Mona, Wie lange seid ihr unterwegs für die Karibik-Staffel von "Fernweh"?
Es sind zwei Recherchereisen, eine ist bereits abgeschlossen, die zweite folgt demnächst. Insgesamt sind wir vier Wochen vor Ort.

Nicht gerade üppig für 7000 Inseln …
Nein, deswegen ist die Vorbereitung mindestens so wichtig wie die Reise selbst. Wir wollen in der kurzen Zeit möglichst viel reinpacken. Vieles wird also akribisch organisiert, mit genauem Zeitplan, Interviewterminen und so weiter. Aber genau wie beim Reisen funktionieren manche Dinge dann nicht – ein Zug, den man unbedingt filmen will, fährt zum Beispiel nicht, aus welchen Gründen auch immer. Dafür trifft man ein andermal zufällig eine interessante Person mit einer spannenden Geschichte. Dann nehmen wir uns spontan die Zeit und sagen organisierte Sachen einfach ab. Das Spontane ist immer mindestens so spannend wie das Geplante.

Ist so etwas beim ersten Karibik-Dreh auch vorgekommen?
Das passiert immer und überall. Auf Martinique sprach uns jemand an: Wenn wir vom Schweizer Fernsehen wären, dann müssten wir doch den "Canton de Suisse" besuchen! Canton de Suisse? Der steht in keinem Reiseführer. Trotzdem sind wir auf Verdacht vier Stunden ins Hinterland gefahren und tatsächlich auf ein grosses Schild und einen echten Schweizer Wanderwegweiser gestossen – und einen Mann, der gerade am Blumengiessen war. Er freute sich wie ein Schneekönig und erzählte, dass vor vielen Jahren ein findiger Schweizer Touristiker den "Canton de Suisse" ausgerufen habe, wir aber die allerersten Schweizer seien, die hier tatsächlich auftauchten. Das sind die Geschichten, bei denen wir hinterher total froh sind, dass wir uns darauf eingelassen haben.

Beim Dreh bedient jeder VJ eine eigene Kamera. Wer führt Regie?
Jedes Thema wird von einem VJ vorbereitet, der dann beim Dreh sagt, was wir machen. Dieser und ein weiterer VJ filmen mit mir, damit wir bei Interviews und Begegnungen Gegenschüsse schneiden können. Der dritte VJ macht unabhängig davon ergänzende Totalen oder schöne Detailaufnahmen, das nennen wir "Beauty Shots". Die braucht man, um die Geschichte fernsehgerecht aufzubereiten. Beim nächsten Dreh tauschen die VJs dann die Rollen, je nachdem, wer zuständig ist. Manche Themen realisiert auch mal ein VJ alleine oder wir bauen einen Beitrag eines unserer Fernweh-Reporter ein, der sich zum Beispiel auf einer Insel besonders gut auskennt. So bekommt die Sendung mehr Tiefe und Abwechslung. Fernweh ist ein sehr spezielles Sendeformat, von der Grundidee einfach, aber auch offen – das ist das Tolle daran.

Soll "Fernweh" also eine Art verfilmte Reise sein, wie sie auch jeder Zuschauer erleben könnte?
Das wäre natürlich das Ideal, aber völlig authentisch kann Fernsehen niemals sein. Auch wir reisen immer mit dem Hintergedanken, ob etwas fernsehtauglich ist. Aber im Gegensatz zu vielen Touristiksendungen, die immer nur das Schöne und Erwartete zeigen, verarbeiten wir auch Ungeplantes und Missgeschicke. Das geht von eigenen Unzulänglichkeiten wie einer Magenverstimmung bis hin zu der Situation, dass bei einer Schifffahrt die gesamte Schiffscrew sternhagelvoll war. Ein andermal sind wir bei der Suche nach einer Schatzinsel zwischen Samoa und Tonga in einen riesigen Sturm geraten. Das kleine Sportfischerboot wurde umhergeworfen, der Funk war weg, nichts hat mehr funktioniert. Das war alles andere als lustig – aber es findet in der Sendung genau so statt. Insofern sind wir schon recht nahe am echten Reisen dran.

