Dunia
Wenn man in gar nichts verliebt ist, hat der Tunesier Nacer Khemir einmal gesagt, dann fehlt dem Leben das Ziel und damit natürlich auch das, was man Sinn nennen mag. Nach Abschluss ihrer Literaturstudien im pulsierenden Kairo möchte Dunia Tänzerin werden, wie ihre Mutter es war. Gleichzeitig ist die attraktive junge Frau fasziniert vom Sufismus und seiner Poesie. Was Liebe und Zärtlichkeit bedeuten können, erfährt Dunia, als sie mit dem Schriftsteller Beshir das Vergnügen der Sinne kennenlernt und erlebt, wie eng dieses mit dem Vergnügen der Worte verknüpft ist.
Intime Träume und sinnliche Zitate aus der Literatur klingen in Jocelyne Saabs traumwandlerisch zartem Film an und erzählen von einem Ägypten, das auf halbem Weg nach den ersehnten Idealen steckt. Und von einer Frau, die behutsam zu sich selber finden will und eine Wunde der Kindheit zu überwinden sucht, die nicht nur eine Wunde des Körpers ist. Eine Entdeckung und ein in mancherlei Hinsicht hochaktueller Film. «Das dominante Thema des Films ist das Verlangen, die Lust», meint die Autorin. Ihr Film erzähle die Geschichte einer jungen Frau, die ihre eigene Lust nicht ausleben könne. «Sie sucht mit allen Sinnen, in der Poesie, im Tanz, in der Musik, bei ihren Freundinnen und deren Erfahrungen.» Dunia sei eine Initiationsreise «und zwar so weit, bis die Protagonistin sich ihren eigenen Tabus stellt.»
Dunia ist der dritte Spielfilm von Jocelyne Saab. Sie hat hier mit zwei hervorragenden Schauspielenden gearbeitet, indem sie die weibliche und die männliche Hauptrolle mit Hanan Turk und Mohamed Mounir besetzte, zwei der ganz grossen Stars im ägyptischen Kino. Saab will eine Diskussion in Gang bringen über das Frausein im arabischen Raum. Sie schafft nicht nur das: Weil sie die Frage nach dem, was Zärtlichkeit, Sinnlichkeit und liebevoller Umgang überhaupt sind, offen und sensibel stellt, lässt sich ihr Film weltweit lesen, verstehen und übertragen. Hanan lebt sich als Dunia in den Tanz ein, in dessen Studium und damit in den konzentrierten, bewussten, liebevollen aber auch beherrschten Umgang mit dem eigenen Körper. Sie strahlt in ihrem Spiel zunehmend jene wohltuende Sinnlichkeit aus, von der uns Jocelyne Saab eben nicht nur erzählen will: Ihr Film schafft sie behutsam, und das macht ihn zu einem genussvollen Erlebnis nicht nur auf einer intellektuellen, nicht nur auf einer visuellen und akustischen Ebene, er ist ein Genuss auch als ein Stück Sinnlichkeit in sich selber.
Dunia ist ein aus weiblicher Perspektive heraus empfundenes Plädoyer für eine andere Zärtlichkeit und Sinnlichkeit. Sie tanzt für die ganze Welt – ihre Sehnsucht dürften Frauen in aller Welt teilen. Und Männer können sie lernen. Lieber spät als nie. (Walter Ruggle)
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