Ein anderes Palästina?
Eine touristische Reise nach Palästina? Auf den ersten Blick eine überraschende Wahl. Die Massenmedien haben uns dazu getrimmt, das Land als Brutstätte von Gewalt, Hass und Extremismus zu sehen. Aber im Blick auf die vielen wunderbaren kulturellen und religiösen Besichtigungsorte stellt sich doch die Frage: Gibt es denn keine Möglichkeit, nach Palästina zu reisen, und dabei gleichzeitig etwas Gutes für die dortige Bevölkerung zu tun? Pierrette Nicolosi, Gründungsmitglied der französischen NGO Tourisme Autrement, engagiert sich für einen Menschenrechtstourismus nach Palästina. Sie hat Kontakte zu palästinensischen und israelischen NGOs geknüpft und nutzt den Tourismus als Instrument der Friedensförderung.
Autorin: Pierrette Nicolosi*
Die Tourismusbranche in Palästina ist im Aufbau begriffen, doch ist sie wegen der politischen Situation mit Israel instabil. Als im Jahr 2000 die Gewalt aufflammte, fiel die Anzahl der Touristen drastisch. Seither versucht sich die Branche wieder zu erholen. Weil Touristen nur auf kurze Besichtigungen nach Palästina reisen, aber in israelischen Hotels übernachten, ist zunehmender Tourismus in dieser Region nicht gleichbedeutend mit zunehmende Einnahmen für die palästinensische Bevölkerung.
Immerhin hat der „Observer“ kürzlich berichtet, Palästina sei eine aufstrebende Destination, mit einer Verdoppelung der Besucherzahlen letztes Jahr. Die Anzahl der Übernachtungen in Palästina sei letztes Jahr um 108 Prozent auf ein seit der Intifada nie mehr erreichtes Niveau gestiegen. 2007 übernachteten 315’866 Gäste in einem der 82 Hotels der Region. Palästinensische Hotelunternehmen planen über die nächsten drei Jahre die Schaffung von10’000 neuen Betten in Ostjerusalem, Jericho und Bethlehem.
Massentourismus nach Palästina gibt es seit Jahrhunderten in Form von Pilgerreisen zu den religiösen und spirituellen Sehenswürdigkeiten. Diese Pilgerreisen waren meist auf dem christlichen Glauben begründet und beachteten die politische Auseinandersetzung zwischen Palästina und Israel kaum. Nach der Intifada (dem palästinensischen Aufstand), brach die Tourismusbranche zusammen. Seither ist sie von Israel dominiert, wo die Bedeutung des Tourismus erkannt und die Gewinn erzielt werden, von vielen Einzel- und Kleinunternehmern, die ins Tourismusgeschäft eingestiegen sind. Wie alle Wirtschaftsbereiche ist auch der Tourismus von den 60 Jahren israelischer Besetzung betroffen. Unfaire Massnahmen wurden ergriffen, um den Palästinensischen Tourismus zu schwächen. Einschränkungen behindern die Bewegungsfreiheit der Reiseführer, die nötige Infrastruktur kann nicht entwickelt werden. Palästinensische Städte wie Behtlehem und Nablus werden aus den Reiserouten verbannt, Gebiete werden für Touristen gesperrt und das Image von Palästina als gefährlichem Ort wird sorgsam gepflegt. Diese Massnahmen führen zu Arbeitslosigkeit, schädigen die Wirtschaft und schaffen ein nationales Gefühl der Verlassenheit.
Wer sich zu einer üblichen Gruppenreise nach Palästina entschliesst, wird seine Pilgerreise als industriell anmutendes Gehetz von Kirche zu Tempel erleben, ohne jeden Kontakt zur Lokalbevölkerung. Während dieser sehr kontrollierten Erfahrung werden Reisende nur zurückhaltende Worte seitens der Lokalbevölkerung hören, trotz der Gewalt, die sie täglich erfährt. Die PlästinenserInnen verteidigen entschieden ihr Anrecht auf einen gerechten Frieden, der ihnen die Freiheit der Bewegung, der Arbeit, des Schulbesuchs, des Reisens sowie reale Zukunftschancen gibt.
Es gibt andere Wege, Palästina zu besuchen. Dafür muss die Reise über eine lokale Organisation wie „Association d’Echanges Culturels Hébron France“ organisiert werden, die Touristenführer in Hebron ausbildet. Der Jugend in Hebron ermöglicht das, sich mit der Geschichte ihrer Stadt und mit den gesellschaftlichen Aktivitäten für die Lokalbevölkerung zu verbinden. Reisende können mehrere Tage dort verbringen, denn für Unterkunft sorgen lokale Familien. Auf diese Weise fällt es den Reisenden leichter, mit Leuten in Kontakt zu kommen, die ihren berechtigten Stolz auf ihre Kultur und ihr Erbe zeigen. Ist einmal dieser persönliche Kontakt nach Palästina geknüpft, wird der starke Kontrast zwischen den über die Medien verbreiteten Stereotypen und den täglichen Realitäten offensichtlich.
Palästina hat ein realistisches Potential für Tourismus – nicht nur für Pilgerreisen. Es gibt eine unglaubliche Dichte an historischen Stätten: Die Geburtskirche in Bethlehem; die Al Aqsa Moschee, das Patriarchenhaus in Hebron; die alten Zouks (Märkte) in Nablus und Jerusalem. Für die Frauen und Männer in Palästina sind BesucherInnen ein Anlass für Gespräche, eine Chance, ihre Seite darzustellen, die erlebte Ungerechtigkeit zum Ausdruck zu bringen, und vor allem eine Möglichkeit, die erlebte Isolation zu durchbrechen. Wer so reist, wird fast automatisch als Zeuge und Anwalt gesehen. Das Gefühl des Selbstwerts der Basisgruppen kann gestärkt werden, wenn ihre Kultur und ihre Traditionen mit dem Tourismus in Wert gesetzt und genährt werden. Verantwortungsvoller Tourismus und Palästina: Die Verbindung kann stimmen und helfen, Unrecht zu bekämpfen.
To find local places to stay and tours to Palestine, visit the Alternative Tourism Group: www.atg.ps
*Pierrette Nicolosi, Anbieterin von Palästina-Reisen in Belgien ist engagierte Kämpferin für einen fairen Kulturaustausch mit Palästina, z.B. mit der Organisation von Sommercamps für Palästinensische Kinder.
Quelle: Tourism in focus, Sommer 2008. Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung. Übersetzung. Nina Sahdeva, arbeitskreis tourismus & entwicklung, Basel
Bildlegende: Israelische und palästinensische Nichtregierungsorganisationen (NGOs) spielen eine wichtige Rolle bei der Sensibilisierung der Touristen für das palästinensische Erbe. Eine Möglichkeit dafür bietet sich mit der Organisation von Reisen und Ausflügen. Dieser Reiseleiter des „Alternative Tourism Centre“ beschreibt die Grenzmauer hinter ihm, welche Jerusalem spaltet und als Teil der israelischen Siedlungspolitik kritisiert wird.