Im Januar hat ein schweres Erdbeben Haiti erschüttert, Hunderttausende kamen ums Leben. Wird Fernweh über Haiti berichten?
Darüber haben wir intensiv diskutiert und debattiert. Es gibt zwei Ansätze, die beide vertretbar sind. Der eine ist, dass Fernweh als Reisereportagesendung dort nichts verloren hat, schon weil derzeit niemand nach Haiti reist, Touristen wird offiziell abgeraten. Der andere Standpunkt lautet, dass man beim Thema Karibik Haiti nicht aussen vor lassen darf, weil die Situation nach dem Beben viele Menschen interessiert und weil es gerade einige Monate nach der Katastrophe viele journalistisch spannende Geschichten und Fragestellungen gibt. Wie baut man ein Land neu auf? Wie setzt man all die Hilfsgelder ein? Wir haben uns nach Rücksprache mit einigen Leuten vor Ort dafür entschieden, nach Haiti zu reisen. Vor Ort besuchen wir zum Beispiel eine Filmschule, die vom Erdbeben total zerstört wurde, und zeigen, wie die angehenden Filmemacher die Tragödie dokumentiert haben.

Die Randbereiche des Reisejournalismus sind dir nicht fremd: 2006 hast du mit einer frechen Zeitungsreportage über verschnarchte deutsche Städte, "in denen man nicht gewesen sein muss", massive Proteste in ebenjenen Städten provoziert …
In Deutschland sollte ich eine radikal subjektive Reportage über Stadtführungen machen. Da kann es halt passieren, dass das Wetter schlecht ist und man die freundlichsten Bewohner nicht gerade als Erste trifft, sondern etwas ganz anderes. Aber es ist eine Momentaufnahme, in dem Moment eben auch sehr ehrlich.
(Anm. der Redaktion: Monas Text begann mit dem schönen Satz "Ein Penner, der durch den offenen Hosenschlitz sein Gemächt richtet, das ist das Erste, was ich von Kassel sehe.")

Im letzten Winter wiederum wurdest du für eine Dok-Serie über das mondäne St. Moritz kritisiert, weil du als "staunendes Schneewittchen der Dekadenz den Hof" gemacht hättest.
Ich bevormunde unsere Zuschauer nicht, indem ich ihnen sage, wie sie was zu interpretieren oder zu empfinden haben. Das unterscheidet unsere Sendung von einem politischen Reportagemagazin, wo es auf exakte Fragen und Antworten ankommt – oder vom Thesenjournalismus, der die Meinung des Berichterstatters mit passenden Fakten belegt. Auch bei SF Spezial gehen wir häufig so heran, dass wir fragen: Das Klischee ist soundso, aber wie sieht es denn wirklich aus? Dabei lassen wir uns gerne auch mal überraschen oder widerlegen.

Warum dann die Aufregung über die Millionärs-Reportage?
Bei diesem Thema hat wohl mancher Kritiker erwartet, dass wir da automatisch verurteilend herangehen – weil diese Leute Geld haben und es auch zeigen. Aber ist jemand ein Idiot, nur weil er Geld hat? Was ist denn das für eine Haltung? Ich begegne jemandem, der wenig Geld hat, ja auch nicht automatisch mitleidig. Als Journalistin interessiert mich die Haltung, mit der jemand im Leben steht. Ich gehe dorthin mit einem gesunden Interesse und stelle Fragen. Was dann am Ende bei den Zuschauern rüberkommt, ob sie jemanden sympathisch finden oder zumindest nachvollziehen können, warum die Person so lebt – das sollen die Zuschauer selbst entscheiden.

Wie wichtig sind Klischees für deine Arbeit?
Ganz wichtig! Klischees sind die Erwartungshaltungen, mit denen wir alle reisen. Niemand ist frei davon. Aber man muss die Klischees ja nicht zementieren, sondern kann sie überprüfen, variieren; von ihnen ausgehen, dann aber weiterdenken. Genau das ist ja auch das Spannende am Reisen.

"Der Tourismus zerstört das, was er sucht, indem er es findet", hat Hans Magnus Enzensberger gesagt. Welche Rolle spielt dabei der Reisejournalismus?
Das ist eine Problematik, der man nicht ausweichen kann. Natürlich machen wir nicht hemmungslos Reklame zum Beispiel für ökologisch heikle Gebiete. Manchmal kann man sogar positive Entwicklungen unterstützen. Aber letztendlich sind wir ebenso Teil des Systems wie jeder Urlauber.

Was meinst du mit positiven Entwicklungen?
Auf Trinidad gibt es zum Beispiel einen riesigen Mangrovensumpf, der ein sehr beliebtes Jagdgebiet war. Ein Einheimischer hat sein Geld damit verdient, indem er Jäger dorthin führte. Aber dann stellte er fest, dass die Leute noch lieber kommen, um einfach die Natur zu geniessen. Dann wurden die Jagdgesetze immer strenger und sein Sohn beschloss – aus rein wirtschaftlichem Interesse – umzusatteln. Er erkannte im Erhalt des Mangrovensumpfes ein grosses Kapital, schützte das Gebiet vor Ölbohrungen und Massentourismus und hat so eine sehr nachhaltige Art von Umweltschutz aufgezogen. Darüber kann man berichten und einen Weg aufzeigen, der Tourismus und Ökologie unter einen Hut bringt.

