Ajoy Kumar ist Agronom und Politikwissenschaftler. Er koordiniert das Landesprogramm von Fastenopfer in Indien. Seit 30 Jahren setzt er sich für die ärmsten Volksgruppen Indiens ein, für Indigene (Adivasi) und "Unberührbare" (Dalits). Diese stark marginalisierten und verarmten Bevölkerungsgruppen haben bisher nicht vom wirtschaftlichen Aufschwung profitiert – im Gegenteil. Ajoy Kumar ist während der Ökumenischen Kampagne Gast des Fastenopfers.
Welche Rolle spielt die Landfrage bei Ihrer Arbeit?
Die Lebensgrundlage der Adivasi und der Dalits basiert auf dem Zugang zu Land und Wald. Verlieren sie ihn, ist ihr Überleben bedroht und sie müssen wegziehen. Fastenopfer stärkt mit seinen Projekten in Indien die Gemeinschaften der Adivasi und Dalits, um dem Landraub präventiv entgegenzuwirken.
Welche Bedeutung hat "Land Grabbing" für das indische Wirtschaftswachstum?
Ein beachtlicher Teil des Wirtschaftswachstums in Indien hängt mit den Entwicklungen im Bergbau-, Industrie- und Infrastrukturbereich zusammen. In den Gebieten der Adivasi finden sich viele natürliche Ressourcen. Um sie zu fördern, wurden viele Menschen von ihrem Land vertrieben. In den letzten sieben Jahren verloren die indigenen Gemeinschaften ungefähr eine halbe Million Hektaren Land wegen Minen- und Infrastrukturprojekten. Mehr als 30 Millionen Menschen wurden von ihrem Land vertrieben. Diese Vertreibungen führten zu gewalttätigen Konflikten. Man kann daraus schliessen, dass das Wirtschaftswachstum Indiens auf dem "Land Grabbing" basiert, dem Raffen von Land.
Welche Resultate kann Fastenopfer mit seiner Arbeit in Indien verzeichnen?
Etwa 8’000 Familien konnten sich über 5’000 Hektaren Land sichern. Sie haben erkannt, dass die Gesetze auch für sie gelten und nutzten beispielsweise das Waldgesetz, um sich ihr Land zu sichern. Dank Fastenopfer haben die Menschen ihre Lebensgrundlagen verbessert und mehr zu essen. Sie führen nun ein menschenwürdigeres Leben.
Wie sieht die Zukunft einer Dorfgemeinschaft aus, die sich ihr Land sichern konnte?
Äusserst vielversprechend. Hat die Gemeinschaft die Gewissheit, dass ihr niemand das Land wegnehmen kann, kann sie sich mit den Nahrungsmitteln von den eigenen Feldern versorgen. Sie lebt ihre eigene Kultur und Spiritualität wieder. Männern und Frauen ist es gleichermassen möglich, im politischen Prozess mitzuwirken und Entscheidungen für die Zukunft der Dorfgemeinschaft zu treffen. Andernfalls wären sie weggezogen und verarmt.
Was motiviert Sie an Ihrer Arbeit?
Der Widerspruch zwischen der modernen Konsumwirtschaft und der sehr ursprünglichen Landwirtschaft für den Eigenbedarf ist für mich der grösste persönliche Antrieb. Ich hatte das Glück, tief in die Welt der indigenen Bevölkerung einzutauchen. Ihr Leben basiert auf dem Respekt zur Natur und der ökologischen Nachhaltigkeit. Die Konsumwirtschaft hingegen basiert auf uneingeschränktem Verzehr und der Konzentration des Wohlstandes in den Händen von wenigen. Diese Lebensweise wird nicht nur die natürlichen Ressourcen zerstören, sondern auf Dauer auch das Leben auf unserem Planeten.
Welche Ziele verfolgen Sie persönlich während Ihres Besuchs in der Schweiz?
Ich will in der Schweiz ein kritisches Bewusstsein bezüglich der Situation in Indien schaffen – vor allem bezüglich des "Land Grabbing" und seiner Auswirkungen auf das Leben der Ärmsten, der Adivasi. Durch die Bewusstseinsbildung erhoffe ich mir Solidarität und Unterstützung der Schweizer Bevölkerung. Ohne diese Unterstützung können die Adivasi nicht überleben.