Dank unablässigen Investitionen in die Entwicklung des Tourismus haben sich die Malediven von einem der ärmsten zu einem der reichsten südasiatischen Länder gemausert. Die Hauptstadt Malé wurde jedoch einer ad hoc-Entwicklung überlassen, die von der Profitgier der einen und vom Überlebenskampf der anderen gezeichnet ist. Ein Drittel der maledivischen Bevölkerung lebt mittlerweile in der boomenden Hauptstadt, ein Grossteil von ihnen durch Migration mangels Entwicklung regionaler Zentren. Die Einwohnerzahl der Hauptstadt hat sich seit Mitte der achtziger Jahre mehr als verdoppelt und ist allein zwischen 2000 und 2006 um 40 Prozent auf 103‘963 gestiegen – auf weniger als zwei Quadratkilometern Fläche. Hinzu dürften noch einmal 10‘000-20‘000 temporäre Aufenthalter kommen. Bei einer durchschnittlichen Haushaltgrösse von 7.4 Personen lebten 2006 48 Prozent aller Haushalte in zwei oder weniger Zimmern. Für manche dürfte Schlafen nur in Schichtwechseln möglich sein. In der vom oben genanntem Komitee publizierten Analyse der urbanen Situation Malés werden die Konsequenzen dieser Umstände als höchst bedenklich bezeichnet: Ansteckende Krankheiten verbreiten sich rasant. Psychologische und soziale Probleme nehmen als Ergebnis von Spannungen und emotionalem Stress zu. Platzmangel verlangsamt und beeinträchtigt die körperliche und geistige Entwicklung von Kindern und Jugendlichen. Es grassieren Drogenprobleme und urbane Gewalt.

Lärm und Gestank ohne Ende
Die EinwohnerInnen von Malé empfinden den permanenten Verkehr als eine der grössten Belastungen. Trotz Einführung von Einbahnverkehr in den meisten (sehr engen) Strassen fliesst der Verkehr nicht, kann wegen der vielen Kreuzungen bei dem bestehenden Verkehrsvolumen gar nicht zum Fliessen kommen, was ununterbrochen Lärm verursacht und die Luft bis in die Wohnräume hinein stark belastet. Relative Ruhe herrscht nur am Freitagmorgen, dem einzigen Zeitpunkt, da alle Geschäfte ruhen. Diese Zeit wird nun jedoch für Tiefbauarbeiten genutzt. Auf anderen Baustellen wird an allen Wochentagen bis in die Nacht hinein gearbeitet. Vor dem Hintergrund des Booms der letzten zehn Jahre bedeutet dies, dass es immer von irgendwoher dröhnt und man auch nirgendwohin ausweichen kann.

Eine der komplexesten urbanen Strukturen
Da es nie eine Stadtplanung gegeben hat und folglich keine Zonenpläne existieren, befinden sich Gewerbe und Wohnraum in unmittelbarer Nachbarschaft, was weitere Immissionen verursacht. Trotz der rasanten Entwicklung Malés in den letzten 20 Jahren bestimmt jede Familie, resp. jeder Erbe, jede Erbin über ihren  Grundbesitz, oft Kleinstparzellen, und deren Nutzung selbst. Experten bezeichnen Malé als eine der komplexesten urbanen Strukturen. Alles auf den Malediven – Administration, Wirtschaft, öffentliche Institutionen – wird auf den 192 Hektaren von Malé abgewickelt, mehr Land ist dem Ozean nicht abzutrotzen. Wohl aber existieren weitere Inseln in Reichweite. So ist eine Agglomeration „Hulhumalé“ durch Landgewinnung in der Nähe des Flughafens im Entstehen begriffen. Im Gegensatz zu Malé und einer Mitte der 90er Jahre nahezu planlos entstandenen „Vorstadt“ auf der Insel Vilingili wird die Nutzung und Infrastruktur Hulhumalés akribisch geplant.

Hotel für Reiche statt Erholungsraum für alle
Angesichts oben genannter Umstände ist es unbegreiflich, dass der einzige einigermassen natürliche Erholungsraum eines der dichtest bevölkerten Orte der Welt einem fünfzehnstöckigen Luxushotel und Konferenzzentrum weichen soll. Beim Hotelprojekt in Malé geht es nicht nur um den dem Volk gestohlenen Platz. Das Projekt läuft von der Regierung proklamierten Strategien  zuwider, die helfen sollen, Malés überlastete Situation zu verbessern. Ein Komitee von im Ausland ausgebildeten ArchitektInnen, Planern, Ingenieuren, Umwelt- und EntwicklungsexpertInnen rät dringend von diesem Hotelprojekt auf öffentlichem Grund ab, nicht zuletzt, weil noch zwei private Bauprojekte bestehen und Malé schon jetzt über verschiedene andere Hotels verfügt. Gemäss diesen ExpertInnen wären ökologische, soziale, ökonomische und verkehrstechnische Probleme programmiert:  So ist bekannt, dass der Untergrund an der geplanten Baustelle Risse im Riff aufweist und die Südseite Malés die am meisten von Überflutungen gefährdete Stelle der Insel ist. Die auch mit Chemikalien belasteten Abwässer des Hotels würden ungeklärt ins Meer geleitet werden und so die Wasserqualität der einzigen Badestelle Malés schwer beeinträchtigen. Die Wasser- und Elektrizitätsversorgung Malés würde durch das Hotel an die Grenze ihrer Kapazität gebracht. Zusätzliche Abgase der Generatoren zur Stromproduktion würden die Luft Malés weiter verpesten.  Am südöstlichen Ende Malés wäre das Hotel schlecht erreichbar, da am weitesten entfernt von den Zugangshäfen. Es würde in den schon verstopften Strassen weiteres Verkehrsaufkommen verursachen und bei  Anlässen wie Tagungen das ganze umliegende Gebiet blockieren. Es wird erwartet, dass ein Hotel dieser Grösse und Kategorie 300 Angestellte erfordern würde und es sei anzunehmen, dass rund die Hälfte davon aus dem Ausland rekrutiert würde, was das Wohnproblem der Stadt weiter verschärfen würde (anstelle Arbeitsplätze zu schaffen). Mit dem Hotelbau würde der einzige Erholungsraum mit etwas frischer Luft, der noch keine zehn Jahre besteht und ausdrücklich für die Bevölkerung Malés eingerichtet wurde, verschwinden.

Geld für die Regierung, Schaden für die Bevölkerung
Den über 100‘000 Einwohnern würden noch die letzten unverbauten knapp 4000 Quadratmeter genommen. Leidtragende wären zuallererst Frauen und Kinder, für die viele andere Plätze der Insel mittlerweile als zu unsicher gelten oder schlicht Männerdomäne sind, bei den heutigen sozialen Verhältnissen angeblich nicht nutzbar ohne das Risiko krimineller Bedrohung oder sexueller Belästigung. Schliesslich stellt sich auch die Frage, wer dieses Luxushotel überhaupt besuchen würde. MaledivenurlauberInnen dürften sich kaum in die Hauptstadt verirren, schon gar nicht auf der Suche nach Erholung in paradiesischer Umgebung. Auch mit Sehenswürdigkeiten und Unterhaltungsmöglichkeiten kann Malé nicht aufwarten. Somit würde es sich um Geschäftsleute, Entwicklungsexperten und Diplomaten oder Durchreisende auf dem Weg zu ihrem Resort oder zum Flughafen handeln. Gemäss Bericht besteht für diese Zwecke in und um Malé jedoch bereits ein genügend grosses Bettenangebot.

Erklärbar ist der plötzliche Realisierungswunsch dieses schon zehn Jahre bestehenden Schubladenprojekts offenbar einzig damit, dass die Regierung bestehende Budgetdefizite dringend stopfen muss. Der Auftragnehmer verpflichtet sich nämlich,  5 Mio. Dollar – entsprechend 15 Prozent des Pachtvertrags für zehn Jahre – bei Vertragsantritt zu bezahlen. Ein Teil der Einnahmen, die dazu dienen könnten, die Lebensbedingungen der Einwohnerinnen Malés zu verbessern, wären dann schon ausgegeben. Ausserdem kann bei diesen Rahmenbedingungen nur ein reicher Grossunternehmer den Zuschlag erhalten. Ohne verbindliches Steuersystem besteht auch keine Garantie, dass die Bevölkerung Malés von diesem Projekt je profitieren wird.
Touristische Infrastruktur verdrängt die Einheimischen
Während die touristische Infrastruktur sich ständig verbessert, um den Gästen mit immer mehr Angeboten zu hofieren, wird der Grossteil der maledivischen Bevölkerung buchstäblich in die Ecke gedrängt: entweder im Gerangel um einen Teil des Kuchens in Malé oder auf irgendeiner unterentwickelten Insel einem Schicksal wie vor 100 Jahren überlassen, ignoriert von einem Staat, der beständig mehr Ressourcen auffrisst, ohne seine Bevölkerung daran teilhaben zu lassen. Bezeichnenderweise sind ein Grossteil der im Tourismus Beschäftigten extrem schlecht bezahlte, oft auch um ihren Lohn betrogene Fremdarbeiter. Auch die meisten maledivischen Angestellten auf Touristeninseln leben fern von Familie und heimatlicher Insel, da Einheimische keinen Zugang zu den Resorts haben und fehlende Verkehrsverbindungen regelmässige Besuche zu Hause nicht erlauben. Gemäss Angaben profitieren gerade mal 10 Prozent der Bevölkerung vom erwirtschafteten Reichtum, während mindestens 30 Prozent der MalediverInnen noch immer mit weniger als einem US-Dollar ihr Dasein fristen müssen. Kein Wunder, dass die Bevölkerung der bewohnten Inseln insgesamt im Abnehmen begriffen ist, während ihr Wachstum in Malé überbordet.

Quellen: Fathimath Rasheed et al.  „Is the five star hotel the solution?“ Malé, Sept. 2007; (siehe pdf); Brief an die Vizepräsidentin von Shangri-La International Hotel Management Ltd. (siehe pdf), Gespräche mit Betroffenen
Fotos: Karte von Wikipedia, Foto aus "Is the five star hotel the solution?"

* Silvia Schnorf hat mehrere Jahre auf den Malediven gelebt und animiert die Menschenrechtsorganisation „Association for the Prevention of Torture and Ill-Treatment in the Maldives“, www.aptim.org