Gibt es unberührte Paradiese, über die man nicht berichten darf?
Ich fürchte: nicht mehr. In jedem Winkel der Welt gibt es Fernsehen, selbst die Ärmsten wissen genau, wie anderswo gelebt und konsumiert wird. Alle möchten ein Stück vom Kuchen abhaben. Diesen Menschen zu erzählen, dass sie ihr "ursprüngliches" Leben nicht verändern dürfen, wäre einfach weltfremd. Da müssen wir uns eher an der eigenen Nase packen und überlegen, was für Reisen wir buchen, für was wir vor Ort Geld ausgeben.

Ist "korrektes Reisen" überhaupt möglich?
Selbstverantwortung ist wichtig. Trotzdem kommt man nie aus dem Dilemma heraus, ob man etwa einem hungernden Strassenkind spontan Geld gibt – oder eben nicht, weil man ja so das Betteln unterstützt und die Schulbildung unterläuft. Natürlich kann man sich nach einem Strassenkinderhilfsprojekt erkundigen und dieses finanziell unterstützen. Aber ich glaube, beim Reisen geht es tatsächlich auch darum, dass man sich solchen
Konflikten aussetzt. Immer wieder gibt es diese Situationen, in denen man sich nicht wohlfühlt und nur denkt, wie krass das ist und wie unfair. Man kann sich fragen, warum es auf unserer Welt dieses enorme Ungleichgewicht gibt. Ich denke, man tut gut daran, dort zu sein und sich auch mal schlecht zu fühlen – ohne immer gleich eine Rechtfertigung für sich zu suchen.
Die Fernweh-VJs sagen, die Sendung sei mit einer "normalen Moderatorin" gar nicht machbar, schon weil man den Stress und Staub des Reisens aushalten muss. Profitierst du da von eigenen Traveller-Erfahrungen?
Eigentlich nicht. Mit 16 haben eine Freundin und ich die typische Interrail-Tour gemacht, nach Schottland und Irland. Aber da lernt man auch schon viel: Einmal blieb der Zug mitten in den Highlands stehen. Nach drei, vier Stunden sind wir einfach losmarschiert, natürlich im strömenden Regen, und fanden irgendwann in der Nacht ein völlig überfülltes Bed & Breakfast. Die Wirtin schlug die Hände über dem Kopf zusammen, erbarmte sich aber. Wir durften unter dem Küchentisch schlafen, dem letzten freien Platz. Das war der heimeligste Ort der Welt, und ich hatte mich noch nie so dankbar gefühlt. In so einer Situation merkst du, wie gastfreundlich jemand ist. Meine erste heftige Reise ausserhalb Europas war dann schon fürs Fernsehen: eine Sendung über Indien.

Müssen die Dinge schiefgehen, damit es interessant wird?
Eine missglückte Reise ist eine, bei der du nur das erlebst, was du erwartet hast. Die Geschichten, die hängenbleiben und die du später erzählst, sind die, bei denen du erst mal am Fluchen warst und gedacht hast: Jetzt gehts nicht mehr weiter! Dann musst du auf Menschen zugehen, oft auch um Hilfe bitten. Man lernt wildfremde Leute kennen, mit denen man sonst nichts zu tun hätte. Nicht selten wird dann aus Frust ein positives Erlebnis.

Gibt es etwas, was du auf all deinen Reisen immer dabei hast?
Mein Reisetagebuch. Unsere Drehtage sind so lang und intensiv, dass ich viele Details schnell vergessen würde. Unser Chef Martin hat die Gottesgabe, dass er im Auto, im Schiff und in jeder kleinen Wartesituation sofort schlafen kann. Sobald sein Kopf zur Seite sinkt, nehme ich mein Buch und schreibe alles auf.
Das Interview erschien im Transa-Magazin 4-seasons. Mit freundlicher Genehmigung.
Die erste Sendung von "Fernweh – In der Karibik" läuft am 16. Juli um 20.55 Uhr auf SF1 und um 21.40 Uhr auf HD Suisse. Die weiteren sechs Folgen sehen Sie jeweils freitags um 20.50 Uhr auf SF1 oder um 21.40 Uhr auf HD Suisse.