine strenge Nachhaltigkeitsprüfung. Clivaz findet, dass die NRP zu sehr auf Infrastruktur setzt. Er plädiert dafür, mit NRP-Geldern in den Regionen Koordinatorinnen und Koordinatoren anzustellen, welche die nachhaltige Entwicklung nicht nur des Tourismus, sondern der Region über mindestens drei Jahre vorantreiben. Dabei sollen sie das touristische Angebot mit dem lokalen Angebot und lokalen Ressourcen verknüpfen.  

Gutes Beispiel für eine gelungene Ortsentwicklung gefällig? Tenna im Safiental, wo ein Solarskilift fährt, eine Genossenschaft für Wohnraum für Einheimische sorgt und im Zentrum das Hotel Alpenblick steht. Dort soll neben dem Hotelbetrieb ein «Foodlab» für «alpine und regionale Esskultur» entstehen und Platz für Kunst geschaffen werden. 

Zweite Piste: Verkehr verlagern 

Das «Problem Nr. 1», sagt Clivaz, ist die An- und Abfahrt. Im Durchschnitt fährt nur rund jede zehnte Person mit öffentlichen Verkehrsmitteln an, hält Siegrist fest. Es braucht also eine übergeordnete Strategie, die den touristischen Verkehr konsequent auf den ÖV verlagert. 

Nur wie? Die An- und Abreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln weiter vereinfachen und die Fahrpläne verdichten – damit sind praktisch alle von links bis rechts einverstanden. Kritischer wird es, wenn konkret die Tourismus-Abgabe in den Ortsbus und den Ausbau des lokalen öffentlichen Verkehrs fliessen soll. Oder wenn Parkplatz richtig teuer werden oder gar an einen Mehrtagesaufenthalt gebunden sind. Und brenzlig wird es, wenn man Parkplätze abbauen will. Das gehe nur auf Kantonsebene, sagt Clivaz. Ansonsten befürchten viele vom Dorf, in dem die Parkplätze reduziert werden sollen, dass die Gäste ins Dorf mit dem grosszügigen Parkplatzangebot abwandern.  

Dritte Piste: runterfahren 

«Uns steht ein touristischer Strukturwandel ähnlich der Deindustrialisierung in den 1960-er und 70-er Jahren bevor.» Davon ist Siegrist überzeugt. Wer noch an Tourismuswachstum im Winter glaubt, fährt in den Abgrund. So sieht es auch Clivaz. Deshalb stellt sich die Frage: Reicht konsequent Nachhaltigkeit fördern und Parkplätze abbauen? Langfristig braucht es wohl radikalere Massnahmen wie: 

Ausbaupläne zurücknehmen: In einigen Destinationen sollen neue Skigebiete erschlossen werden, die Bergbahnen Titlis AG etwa planen eine zweite Seilbahn mit neuen Stationen und einen grossen Umbau der Bergstation mit Geschäften sowie eine grosse Erweiterung ihres Skigebietes. Diese Pläne bekämpfen die Umweltverbände; 

Bodenverbrauch beschränken: Touristische Angebote verbrauchen unverbauten Boden etwa für neue Hotels, Bad- und Skianlagen. Dies gilt es einzudämmen – durch Kompensation oder Einschränkungen; 

Risiken nicht übernehmen – zu guter Letzt noch ein visionärer Vorschlag von Dominik Siegrist: Die Bergbahnbetreibenden sollen wissen, dass der Staat nicht einspringt, wenn eine vorhersehbare Krise eintrifft. Wenn sie zum Beispiel ein Klumpenrisiko aufbauen, indem sie viele Gäste aus Fernost akquirieren, dann sollen sie keine staatlichen Gelder erhalten, wenn diese Gäste fernbleiben – in der nächsten Krise oder weil der Flugverkehr teurer wird.  

Christophe Clivaz

Nationalrat Wallis, Grüne, und Professor für Tourismuspolitik an der Universität Lausanne 

Dominik Siegrist

Professor im Studiengang Landschaftsarchitektur an der Ostschweizer Fachhochschule; Schwerpunkt naturnaher Tourismus und Pärke