Durchgeknetet: Teil 3 von 6
Hongkong: Ein bleibender Eindruck
Ich bin zufälligerweise während der Regenschirmrevolution in Hongkong, und mein Hotel in Mong Kok steht auch noch just in der Strasse, wo sich die meisten Leute sammeln, nachdem ein Protestlager geräumt wurde. Ich habe das Privileg, diesen historischen Moment direkt vor Ort und nicht nur via Medien zu erleben. Die Proteste halten zwar auch tagsüber an, doch so richtig voll wird es jeweils erst zwischen 23 Uhr und 3 Uhr in der Früh. Die meisten Leute arbeiten wohl tagsüber und finden sich abends solidarisch in den Protestcamps ein. Was auffällt, sind die grosse Ruhe, trotz den Menschenmassen. Kaum ein Skandieren von Parolen, kein einziges sichtbares Gerangel. Auf der einen Seite stehen rund 5’000 Polizisten dicht und stramm mit Schlagstock, auf der anderen Seite die Regenschirmprotestanten. Mittendrin Reporter mit Kameras, die die bizarre, fast unbewegliche Szenerie filmen. Im Gewühl tippt mir jemand auf die Schulter und bittet um Durchlass. Als ich mich umdrehe, sehe ich, dass sich rund 20 Polizisten in Kampfmontur und mit Tränengasgewehren im Gänsemarsch hinter mir stauen. Es ist besser, ein paar Strassen weiterzuziehen.
Meine Reisekollegin und ich sind in Hongkong viel zu Fuss unterwegs, und natürlich wollen wir auch hier eine Massage ausprobieren. An jeder Ecke sehen wir Massageschilder, doch das grosse Angebot überfordert uns. So fragen wir in unserem Hotel nach und bekommen einen kleinen Massagesalon in der Nähe empfohlen. Eine steile Stiege führt hinauf. Zuerst befürchten wir, dass wir in der guten Stube eines Wohnhauses statt in einem Massagesalon landen. Doch wir sind an der richtigen Adresse. In einem kleinen Raum stehen rund zehn Sessel in einem Kreis angeordnet. In der Mitte laufen mehrere Fernseher, News flimmern über die Bildschirme. Wir wählen einen Nacken-/ Fussmassage und sind gespannt. Zuerst müssen wir unsere Hosen ausziehen und in Standardshorts, "Grösse XXXL", steigen. Wir bekommen zwei Masseure zugeteilt und sitzen nebeneinander. Die Masseure packen zu, unterhalten sich angeregt, lachen immer wieder. Dazu schauen sie die News auf den TVs, uns scheinen sie nicht wahrzunehmen. Von mir und meiner Kollegin kommen nur dann und wann ein paar Jammerlaute.
Ich erinnere mich an kein Wort, das wir mit unseren Masseuren gewechselt hätten. Nicht, dass wir nicht wollten, aber es schien irgendwie einfach unangebracht. Die beiden waren in ihre Unterhaltung vertieft und hielten dabei wie beiläufig unsere Füsse in den Händen. Es war nicht unangenehm, aber doch etwas eigenartig, so quasi auf dem Massagesessel ignoriert zu werden. Vielleicht schlus sich aber einfach der Hongkonger Alltag, also das dichte Beieinander und die doch respektvolle Distanz, auch in der Massage nieder.
Bevor wir am Flughafen den 13-Stunden-Flug in Angriff nehmen, sehen wir in der Abflughalle nochmals die News. Das letzte Protestcamp in der Innenstadt wird gerade geräumt. So wie Hongkong als Stadt und die Regenschirmproteste als zeithistorischer Moment einen bleibenden Eindruck hinterlassen, spüre ich meine Fusssehnen noch Wochen nach der Massage.
In den nächsten Wochen bringen wir in lockerer Folge weitere 3 Beiträge über Massage in verschiedenen Ländern.
Dieser Beitrag erschien im Globetrotter Magazin Nr. 125, Frühling 2018. Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung.
In den nächsten Wochen bringen wir in lockerer Folge weitere 3 Beiträge über Massage in verschiedenen Ländern.
Dieser Beitrag erschien im Globetrotter Magazin Nr. 125, Frühling 2018. Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung.