Eine Heimatscholle in der Fremde
Frau Geistert, warum brauchen Migrantinnen und Migranten Gärten?
Astrid Geistert: Zahlreiche Flüchtlinge haben einen starken Bezug zur Garten- und Feldarbeit. Und sie verfügen über genügend Zeit für die Pflege, wenn sie nicht in den Arbeitsprozess integriert sind. Aufgrund ihres Aufenthaltsstatus können sie aber keinen Familiengarten mieten; in Basel braucht man dafür beispielsweise eine C-Bewilligung. Bis man die hat, dauert es ungefähr zehn Jahre. Deswegen vermittelt HEKS anerkannten Flüchtlingen, vorläufig Aufgenommenen und Asylsuchenden Familiengärten.
Wie gross ist das Interesse an solchen Gärten?
Derzeit mietet HEKS mit finanzieller Unterstützung der Otto Erich Heynau-Stiftung in Basel sieben Freizeitgärten mit einer Fläche von jeweils 200 bis 300 Quadratmetern, in Reinach sind es sechs Parzellen mit je 100 Quadratmetern. Das Interesse übersteigt die zur Verfügung stehenden Gärten. Die "Neuen Gärten" sind teilweise zum Selbstläufer geworden – in der Regel schlagen die ausländischen Gärtnerinnen und Gärtner die nächsten InteressentInnen selbst vor.
Wie ist die Nutzung der Gärten organisiert?
Zunächst richtete sich das Projekt ausschliesslich an Frauen, von denen sich mehrere eine Parzelle teilten. Denn gerade Frauen sind meist noch eher von Arbeitslosigkeit betroffen als Männer. Damit entstand ein Raum, wo die Frauen unter sich sein konnten. Wenn die Frauen schwanger wurden, sprangen oft die Ehemänner ein, Kinder kamen dazu. Die Familien wollten die Abende und Wochenenden gemeinsam im Garten verbringen. Deswegen passten wir das Projekt entsprechend an, meist nutzen zwei Familien aus dem gleichen Kulturkreis gemeinsam ein Gartenstück.
Warum arbeiten nicht verschiedene Kulturen zusammen, wäre damit den Integrationszielen nicht mehr gedient?
Auf dem Papier sieht es schön aus, wenn eine afghanische Familie zusammen mit einer Familie aus Togo Gemüse anbaut, zumal die Parteien dabei Deutsch miteinander reden müssten. Aber in der Praxis ist es unkomplizierter und bedeutend beliebter, wenn die PächterInnen gemeinsame Erfahrungen und Werte teilen, was bedeutet, dass sie oft aus demselben Kulturraum stammen.
Wie werden die Nutzerinnen und Nutzer auf die Aufgabe vorbereitet?
Einerseits gibt es einen Vorkurs, der von der Stadtgärtnerei organisiert wird und den Neumieter besuchen müssen. Wir machen es mittlerweile so, dass wir den Migrantinnen und Migranten in einem Kurs Inputs zu biologischem Gärtnern vermitteln.
Werden die MigrantInnen-Gärten von der Nachbarschaft akzeptiert?
Im Vorfeld des Projekts gab es Widerstand vom Präsidenten des Familiengartenvorstands. Nach einem personellen Wechsel ging es dann endlich vorwärts. Ich stelle fest, dass die Offenheit grundsätzlich vorhanden ist. Die positive Einstellung kann natürlich kippen, wenn die Gärten nicht so bewirtschaftet werden, wie die Nachbarn sich das vorstellen. Da ist es meine Aufgabe, für die Einhaltung der geltenden Regeln für Familiengärten zu sorgen. Sind die Rabatten nicht so akkurat bepflanzt wie man sich das hier gewohnt ist, macht das eher wenig Schwierigkeiten. Denn jeder gestaltet seinen Garten so, wie er oder sie es für richtig befindet. Ausserdem gelten für alle die allgemeinen Familiengartenreglemente, an die sich alle halten müssen.
Und in welchen Situationen müssen Sie einschreiten?
Kürzlich hatte eine Familie ein aufblasbares Schwimmbecken aufgestellt, das zu gross war. Dieses Problem liess sich einfach durch ein kleineres Becken lösen. Durchgreifen muss ich auch, wenn jemand zu selten in den Garten kommt, ihn verwildern lässt und das Unkraut sich in Nachbars Garten verbreitet. Ich spreche die teilnehmenden Personen darauf an und frage nach den Gründen. Manchmal sehen die Personen dann ein, dass es keinen Sinn macht, einen Garten zu haben, wenn sie einfach zu wenig Zeit oder Lust haben. Denn es gibt genügend Leute, die sich eine Parzelle wünschen. Ein Thema ist auch die Verbrennung von Gartenabfällen, was viele Flüchtlinge aus ihrer Heimat kennen. Machen sie das im Familiengarten, gibt‘s zu Recht Ärger. So gesehen erhalten die Asylsuchenden einen Einblick ins Funktionieren der hiesigen Gesellschaft, die das Einhalten von Regeln fordert.
Haben die Flüchtlinge Kontakt zu ihren angrenzenden Gartennachbarn?
Das hängt sehr stark vom Charakter jedes Einzelnen ab. Wo, wie in Reinach, nur ein Grill- und Spielplatz für die Gemeinschaft zur Verfügung steht, kommen die Leute eher miteinander ins Gespräch. Da wird der Integrationsgedanke automatisch gut umgesetzt, im Vorfeld geäusserte Bedenken konnten komplett ausgeräumt werden. In Basel steht auf jeder Parzelle ein eigenes Häuschen. Wer kontaktfreudig ist, fragt auch mal beim Nachbarn nach dem Rasenmäher und verschenkt Kräuter und Früchte. Wer eher in sich gekehrt ist, kann sich auf den Umgang mit der eigenen Familie beschränken.
Wer vom Asylsuchenden zum vorläufig Aufgenommenen wird, hat zwar einen besseren Aufenthaltsstatus, aber immer noch keine Möglichkeit, einen Garten zu mieten. Ist das nicht frustrierend für diejenigen, die deswegen ihren Garten abgeben müssen?
Asylsuchende aus Reinach, die ihren Aufenthaltsstatus verbessern konnten und beispielsweise in eine eigene Wohnung in einer andern Gemeinde umzogen, vermissen ihren Garten teilweise sehr. Ich versuche dann jeweils in der entsprechenden Gemeinde einen Garten anzumieten. Aber in Baselland sind die Familiengärten ziemlich gefragt, es existiert meist eine Warteliste. Ein Mann, der Analphabet ist und daher kaum Chancen hat, eine Arbeit zu finden, möchte unbedingt wieder einen Garten, um sich sinnvoll zu beschäftigen. Er wäre auch bereit, dafür von Oberwil nach Basel zu fahren.
Was bedeuten die Gärten für die Beteiligten?
Einerseits sind die Gärten wichtig für die Teilnehmenden, um Gemüse, Kräuter und Obst aus ihrer Heimat anzupflanzen, etwa iranisches Basilikum oder afghanische Gurken. Die Leute lassen sich solche Samen schicken. Vor 40 Jahren waren Zucchetti, Peperoni, Auberginen in der Schweiz weitgehend unbekannt, die italienischen und spanischen MigrantInnen brachten diese Sorten aus dem Süden hierher. Heute ist es für uns selbstverständlich, dieses Gemüse im Supermarkt zu kaufen. Im Garten finden die Menschen auch Ruhe und können entspannen – das ist vor allem für Bewohnerinnen und Bewohner von Wohnheimen nicht unwesentlich. Der Anbau entlastet natürlich auch das Budget, und die regelmässige Gartenarbeit schafft eine Tagesstruktur. Zudem steigt das Gesundheitsbewusstsein und die Leute können ihre an sich gesunden Ernährungsgewohnheiten aus ihren Heimatländern beibehalten. Die Bewegung und der Aufenthalt im Freien tun auch den Kindern gut. Schliesslich können sich die wenigsten Asylsuchenden ein Fitness-Abo leisten.
Wie geht es mit dem Projekt weiter?
In den letzten Jahren haben wir die Anzahl der Gärten und entsprechend die Anzahl der Teilnehmerinnen erhöht und wollen das gern auch weiterhin tun. Eine Idee sieht vor, Gärten auch für ältere Leute, Migranten und SchweizerInnen, zur Verfügung zu stellen.
Weitere Informationen:
"Wurzeln schlagen" ist ein 38-minütiger Film über das Projekt. Die DVD kann für CHF 25,- bestellt werden bei www.cinemachini.ch oder bei der HEKS-Regionalstelle beider Basel, Tel. 0041 61 367 94 02 oder unter der Mailadresse: neuegaerten@heks.ch
www.heks.ch
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Neue Gärten
Gemeinschaftlich bewirtschaftetes Brachland bildete vor 30 Jahren die Grundlage für die Community Gardens in New York. Damals zeigte sich, dass die Gärten den sozialen Frieden förderten und Konflikte in benachteiligten Gebieten sogar verringert werden konnten. Das amerikanische Vorbild gestaltete man in den Neunzigerjahren in Deutschland zu so genannten internationalen Gärten aus. Damit schuf man Orte, an denen nicht nur Gemüse, sondern auch Flüchtlinge und MigrantInnen Wurzeln schlagen konnten. Inzwischen hat sich die Idee im deutschen Sprachraum ausgebreitet. In der Schweiz wurde das Projekt nach dem Pilotprojekt in Basel auch auf Bern und Aargau/Solothurn erweitert. In Zürich sollen ebenfalls interkulturelle Gärten entstehen.
Weitere Informationen unter: www.interkulturelle-gaerten.ch